»Was hast du für Gefühle, sind’s kühle oder schwüle?«

Die erste Biografie von Paul O’Montis, dem schwulen Kabarett-Star der Weimarer Republik, ist erschienen

  • Kevin Clarke
  • Lesedauer: 5 Min.

Paul O’Montis war ein Star der Weimarer Republik, besonders beliebt »bei älteren Damen und jüngeren Herrn« mit seinen doppeldeutigen Interpretationen von Liedern wie »Was hast du für Gefühle, Moritz?« Sie liefen im Radio und wurden auf 120 Schellackplatten veröffentlicht.

Der 1894 im ungarischen Újpest als Paul Emanuel Wendel geborene Sänger und Vortragskünstler ist ein Paradebeispiel für den neuen Geist der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die Utopie einer (sexuell) bereiteren Gesellschaft in der Luft lag. In seinem Hit »Ich bin verrückt nach Hilde« besingt O’Montis die verschiedenen Personen, die er neben Hilde (»die küsst wie eine Wilde«) ausprobiert, wobei er u.a. bei Mariann landet, bei der er feststellt: »Das ist ein Mann!« – O’Montis reagiert entsetzt, aber auch entzückt.

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, nahmen sie O’Montis sofort ins Visier, im Dezember 1933 wurde er in Köln verhaftet. Angeblich, weil er sich abfällig über die politische Entwicklung geäußert habe. Die Ermittlungen konzentrierten sich jedoch schnell auf Kontakte zu jungen Männern. So wurde er »wegen Vergehens gegen den §175 in zwei Fällen zu 1 Jahr 9 Monaten Gefängnis und 3 Jahren Ehrverlust« verurteilt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis 1935 war er ein gebrandmarkter Mann.
O’Montis emigrierte in die Schweiz und versuchte dort einen Neustart, wurde aber wegen Komplikationen mit Aufenthaltsgenehmigungen weitergetrieben nach Österreich, die Niederlande, Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien. Im April 1937 war er ein letztes Mal im Tonstudio und nahm »Danke schön, es war bezaubernd« auf.

In Prag wurde er 1939 abermals verhaftet, warum, ist nicht ganz klar. Aber nach dem Einmarsch der Nazis wurde er ins KZ Sachsenhausen verschleppt, wo gezielt Rosa-Winkel-Häftlinge hinkamen. Man kann also annehmen, dass es um homosexuelle Kontakte ging. Im Mai 1940 kam O’Montis in Sachsenhausen an, wo die Schikanen gegen Schwule massiv waren: ganztägige Kniebeugen, Ausfall von Mahlzeiten, und wenn es heiß war, wurden 75 Mann in einem Abort eingesperrt.

Am 17. Juni 1940 starb O’Montis, in seiner offiziellen Sterbeurkunde steht: »Freitod durch Erhängen«. Was allerdings die wahren Begebenheiten verschleiert. Oftmals haben Offiziere wahllos auf Häftlinge gezeigt und ihnen »nahegelegt«, sich bis zum nächsten Morgen umzubringen. Dass sie das auch taten, dafür sorgten Blockälteste, meist politische Häftlinge, die wenig Mitgefühl für die sogenannten »Perversen« hatten. Nach 1945 lebte der mutmaßliche Mörder von O’Montis – der Blockälteste Richard Bugdalle, genannt »Brutalla« – unauffällig in München, bis er 1957 festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. 1978 wurde er vorzeitig entlassen aufgrund seines Gesundheitszustands, trotz Protesten ehemaliger Häftlinge. Er starb 1982.

O’Montis hatte keine Erben, die protestieren konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sein Name verdrängt. Man wollte in der neoprüden Adenauer-Ära nicht die pikanten Chansons hören, für die er berühmt gewesen war. Und mit der Geschichte eines Homosexuellen, der im KZ umkam, wollte sich auch niemand befassen. Erst 1962 produzierte die Electrola in Westdeutschland die Schallplatte »Die goldenen Zwanziger Jahre«, auf der O’Montis mit einer Nummer zu hören ist. 1976 erschien ein O’Montis-Album beim kleinen Münchner Independent-Label Discophilia. Auf dem Cover war zu lesen: »O’Montis […] wurde von den Nazis ermordet«, der Grund aber wurde verschwiegen. Danach dauerte es 20 Jahre, bis eine erste CD erschien, von einem privaten Hamburger Plattensammler herausgegeben.

Auch in Kabarett-Chroniken der DDR fehlt er: weder Rudolf Hösch (»Kabarett von gestern«, 1967) noch Walter Rösler (»Kabarettgeschichte«, 1977) erwähnen ihn, lediglich Helga Bemmann nennt seinen Namen im Zusammenhang des KaDeKo, dem Kabarett der Komiker aus dem Berlin-Charlottenburg der 20er-Jahre (»Berliner Musenkinder. Memoiren«, 1987). Die erste Kurzbiografie erschien 1995 im Fanzine »FOX auf 78«, geschrieben von Ralf Jörg Raber, 2000 folgte ein biografischer Artikel im Sammelband »Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen«. Seither hat YouTube viele Aufnahmen wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit neu verfügbar gemacht, auch Wikipedia würdigt den Künstler mit einem Eintrag.

Während Leben und Wirken von O’Montis auf diese Weise nach und nach wieder Sichtbarkeit erlangten, förderte schließlich die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eine erste umfassende Biografie, die Ralf Jörn Raber nun beim Metropol Verlag vorgelegt hat. Raber geht darin detailliert darauf ein, wie schwer es ist, das Leben eines homosexuellen Mannes zu rekonstruieren, der sich nie öffentlich zu seiner Sexualität äußerte. Wir wissen über mögliche Lebenspartner nur aus späteren Gerichtsakten.

Ein Verdienst von Raber ist es, dass er nicht nur auf die Tragik von O’Montis eingeht, sondern gleichberechtigt auch seine Leistungen als Künstler zelebriert. Und Lust macht, sich nochmals die Texte von Liedern anzuhören, die das Markenzeichen von O’Montis waren, z.B. »Was hast du für Gefühle, Moritz, Moritz, Moritz / Sind’s kühle oder schwüle, Moritz, Moritz, Moritz / Du sagst nicht Ja, du sagst nicht Nein / Du bist so fein, und doch gemein / Du hast ein Herz für viele, / Moritz, Moritz, Moritz / Du bist zu schön, um treu zu sein!« Zum Schluss kommt O’Montis zur Erkenntnis, dass dieser Dandy nicht nur »zu schön«, sondern auch »zu doof« sei, um treu zu sein. Was der Sänger allerdings als vorteilhaft interpretiert und offenlässt, was dann passiert.

Laut Raber gehöre O’Montis zu »den Ersten, die das Tabu Homosexualität, sexuelle Diversität und Genderthematik in deutschsprachiger kommerzieller Popmusik« thematisiert hätten. Er habe als Künstler »eine innere wie äußere Freiheit« gefunden, die »ansteckend« war. Diese Aura zog Homosexuelle in seine Konzerte, »um in einer gesetzlich wie gesellschaftlich repressiven Atmosphäre der Diskriminierung und Verfolgung für kurze Zeit das genaue Gegenteil zu erfahren: Anerkennung und Stärkung«. Erschreckend, dass daran erst 76 Jahre nach Ende der NS-Diktatur gründlich recherchiert erinnert wird, was verdeutlicht, wie lang die Schatten der Nazizeit sind. Man darf gespannt sein, wann ein Dokumentarfilm folgt.

Ralf Jörg Raber: Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herrn: Paul O’Montis – Biografie eines Vortragskünstlers. Metropol Verlag, 272 S., brosch., 22 €

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