Stecken Geimpfte andere an?

Immunisierung schützt bei der Delta-Variante des Coronavirus vor schwerer Erkrankung, aber weniger vor Infektion

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Als die ersten Impfstoffe gegen Covid-19 ihre Notzulassung erhielten, versprachen die Daten aus den Zulassungsstudien mit Zehntausenden Probanden sehr guten Schutz vor Infektionen. Bei den beiden mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna lag die Effektivität in den Studien sogar bei über 90 Prozent, bei den beiden Vektorimpfstoffen von Astra-Zeneca und Johnson & Johnson etwas niedriger. Damals, zu Jahresbeginn, blieben aber zwei Fragen offen: Wie lange hält der Impfschutz an und verhindert eine Impfung auch die Weitergabe des Virus?

Nach reichlich einem halben Jahr gibt es darauf Antworten. Die gute Nachricht der Studien aus Großbritannien und Israel: Auch nachdem sich die Delta-Mutante des Virus durchgesetzt hat, schützen die vier hierzulande zugelassenen Impfstoffe sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen. Sie schützen allerdings deutlich schlechter vor einer Ansteckung mit der Delta-Mutante, wie die inzwischen trotz der mit 78 Prozent sehr hohen Impfquote in Israel wieder schnell ansteigende Infektionsrate zeigt.

So ergab eine britische Studie, die Daten von einer Million Nutzer der Zoe-App auswertete, dass der Biontech/Pfizer-Impfstoff einen Monat nach der zweiten Dosis noch zu 88 Prozent vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützt, nach fünf bis sechs Monaten nur noch zu 74 Prozent. Der Schutz des Astra-Zeneca-Impfstoffes sinkt laut der Studie von 77 Prozent einen Monat nach der zweiten Dosis auf 67 Prozent nach vier bis fünf Monaten. Eine Studie in Pflegeheimen in den USA ergab für die beiden mRNA-Impfstoffe, dass diese vor dem Auftreten der Delta-Variante die Pflegebedürftigen zu 75 Prozent vor Infektionen schützte, gegen die inzwischen dominierende Delta-Variante aber nur noch zu 53 Prozent.

Grundsätzlich sind auch sogenannte Impfdurchbrüche, also Erkrankungen bei immunisierten Personen, nicht ungewöhnlich. »Wir wussten von Anfang an, dass die Impfung nicht zu 100 Prozent wirksam ist: Selbst in den Zulassungsstudien hatten sich vollständig Geimpfte infiziert«, erklärt Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund. Nicht bei allen Geimpften reagiert das Immunsystem wie beabsichtigt mit der Bildung einer großen Zahl neutralisierender Antikörper. Und deren Konzentration - das zeigt eine Studie von Wissenschaftlern der Emory University in Atlanta (USA) - ist ein gutes Maß für die tatsächliche Schutzwirkung des Impfstoffs.

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Einer der Gründe für die Infektion trotz Impfung könnte nach Ansicht von Carlos A. Guzmán vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig sein, dass bei den Impfungen der Körper nicht über die Atemwege mit den Virusfragmenten konfrontiert wird, sondern durch eine Spritze in den Arm. »Das heißt im Umkehrschluss: Es gibt in Rachen, Hals und Lunge keine spezifische, lokale Gedächtnisimmunität, weil hier kaum Berührungspunkte zu den Virusfragmenten vorhanden waren«, erklärt Guzmán.

Auch der Lungenarzt und Impfstoffforscher Leif Erik von der Berliner Charité betont, dass es »gerade bei einem respiratorischen Erreger, der die oberen Atemwege befällt, sich dort vermehrt und auch von dort weitergegeben wird«, schwierig sei, eine sterile Immunität herzustellen. Von dieser spricht man, wenn sowohl die Ansteckung mit einem Erreger als auch dessen Weitergabe komplett unterbunden werden.

Eine britische Studie, die allerdings noch nicht begutachtet ist, fand zudem, dass vollständig Geimpfte, die sich dennoch infizierten, zu Anfang eine vergleichbar hohe Viruslast in Nase und Rachen aufwiesen wie Ungeimpfte. Es bestünde also - insbesondere bei Infizierten ohne Symptome - die Gefahr, dass sie unwissentlich das Virus genauso weiterverbreiten wie Ungeimpfte. Eine Studie aus Singapur zeigt allerdings, dass diese Viruslast bei den Geimpften sehr viel schneller wieder sinkt. Niederländische Forscher haben zudem bei 161 Impfdurchbrüchen mit der Delta-Variante nicht nur die Viruslast mit PCR-Tests ermittelt. Sie haben dann versucht, aus den Gewebeproben Viren auf Zellkulturen anzuzüchten. Ergebnis: Trotz vergleichbarer Menge an nachgewiesenem Viruserbgut ließen sich bei Geimpften nur aus 60 Prozent der Proben Viren vermehren. Bei ungeimpft Infizierten waren es 90 Prozent. Möglicherweise wurde das Virus bei Geimpften zwar durch Antikörper blockiert, doch sein Erbgut konnte noch nachgewiesen werden.

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Da bei älteren Menschen nach einer Impfung im Durchschnitt weniger Antikörper gebildet werden und deren Spiegel womöglich auch schneller wieder sinkt, ist nach Ansicht Sanders die Empfehlung einer dritten Booster-Impfung für diese Gruppen wie auch für besonders Gefährdete »medizinisch auch absolut indiziert«.

Angesichts dieser Entwicklung ist für Watzl die Herdenimmunität nahezu unmöglich geworden: »Der einzelne Geimpfte ist gewiss deutlich besser geschützt als ein Nicht-Geimpfter, dieser wiederum kann sich aber nicht mehr darauf verlassen, geschützt zu sein, weil um ihn herum alle geimpft sind.«

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