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  • Berliner Mietenwahnsinn

Am Ende der Spekulationskette

Am Dienstag räumt ein Gerichtsvollzieher die Buchhandlung Kisch & Co. in der Kreuzberger Oranienstraße

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Thorsten Willenbrock hat gerade keine Zeit. Denn er muss seine Buchhandlung ausräumen. Am Dienstag um 8.15 Uhr kommt der Gerichtsvollzieher. Dann wird die 24-jährige Geschichte von Kisch & Co. an der Kreuzberger Oranienstraße 25 zu Ende gegangen sein. Das milliardenschwere Geschacher am Immobilienmarkt hat das Ende einer weiteren Kiezinstitution besiegelt. Willenbrock wird den Laden nicht besetzen, sondern den Schlüssel übergeben.

Immerhin muss er nicht weit umziehen. In letzter Minute konnte ein neuer Mietvertrag unterzeichnet werden. Ausgerechnet die Deutsche Wohnen bietet ein paar Häuser weiter, in der Oranienstraße 32, ein Ausweichquartier an. Die Vertragsverhandlungen wurden von der Kige Kiezgewerbe UG geführt. »Wir freuen uns, dass Kisch & Co. in der Oranienstraße bleiben kann«, sagt deren Geschäftsführer Stefan Klein. Das neue Geschäft sei zwar kleiner als das alte, aber der Vertrag sichere »das Fortbestehen der Traditionsbuchhandlung«. Das vor allem ein Zeichen: Durch die Solidarität von Nachbar*innen, Kund*innen und Initiativen, die monatelang gegen die Verdrängung des Buchlandens protestierten, könne »auch aus der Niederlage ein neuer Anfang entstehen«, so Klein.

Dass der größte Berliner Immobilienkonzern kurz vor dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen mit einem Angebot an den Buchhändler »Image-Optimierung« betreiben werde, sei »höchstwahrscheinlich«, erklärte die Initiative Bizim Kiez, die Teil des Nachbarschaftsbündnisses »Volle Breitseite« ist. »Der Fall Kisch & Co. zeigt beispielhaft das Dilemma für kleine Kiezgewerbe. Durch das fehlende Gewerbemietrecht und die explodierenden Mieten werden Gewerbetreibende von einem Immobilieninvestor zum nächsten getrieben, um die eigene Existenz zu erhalten«, sagt Carola Rönneburg von Volle Breitseite.

Ein stiller Abgang wird es trotzdem nicht. Ab 7 Uhr früh ist eine Demonstration angemeldet, zu der Volle Breitseite aufruft. »Mit der Kundgebung wollen wir noch einmal ein Zeichen setzen. Für Kisch & Co., gegen Zwangsräumungen und vor allem für alle verbliebenen Mieter*innen in der Oranienstraße 25. Für sie geht der Kampf noch weiter«, erklärt Rönneburg.

»Die Buchhandlung Kisch & Co. ist das nächste Beispiel für die Räumung von Kiezläden und Räumen für Kultur«, sagt Fabian Steinecke von Bizim Kiez gegenüber »nd«. Er erinnert an die »vielen Räumungen, die unter Rot-Rot-Grün in Berlin stattgefunden haben«: die Kiezkneipe »Syndikat« etwa oder die »Meuterei«. »Gerade bei Kisch & Co. wurde auch von der Politik mehr gekämpft als in anderen Fällen«, sagt Steinecke. »Aber solange es kein ordentliches Gewerbemietrecht gibt, werden immer mehr Kiezstrukturen verschwinden

»Wenn es wenigstens Immobilien gäbe, wo all die verdrängten Gewerbetreibenden und sozialen Infrastruktureinrichtungen unterkommen könnten«, meint Steinecke. Um hier mehr Möglichkeiten zu schaffen, wäre in seinen Augen die Sozialisierung der großen renditeorientierten Vermietungskonzerne eine Option, über die am 26. September beim Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen abgestimmt werden kann.

Die Buchhandlung Kisch & Co. stand schon 2016 kurz vor dem Aus. Damals gehörte das Gebäude den Berggruen Holdings des deutschstämmigen US-Milliardärs Nicolas Berggruen. Willenbrock nahm schweren Herzens die Mietsteigerung hin und erhielt einen Vertrag über drei weitere Jahre. Anfang 2020 erfuhr er vom Verkauf an einen Fonds, der mit sehr großer Wahrscheinlichkeit den Erben des Tetrapak-Gründers Ruben Rausing gehört (»nd« berichtete).

»Trotz intensiver Bemühungen war kein realer Mensch auffindbar, der den Rauswurf der Buchhandlung zu verantworten hat und mit dem man sprechen kann«, sagt die Abgeordnete Gaby Gottwald (Linke) zu »nd«. Eine Milliardärsfamilie in London tarne sich über eine Fondsstruktur. »Da wird einem Kleingewerbe die existenzielle Basis entzogen und niemand kann intervenieren«, beklagt sie. Das schreie nach Transparenz auf dem Immobilienmarkt. »Eigentümer müssen als Personen identifizierbar sein«, fordert sie.
Kige-Geschäftsführer Stefan Klein hat den Kampf eng begleitet. Die Friedrichshain-Kreuzberger Wirtschaftsförderung finanziert die Arbeit mit einer kleinen Summe, die für eine fest angestellte Kraft reicht. »Bis Dezember 2019 fanden noch Verhandlungen mit einer Anwaltskanzlei am Pariser Platz in Mitte statt«, berichtet Klein im Gespräch mit »nd«. Dann habe eine Großkanzlei aus Frankfurt am Main übernommen. Deren Vertreter traten auch im April beim Prozess um die Räumungsklage mit einer simplen Botschaft auf: »Wir haben kein Mandat für eine gütliche Einigung.« Buchhändler Willenbrock verlor das Verfahren.

»Wir haben rund 80 Mandate jährlich im Bezirk«, berichtet Klein. Da gehe es meist um Verdopplungen oder Verdreifachungen der Miete. In einem aktuellen Fall einer Kita in Kreuzberg wird sogar die vierfache Miete gefordert. »Bei den Kleingewerbetreibenden geht es um die Existenz. Auch eine Kita kann sich das nicht leisten, denn ich glaube nicht, dass der Senat gewillt ist, die gewährten Kostensätze derart anzuheben«, sagt Klein.

Solche Mietsteigerungen seien inzwischen ein flächendeckendes Phänomen im Bezirk, das nicht nur auf Einkaufsstraßen beschränkt ist, so Klein. »Informiere die Kunden, die Nachbarschaft, die Medien«, so der erste Tipp, den er den Betroffenen gibt. »Wenn nichts hilft, zeigen wir Folterinstrumente vor und machen die initiale Kundgebung«, schildert er eine weitere »Eskalationsstufe«. Gerichtsprozesse müssten die Betroffenen allerdings selbst führen. Rund die Hälfte der Eigentümer sei verhandlungsbereit, in etwa der Hälfte der Fälle gebe es dann einen für den Gewerbemieter tragbaren Abschluss, berichtet der Berater.

Doch gerade bei anonymen Fonds seien solche Verhandlungen meist aussichtslos. »Das hängt auch mit der Art der Finanzierung der Immobilienkäufe vor. Die Kredite sind an meist hohe Mieterwartungen gebunden. Würde für weniger vermietet, droht die Kündigung der Kredite. Stattdessen wird Leerstand in Kauf genommen«, erläutert Klein.

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