Der Wind der Veränderung weht

IG Metall Berlin will den Kampf um Arbeitsplätze mit klimagerechter Industrieproduktion verbinden

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit. »Auch hier auf unserer Transformationskonferenz sind Kolleg*innen aus verschiedenen Unternehmen, in denen sich die Beschäftigten alltäglich fragen: ›Was wird aus uns?‹«, sagt Regina Katerndahl am Donnerstag auf der großen Konferenz der IG Metall, die sich dem Umbau der klassischen Industrieproduktion widmet, zu den Ängsten vieler Industriearbeiter*innen aus der Region und in der Hauptstadt angesichts der Herausforderungen, die dieser mit sich bringt. Die Befürchtung, angesichts der Umsetzung von Klimaschutz und Nachhaltigkeitsstandards den Arbeitsplatz zu verlieren, sei groß, sagt Katerndahl vor den 250 Teilnehmer*innen im Saal des Estrel-Hotels in der Neuköllner Sonnenallee, darunter auch Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall im Bund. Die Unternehmen seien gefordert, sich zu fragen: »Was bedeutet Transformation konkret an den einzelnen Standorten für jeden einzelnen Beschäftigten?«, erklärt die Gewerkschafterin.

Noch immer werde der Prozess als etwas Negatives begriffen, weiß auch Jan Otto, zusammen mit Katerndahl Erster Bevollmächtigter der Industriegewerkschaft Metall in Berlin. Gerade weil sich in der Hauptstadt die klassische Produktion auf mittlerweile nur noch 7000 Beschäftigte stütze - bei einer Gesamtzahl von weit über 70 000 Beschäftigten in der Industrie - habe man die Chance, von hier aus positive Signale in die gesamte Bundesrepublik zu senden, meint Otto. »Wenn die Mehrheit der Kolleg*innen Angst hat, müssen wir in Berlin das Schaufenster für eine subventionierte, nachhaltige Produktion sein, die nicht auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.« Der Gewerkschafter ist erklärter Verfechter neuer Kooperationen und Produktionsweisen. »Wir kämpfen nicht für den radikalen Wandel, der Arbeitsplätze aufs Spiel setzt und auch nicht dafür, dass noch in 40 Jahren Verbrennermotoren produziert werden«, beschreibt Otto den Ansatz, bei dem nicht Arbeit und Ökologie gegeneinander ausgespielt, sondern miteinander verbunden werden sollen.

Mit dieser Herangehensweise sei es der IG Metall vor Ort in den vergangenen fünf Jahren gelungen, Kooperationen zu schaffen, die zuvor noch »undenkbar« waren, sagt der Metaller. So habe man im Hinblick auf die Unternehmen Daimler und Siemens nicht nur Abwehrkämpfe, sondern auch Gespräche geführt und Beschäftigte mit deren Konzepten und Vorstellungen zur Transformation eingebunden. Beschäftigungsabbau und die Verlagerung von Produktion hätten nicht immer, aber immer öfter verhindert werden können. Man stehe mit dem Einsatz für die Transformation auch für »eine neue Ära« der IG Metall, so Otto.

Das bestätigt auch Jörg Hoffmann. Der Gewerkschaftsvorsitzende sagt, es sei zentrale Aufgabe der IG Metall, sich dafür einzusetzen und zu vermitteln, dass Transformation keine Entlassungen auslöse. »Diese Sicherheit muss man den Leuten geben«, fordert Hoffmann. Dann gelänge es auch, neue Menschen für die Organisation zu gewinnen. Die Gewerkschaft stehe für soziale, ökologische und demokratische Standards in einer Gesellschaft, die immer ungerechter wird und von vielen auch so wahrgenommen werde.

Die Frage, wie sich gerade die Industriegewerkschaft Metall in der Debatte um die Umgestaltung aufstellen kann und muss, beschäftigt auch Jana Flemming. Die Soziologin vom Wissenschaftszentrum Berlin hat für ihre Untersuchungen zur Rolle der Gewerkschaft in der sozial-ökologischen Transformation nicht nur mit vielen Beschäftigten gesprochen, sondern auch mit Umweltverbänden und Klimaaktivist*innen. Zu lange habe man auf deren Seite nicht gesehen, dass ihr Kampf für Klimagerechtigkeit konkrete Biografien bedroht. Industrien werden von ihnen als Verhinderer einer besseren Zukunft wahrgenommen, dass deren Reglementierung mit sozialem Abbau einhergeht, hingegen nicht.

Nach Flemmings Ansicht kann die Gewerkschaft hier eine wichtige Rolle in der Vermittlung übernehmen. »Es braucht gerechte Übergänge«, sagt die Industrie- und Gewerkschaftssoziologin. »Der Wert der industriellen Arbeit spielt eine große Rolle.« Betriebsräte und Beschäftigte müssten einerseits mehr mitbestimmen können, aber zudem »nicht nur mit Sozialpartnern, sondern auch mit Umweltverbänden reden«.

Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) spricht sich zu Beginn der Konferenz für mehr betriebliche Mitbestimmung und mehr soziale Verantwortungsübernahme durch die Unternehmen aus. Dies betreffe auch Start-up-Szene und Plattformökonomie, die in Berlin schnell wüchsen. »Industriearbeitsplätze gehören zwingend zu einer guten Wirtschaftsstruktur in einem Bundesland, deshalb müssen wir auch zwingend darum kämpfen«, findet Müller, der auch den Steuerungskreis Industriepolitik mit ins Leben gerufen hat, klare Worte.

Wer dessen Nachfolge antrete, so Regina Katerndahl, müsse sich darüber im Klaren sein, dass »Industriepolitik ganz oben steht«. Das zu erörtern, sind am Nachmittag führende Landespolitiker*innen von SPD, Grünen, Linke und CDU eingeladen. Deren Vorschläge für eine Hauptstadtindustrie, die sich den Herausforderungen des Klimawandels, der Digitalisierung und der Abkehr von fossilen Brennstoffen stellen muss, dürften auch für Beschäftigte der Industrieunternehmen von Interesse sein, wenn es um ihre Stimme bei den kommenden Wahlen geht.

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