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Heimlich lästern – und herrschen
Wyndham Lewis’ eloquent bösartige Abrechnung mit der Kunstwelt von 1930 liegt nun auch auf Deutsch vor
Kleine Kreise von Menschen, die ständig aufeinander rumsitzen, sei es aus freundschaftlichen oder beruflichen Gründen, bedienen sich seit Jahrhunderten einer Kommunikationsform, die man Gossip nennt, Tratsch: Jemand hat etwas gesagt oder getan, wird abwesenderweise ins leere Zentrum des Zirkels bugsiert und ist der Urteilswut all derer ausgesetzt, die mit großer geistiger Anstrengung über eine Person herziehen, die nichts erwidern kann. Etymologisch leitet sich Gossip von »godsib« ab, vom Paten.
Heimlich lästern und herrschen hängen zusammen. Protegierte Selbstbeschäftigung, Ausschluss ohne Widerrede, Karriere aus Klüngel: Die unsichtbare Schutzherrschaft des Erfolgs in der wunderbaren Welt der Kunst sind die Themen und Hassanlässe des 700 Seiten langen Romans »Die Affen Gottes« des britischen Malers und Schriftstellers Wyndham Lewis, der rund neunzig Jahre nach Erscheinen des Originals erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.
Im Mittelpunkt des Romans, der im Jahr 1926 spielt, steht Daniel Boleyn, genannt Dan. Ein großgewachsener, gut aussehender Dummbatz aus Irland, neunzehn Jahre alt, der von seiner Familie finanziert wird, um in London ein Studium zu bestreiten. Wäre er nicht in die Fänge von Horace Zagreus geraten, der steinreich ist, jungen Männern zugetan und schnell gelangweilt. In regelmäßigen Abständen erkennt dieser in der Zielgruppe seines erotischen Interesses »Genien«, die sich aus hilflosem Narzissmus in ihn verlieben und die er für Society-Späßchen ausnutzt. Diese Knaben sind zum Quälen da, lassen alles mit sich machen in der Hoffnung auf Horaces ewige Gunst und irgendeine Form von Anerkennung.
Dan lässt sich dafür auf eine erbärmliche Odyssee schicken, bei der er die sogenannten Affen Gottes auskundschaften soll. Gemeint sind damit die reichen Snobs seiner Zeit, die es sich leisten können, Bohèmiens zu werden, einstige Mäzene, die ihre künstlerischen Vorbilder ohne jedes Können nachäffen und im Angesicht ihrer mangelnden Fertigkeiten die Kunstwelt so gestalten, dass alle mit einem Funken Talent aber ohne Geschick im Spiel der Intrigen, keine Rolle in Galerien und Akademien spielen. Dan trifft auf niemanden, der es gut mit ihm meint, lässt sich tagsüber in Parks versetzen und nachts in Herrenhäusern begrapschen, um irgendwie dazuzugehören und sich in höherem Auftrag zu wähnen.
Gegen Ende des Romans wird auf mehreren hundert Seiten ein Fest geschildert, an dem nur teilnehmen darf, wer bereit ist, sich als literarische Figur zu verkleiden. Diese Verwandlung verspricht aber keine Freiheit. Statt als ausgelassene Party entpuppt sich das gekünstelte Beisammensein als Vorsprechen, formloser Wettbewerb zwischen Möchtegerns, die in Gedichten und Gemälden eine Beschäftigungstherapie gefunden haben. Hier ist keiner versucht, in der Kunst ein Wagnis einzugehen, weil man die Ergüsse weder zu Markte tragen muss noch Gefahr läuft, als armer Poet oder Kleckserin auf der Straße zu landen.
Und so bringen die Beteiligten alle Kraft für Manipulationen auf. Kompromisslose Selbstkritik des eigenen Tuns ist keine Option. Stattdessen leidet man lieber gleich an der Zeit: »Es ist eine Zeit ohne Kunst, wir leben in einer Epoche ohne Kunst«, verkündet Horace bei einer Teegesellschaft vor dem Fest und schwadroniert von »Leuten, die es nie geschafft haben, Fiktion zu werden«.
