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Verödete Herzen, zerstörte Seelen

Markus Metz und Georg Seeßlen führen mit ihrem neuen Buch »Beute & Gespenst« ihre Kritik der Ästhetik der Neoliberalismus fort

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Man ist gewohnt, Neoliberalismus als eine ökonomische Ordnung zu begreifen. Die Privatverfügung über Produktionsmittel war schon Kern des klassischen Liberalismus, daran ließen dessen Vertreter wie Ludwig von Mises keine Zweifel. Nur wird das nicht mehr mit dem Programm des revolutionären Bürgertums garniert, das Freiheit versprach, wenn sie auch der Mehrheit verwehrt blieb. Der Neoliberalismus verzichtet - schon aufgrund seiner monopolkapitalistischen Grundlage - auf solche hehren Versprechen und gibt sich nur als Garant gegen größere Übel aus, genannt werden dann Sozialismus und Faschismus, wobei im Zweifel nur ersteres gemeint ist. Doch das ideologische Programm des Neoliberalismus erschöpft sich nicht in solcher geschichtsphilosophischen Rhetorik. Der Erfolg dessen dürfte vielmehr in der Form der Subjektivierung liegen, die der Neoliberalismus den Menschen aufzwingt und anbietet zugleich. »Ökonomie ist die Methode; das Ziel ist es, das Herz und die Seele zu verändern«, sagte Margaret Thatcher 1981 in einem Interview mit der »Sunday Times«.

Wie sich die Herzen und Seelen der Menschen im Neoliberalismus verändern, ergründen Georg Seeßlen und Markus Metz. 2018 hatte das Autorenduo im Verlag Bertz+Fischer einen Band mit Texten zur neoliberalen Ästhetik vorgelegt. »Kapitalistischer (Sur)realismus« erblickte in Kunst, Werbung und Alltag die Anzeichen einer Epoche, in der die Ideologie aus dem Überbau in die Basis gewandert ist. Der erste Schritt: Die Lüge der Ideologie ist kein Verbergen mehr, sondern ein Ausstellen der Alternativlosigkeit. Das ist der von Mark Fisher so bezeichnete Kapitalistische Realismus, im zweiten Schritt übertroffen noch vom Kapitalistischen Surrealismus, der jegliche Weltbeschreibung - selbst die alternativlose - für unmöglich erklärt. Womit in der Folge jene Alternativlosigkeit noch gesteigert wird, indem sie als solche nicht einmal mehr auftaucht. Nihiliberalismus war Fishers Wortneuschöpfung dafür, nihilistischer Neoliberalismus. Wer heute überhaupt noch versucht, kapitalistische Totalität zu beschreiben, muss aus dieser Perspektive gewissermaßen als Verrückter gelten, geradezu als paranoider Verschwörungsdenker.

Mit ihrem neuen Buch »Beute & Gespenst. Lebenswelten im Neoliberalismus«, ebenfalls bei Bertz+Fischer veröffentlicht, haben Seeßlen und Metz gewissermaßen eine Fortsetzung von »Kapitalistischer (Sur)realismus« vorgelegt. Damit es im Neoliberalismus weitergehen kann, müssen die Subjekte mit ihrem Begehren, ihren Wünschen und Identifikationen auf eine Art und Weise unterworfen und eingebunden sein, dass ihnen die politische Ökonomie nicht mehr als solche erscheint - und sie auch keine entsprechenden Interessen mehr artikulieren können. So diagnostizieren die Autoren, dass es keine Sprache für Verteilungskämpfe mehr gibt. Es ist für sie Ausdruck einer kulturellen, politischen und semantischen Verwahrlosung. Auch diene die populäre Kultur vor allem der Einhegung der Subjekte, die Segmentierung des Kulturellen schaffe verschiedene Lebenswelten: für Gewinner und Verlierer. Die Hauptsache ist, dass es aus dieser Kultur keinen Ausweg mehr gibt. Jeder bekommt eine eigene Zelle, in der man bestens amüsiert zugrunde gehen kann.

Die Politisierung der Kultur wurde - und wird weiterhin - mit der Entpolitisierung des Lebens bezahlt, argumentieren Metz und Seeßlen. Dass in die Kultur alles eingeht, nur eben als neutralisierter Inhalt, gibt dem Band den Titel: »Alles Eroberte lebt als Gespenst und Beute weiter, von der Magie bis zum Kommunismus. Daher ist der Kapitalismus auch als ein gewaltiges Spukhaus zu beschreiben.« Auch hier befinden sie sich auf den Spuren des 2017 verstorbenen Mark Fisher, dem großen Gespensterforscher der populären Kultur. Hauntologie nannte dieser das, Spuren einer verlorenen Zukunft. Und am Ende der Illusionen? »Allein bleibt man mit einer radikalen Frage: Welche Rolle kann die Kunst spielen, wenn es keine bürgerliche Gesellschaft, keine Demokratie, keine Bildungsideale und Illusionen, keine Kritik, keinen Diskurs, keinen sozialen Adressaten, keine andere Kultur als die von Wettbewerb und Niedertracht mehr gibt?« Die Ästhetisierung des Zerfalls von Gesellschaft stellte sich für linke und kommunistische Theoretiker schon vor einhundert Jahren als Problem. Noch der eigene Untergang wird als ästhetischer Genuss erlebt, die Herzen verödet, die Seelen zerstört. Metz und Seeßlen beschreiben, wie es passiert, um es zu einem Moment von Erkenntnis zu machen, auf dass sich angesichts der Zurichtung der Subjekte im Neoliberalismus eine neue negative Kraft und ein neues kommunistisches Begehren entfache.

Markus Metz und Georg Seeßlen: Kapitalistischer (Sur)realismus. Neoliberalismus als Ästhetik. Bertz+Fischer, 296 S., br., 18 €.

Markus Metz und Georg Seeßlen: Beute & Gespenst. Lebenswelten im Neoliberalismus. Bertz+Fischer, 192 S., br., 14 €.

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