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Das Schloss der Republik
Christian Walther hat recherchiert, wer nach dem Kaiser ins Berliner Stadtschloss kam
Das hätte sich der Kaiser nicht träumen lassen, dass in seinem altehrwürdigen Schloss bald die verschiedensten Mieter einziehen und Frauen darunter eine exponierte Rolle spielen würden. Nachdem Wilhelm II. nach dem verlorenen Krieg abdanken musste und Karl Liebknecht am 9. November 1918 die Republik ausrief, beginnt eine völlig neuartige Nutzungsgeschichte: Der Prachtbau mitten im Herzen von Berlin ist nicht länger das traditionsreiche Schloss der Hohenzollern, sondern wird tatsächlich mit praktischem Leben gefüllt, es wird zum Schloss der Republik - die Wilhelm II. nur als »Saurepublik« bezeichnet.
Der Autor Christian Walther, Journalist und bekannt als Reporter für die Berliner Abendschau, hat in vielen Archiven recherchiert und alles zusammengetragen, was nach den Zeiten des Kaisers im riesigen Schlossbau Einzug hielt. Der originelle Buchtitel »Des Kaisers Nachmieter« trifft die Sachlage präzise: Die nahezu 1000 Räume konnten einer neuen, sinnvollen Nutzung zugeführt werden, und der Bedarf war enorm.
Zahlreiche Institutionen in der Hauptstadt, die zu einer veritablen Metropole von Wissenschaften und Künsten aufgestiegen war, hatten dringenden Platzbedarf. Das Schloss glich einem Taubenschlag, die neuen Mieter kamen und gingen, sie füllten das historische Gemäuer mit zeitgemäßen Inhalten. Die Berliner ergriffen Besitz vom repräsentativen Gebäude. Zunächst zog das Kunstgewerbemuseum ein und eröffnete am 1. September 1921 als Schlossmuseum - eine Schatzkammer der Künste.
Christian Walther hat seiner Darstellung der Schlossgeschichte zwischen 1918 und der Sprengung 1950 die Idee zugrunde gelegt, insbesondere das Wirken von Frauen in den Mittelpunkt zu rücken. Mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1919 und dem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit tritt ein völlig neuer Typus Frau auf den Plan. Da ist etwa Lise Meitner, Deutschlands erste Professorin für Physik, die zusammen mit Otto Hahn die Geheimnisse der Kernspaltung entschlüsselt.
Im Januar 1927 hält sie im Schloss - Sitz der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften - einen viel beachteten Vortrag »Über den Bau des Atominneren«. Auch wenn Otto Hahn später den Nobelpreis allein einsteckt, ist Lise Meitners enormer Anteil an der Erforschung unbestritten. Marguerite Wolff, Referentin für Völkerrecht am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht, verantwortet in ihrem Aufgabenfeld besonders die rechtlichen Beziehungen zu England und den USA. Aber auch ganz praktische Bereiche bekommen einen Sitz im Schloss: Dr. Eugenie Schwarzwald richtet 1923 in der Schlossküche eine Mensa ein.
Diese Gemeinschaftsküche stellt während der Inflation günstiges Mittagessen für Studenten, Künstler und Freiberufler bereit, eine Überlebensfrage. Marie-Elisabeth Lüders gründet im Schloss ein Tagesheim für Studentinnen. Frauenrechtlerinnen wie Helene Lange und Gertrud Bäumer engagieren sich hier unmittelbar in der frühen Frauenbewegung.
Im Schloss hat weiterhin die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG ihren Sitz, die Schlösserverwaltung residiert hier, der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD, dazu mehrere Institute der Universität, die vorher unter Platzmangel litten.
Während der Nazizeit interessiert sich die Politik erstaunlich wenig für das Schloss, es segelte gewissermaßen in einem »kulturellen Windschatten«. 1937 zieht das Museum der Preußischen Staatstheater ein und 1940 zudem eine Probebühne des Staatsopernballetts, sonst bleibt es bis zur Bombardierung am 3. Februar 1945 weitgehend verschont. 1950 allerdings beschließt die SED-Führung, das Schloss der Hohenzollern abzureißen, das zwar starke Bombenschäden aufweist, aber keinesfalls so stark zerstört ist, dass ein Wiederaufbau nicht realistisch gewesen wäre.
Da erhält die Fotografin Eva Kemlein den offiziellen Auftrag, zusammen mit einem Kollegen die Bausubstanz akribisch zu fotografieren und damit eine komplette Dokumentation zu erstellen - so, als wollte man Bildmaterial für einen möglichen späteren Nachbau bewahren. Sie musste schnell arbeiten, war mit ihrer Leica dem Sprengkommando oft nur einen Schritt voraus.
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Der Band »Des Kaisers Nachmieter« besticht vor allem mit einer opulenten Vielzahl an historischen Fotografien und Dokumenten. Er vermittelt einen hervorragenden visuellen Eindruck des Stadtschlosses und seiner Nutzungsgeschichte. Wie so oft reißen die »Sieger der Geschichte« vorgefundene Bauwerke ab und setzen an deren Stelle ihre eigenen Repräsentationsbauten. So machten es etwa die spanischen Eroberer mit den Inka-Festungen in Peru, so hielt es die junge DDR mit dem Berliner Stadtschloss, und das zieht sich bis in die jüngste Vergangenheit, als der Palast der Republik abgerissen wurde.
Christian Walther: »Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss«, Verlag für Berlin-Brandenburg vbb, 184 S., 151 Abb., brosch., 25 €.
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