Kunst dient dem Geschwätz, wird vornehmer Eskapismus derer, die sich nicht wahrhaben können. Kolonialpolitik wird auf der Party durch »Alte Colonels« vertreten, die als »Globetrotter in einer touristischen Welt« verunglimpft und verharmlost werden. Charakteranalysen sind getrieben davon, Menschen zu profilieren und zwingen sie zu Travestien. Horace lässt Dan im Verlauf der Feier in Damenkleider packen, was ihm die Gesellschaft eines senilen Lustmolchs einbringt, vor dem ihn ein junges Schwarzhemd rettet.
Der gibt seine Kleidung erst als Faschismuskostüm aus, entpuppt sich dann doch schnell als waschechter autoritärer Charakter, der in Diensten des Anti-Affen-Hohepriesters steht. In ihm hat er einen »konkreten Gott« gefunden, »mit dem er gegen alle Abstraktion zu Felde zog«, also einer selbstständigen Haltung zur Welt entkommen konnte, in der man Widersprüche aushalten muss. Der Generalstreik 1926 in London ist den Affen Gottes, dünken sie sich auch als Revolutionäre, nichts als ein Ärgernis im Nahverkehr.
Niemand kommt in diesem Buch gut weg. Wohl nicht zuletzt, da Lewis als Offizier im Ersten Weltkrieg war, traumatisiert zurückkehrte und die gemütlichen Höhenflüge der schönen Seelen für ihn auf dem Feld zerschellt sind. Die rassistischen und antisemitischen Klischees des Romans entlarven sich ohne paternalistische Meta-Erklärung als erbärmliche Projektionen von qua Geburt Bessergestellten, die sich dazu entschieden haben, sich ein Leben lang etwas über die eigene Existenz vorzumachen.
Dass vor allem die Kunstwelt und ihre selbstgerechten Akteure explizit Thema sind und weniger die Kunst selbst als philosophisch zu durchschnüffelnde geistige Großtat, unterscheidet Lewis von vielen bekannteren Zeitgenossen. Vor dem Krieg war er eine zentrale Figur der Londoner Zirkel. Seine Bewegung hieß Vortizismus, wollte sich wie alle Avantgarden nicht länger mit braven Abbildern abgeben, sondern durch aggressive Abstraktion die faden Mätzchen der Zeitgenossen überbieten.
Zum Erbe dessen gehört die Zeitschrift »Blast«, die es zwar nur auf zwei Ausgaben, aber auch zwei Manifeste brachte. Im ersten fiel der programmatisch-verrätselte Satz: »Wir hetzen Humor auf Humor. Stacheln einen Bürgerkrieg unter friedlichen Affen an.« Eine diffuse Gewaltfantasie gegen alles Behäbige. Lewis’ Kunstverständnis funktionierte über Feindbilder. Der marxistische Literaturwissenschaftler Fredric Jameson hat darüber ein ganzes Buch geschrieben, »Fables of Aggression« (Fabeln der Aggression), in dem er ihn als Protofaschisten bezeichnet.
Der Vorwurf kommt nicht von ungefähr: Lewis schrieb 1931 ein Buch über Hitler, den er als Mann des Friedens imaginierte. 1939 folgte ein Pamphlet »The Jews, are they human?« (Sind die Juden Menschen?), dessen Titel Übles ahnen lässt, sich allerdings explizit gegen Antisemitismus richtete. Lewis beschäftige sich mit Proudhon und Marx, nannte sich privatim Kommunist. Das Nachwort von Paul Edwards in der deutschen Ausgabe hilft, »Die Affen Gottes« in Zeit, Leben und Werk des Schriftstellers einzuordnen.
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Der stellte seine erzählerische Autorität und Urteilsfähigkeit an keiner Stelle des Buches in Frage. Aber aus Hass und Galle schuf Lewis eine der radikalsten und literarisch gelungensten Abrechnungen mit der Kunstwelt, die – viele Ismen, Institutionen und diskursive Wellen später – eine Kritik dieser Tragweite immer seltener erfährt. Jochen Beyses und Rita Seuß’ sehr gelungene Übersetzung wird der Bösartigkeit und Eloquenz des englischen Originals gerecht.
Wyndham Lewis: Die Affen Gottes. Aus dem Englischen von Jochen Beyse und Rita Seuß. Diaphanes Verlag, geb., 776 S., 40 €.
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