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  • Nicht ohne uns 14 Prozent

Das Wahlrecht als deutsches Privileg

Eine Initiative fordert, dass alle Menschen, die in Deutschland leben, an Wahlen teilnehmen

  • Omid Rezaee
  • Lesedauer: 4 Min.

In Deutschland sind 60,4 Millionen Bürger*innen für die Bundestagswahl im September wahlberechtigt. Etwa zehn Millionen volljährige Menschen, die ihren Hauptwohnsitz seit über fünf Jahren in der Bundesrepublik haben, dürfen hingegen nicht wählen. Denn sie sind keine deutschen Staatsbürger. Unter dem Motto »Nicht ohne uns 14 Prozent« organisieren sich einige dieser Menschen nun. Sie fordern ein »Bundestagswahlrecht für alle in Deutschland lebenden Menschen«.

»Die Teilnahme an Wahlen wird den Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit vorenthalten. Somit haben sie keine Möglichkeit, sich politisch zu engagieren«, sagt Sanaz Azimipour. Sie ist Mitgründerin des Vereins »MigLoom«, der die politische Teilhabe von Migrant*innen der ersten Generation unterstützt. Zudem sieht er den Kampf für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus als seine Aufgaben. Dass man trotz des Hauptwohnsitzes in Deutschland im größten politischen Ereignis des Landes, nämlich der Bundestagswahl, nicht mitwirken kann, bezeichnet sie als einen der wichtigsten Aspekte der strukturellen Diskriminierung. Diese wird sich fortsetzen, solange es den Betroffenen an Repräsentanz in der Politik fehlt.

Hinter der Kampagne steht eine Gruppe von Menschen, deren Zusammensetzung sehr heterogen ist. Hier kommen Migrant*innen und Geflüchtete zusammen. Für das gemeinsame Ziel engagieren sich Studierende, Arbeiter*innen, Lehrer*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen sowie Menschen, die derzeit nicht erwerbstätig sind. Die Kampagne hat eine Petition über change.org eingereicht, die vor wenigen Tagen rund 3200 Menschen unterschrieben hatten.

»Nicht ohne uns 14 Prozent« ist nicht die erste Kampagne, die sich mit dem Wahlrecht für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit auseinandersetzt. »Doch in anderen Kampagnen sprechen überwiegend Menschen, die selbst das Privileg des Wahlrechts haben und nicht betroffen sind. Wir wollen hier aber selber reden«, sagt Sanaz Azimipour. Die Kampagne solle eine Brücke sein zwischen Menschen, die betroffen sind und denen, die bereits wählen können.

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Viele Politiker*innen sehen die Lösung des Problems darin, das Einbürgerungsgesetz zu erleichtern, damit die Migrant*innen einfacher die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten können. Doch dass bisher nur die Migrant*innen wählen dürfen, die sich einbürgern ließen, führt dazu, dass das Wahlrecht ein Privileg und kein Recht ist. Viele Migrant*innen können und viele wollen sich nicht einbürgern lassen, weil sie beispielsweise weiterhin unproblematisch in ihr Heimatland reisen möchten. »Außerdem geht es bei uns nicht darum, den Kreis der Privilegierten zu erweitern, sondern wir wollen die Kriterien für diesen Kreis erweitern. Das kann nur gelingen, wenn wir das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft trennen.«

Abgesehen von den politischen Aspekten der Kampagne stellt sich die Frage, ob die Einführung des Wahlrechts für legal in Deutschland lebende Ausländer*innen im Rahmen des Grundgesetzes möglich ist? Der Berliner Rechtsanwalt Matthias Zieger ist der Meinung, dass das ohne eine Verfassungsänderung nicht möglich sei. Zudem sei es fraglich, ob eine solche Verfassungsänderung zulässig wäre. Er beruft sich hierbei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1990, in dem die Einführung eines Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene in Schleswig-Holstein und Hamburg »für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde«. Das Bundesverfassungsgericht erklärte damals, dass nach Artikel 20 des Grundgesetzes alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Mit Volk sei das Staatsvolk gemeint. Und nach dem historischen Verfassungsverständnis umfasse das Staatsvolk alle deutschen Staatsangehörigen. Ausländer*innen sei deswegen die Teilnahme an Wahlen auf Bundesebene verwehrt.

Eine andere Haltung vertritt Professor Hans Meyer, Verfassungsrechtler an der Berliner Humboldt-Universität. Im Sommer 2017 sagte er dem ARD-Politikmagazin Monitor: »In dem entscheidenden Artikel 20, steht nur: ›Das Volk wählt.‹ Und nicht etwa, das deutsche Volk wählt. In dem Augenblick, in dem man das als deutsches Volk interpretiert, reduziert man die möglichen Wahlberechtigten auf die Staatsangehörigen. Es steht nichts über die Frage im Grundgesetz, ob hier lebende Ausländer wahlberechtigt oder nicht sein dürfen. Es steht im Grundgesetz lediglich, dass der Gesetzgeber die Wahlberechtigten bestimmt«, so Meyer. Daraus zog er den Schluss, dass es einen vernünftigen Grund gebe, zu sagen, dass Leute, die hier voll integriert sind und hier leben, arbeiten, ihre Steuern zahlen und dem deutschen Recht unterworfen sind, genauso wahlberechtigt seien wie deutsche Staatsangehörige.

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Diese Meinung habe aber derzeit keine Chance, sich durchzusetzen, sagt Matthias Zieger. Auch die Mitorganisator*innen der Kampagne für Wahlrecht für Ausländer*innen bewerten ihre Chancen realistisch. Schnelle Veränderungen wird es nicht geben. »Wir wollen auf die Problematik aufmerksam machen und die Parteien und die Politiker*innen dazu bringen, sich zu positionieren. Im ersten Schritt geht es darum, Aufmerksamkeit zu gewinnen«, sagt Sanaz Azimipour. Eine Chance dafür bot sich am Samstag. Da hatte die Initiator*innen der Kampagne eine Kundgebung am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg geplant.

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