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Ortskräfte in der Falle

Afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr und deutschen Institutionen haben kaum noch Chancen auf Ausreise

Seit Monaten wird im politischen Berlin über die Evakuierung der sogenannten afghanischen Ortskräfte debattiert. Geschehen ist auch nach dem Abzug der letzten Bundeswehr-Soldaten am 29. Juni nichts. Nachdem die Taliban auch Afghanistans Hauptstadt Kabul eingenommen haben, wird eine Rettung der Menschen, die für die Bundeswehr und andere deutsche Organisationen arbeiteten, immer unwahrscheinlicher.

Linkspartei und Grüne hatten am 23. Juni im Bundestag die sofortige, von Deutschland finanzierte unkomplizierte Einreise in die Bundesrepublik für Menschen beantragt, die für Bundeswehr, deutsche Nichtregierungsorganisationen oder Einrichtungen wie die staatliche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit im Einsatz waren. Die Linke hatte das für alle verlangt, die seit 2013 für deutsche Einrichtungen tätig waren.

Allein: Die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD hatten das abgelehnt und hohe bürokratische Hürden für die Einreise dieser Personengruppe errichtet, die mit dem Vormarsch der Taliban in Afghanistan täglich mehr in Lebensgefahr geriet. Auch über die Finanzierung der Flüge wurde gefeilscht, in der Regierung waren viele der Meinung, die Ortskräfte sollten diese selbst bezahlen. Ein Unding, wie unter anderem die Linke-Bundesvorsitzende Janine Wissler am Montag in Berlin kritisierte.

Einer der wenigen aus den Regierungsparteien, die sich nach der endgültigen Machtübernahme der Taliban am Sonntag selbstkritisch äußerten, ist der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter. Am Montag früh schrieb er auf Twitter, es sei ein »Fehler« gewesen, dem Antrag der Grünen zu den Ortskräften »aus Prinzip nicht zuzustimmen. Punkt.« Am Nachmittag war der Tweet allerdings offenbar gelöscht. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich räumte ein, man habe die Lage falsch eingeschätzt. Am Montag forderte er im Deutschlandfunk eindringlich die unbürokratische Organisation der Ausreise für so viele Mitarbeiter deutscher Einrichtungen und Organisationen wie möglich. Zudem müssten »Frauenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsanwälte« in Deutschland aufgenommen werden.

Die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Afghanistan sollte am Montag beginnen. In der Nacht zu Montag landeten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 40 Mitarbeiter der deutschen Botschaft mit einem US-Flugzeug in Doha im Golfemirat Katar. Am Montagmorgen starteten die ersten drei Militärmaschinen der Bundeswehr mit Fallschirmjägern an Bord Richtung Kabul. Sie sollen die Evakuierung der noch in Afghanistan verbliebenen Deutschen absichern. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erklärte am Montag in Berlin, die Bundeswehr werde mit einem robusten Mandat, »solange es die Möglichkeiten vor Ort zulassen, so viele Menschen wie möglich aus Kabul, aus Afghanistan rausholen«. Das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr beschließen. Am 25. August soll dann der Bundestag darüber beraten und entscheiden. Bei Gefahr im Verzug können bewaffnete Einsätze wie in diesem Fall auch nachträglich vom Parlament mandatiert werden.

Die Evakuierung soll mit Airbus-Großtransportern der Bundeswehr vom Typ A400M erfolgen. Diese sollen in den nächsten Tagen zentraler Bestandteil einer »Luftbrücke« sein, über die neben den Diplomaten auch andere Deutsche, aber auch Angehörige der Ortskräfte nach Deutschland geflogen werden. Am Montagnachmittag hieß es jedoch, die Evakuierung verzögere sich. Zwei der Militärtransporter seien im aserbaidschanischen Baku zwischengelandet. Eine der Maschinen startete am Nachmittag von dort nach Kabul, um sich im Luftraum für eine Landung bereitzuhalten.

Auf dem Flughafen Kabul spielten sich am Montag dramatische Szenen ab. Verzweifelte Menschen liefen auf dem Rollfeld hin und her und versuchten, auf Flugzeuge zu klettern. Deshalb konnten keine Starts und Landungen stattfinden. Nach Angaben aus Washington können voraussichtlich erst am Dienstag wieder Evakuierungsflüge stattfinden.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte laut Teilnehmerkreisen am Montag bei einer Sitzung des CDU-Vorstands, die Bundesregierung habe vor Monaten 2500 Ortskräfte in Afghanistan identifiziert. Zudem wolle man für die Ausreise weiterer 2000 Personen sorgen, darunter Menschenrechtler und Anwälte. Insgesamt gehe es um 10 000 Menschen, da Familienmitglieder mitgerechnet würden.

Vertreter der Oppositionsparteien warfen der Bundesregierung ein »historisches Fiasko« vor. Bundestags-Linksfraktionschef Dietmar Bartsch und Ko-Spitzenkandidatin Wissler kritisierten insbesondere Außenminister Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Für eine »eventuelle weitere Amtszeit« hätten sich beide »disqualifiziert«, sagte Bartsch am Montag in Berlin. Wissler stellte fest, dass jene Ortskräfte, die sich derzeit nicht in Kabul befinden, kaum noch eine Chance zur Ausreise nach Deutschland oder in andere Staaten haben werden. Sie erinnerte zugleich an die Bereitschaft von 250 deutschen Städten, weitere Geflüchtete aufzunehmen. Auch Berlin habe seine diesbezügliche Bereitschaft gerade erneuert.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes räumte am Montag Fehler ein. Es gebe »nichts zu beschönigen«. »Unsere Einschätzung, wie die Lage sich entwickeln würde, war falsch.« Die ARD berichtete am Montag, der stellvertretende deutsche Botschafter in Kabul, Hendrik van Thiel, habe schon am Freitag in einem Lagebericht darauf hingewiesen, dass die Botschaft das Auswärtige Amt über längere Zeit erfolglos dringlich auf die Gefährdung der Mitarbeiter hingewiesen habe.

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