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Sexismus-Skandal in Island

Vorwürfe gegen Spieler und den Fußballverband belasten Deutschlands Gegner

  • Frank Hellmann, Reykjavik
  • Lesedauer: 4 Min.

Das aktuelle Trikot der isländischen Nationalmannschaft kostet derzeit 14 990 isländische Kronen, umgerechnet rund 100 Euro. Beworben wird das Jersey auf der Verbandshomepage mit je zwei Männern und Frauen, die sich lässig aneinander lehnen – die gleichberechtigte Förderung des Männer- und Frauenfußballs ist seit vielen Jahren gelebte Realität bei Islands Verband Knattspyrnusamband Íslands (KSI). Die bislang letzten deutschen Protagonisten, die im zugigen Laugardalsvöllur, dem 15 000 Zuschauer fassenden Nationalstadion, ein stimmungsvolles WM-Qualifikationsspiel austrugen, waren vor drei Jahren die Fußballerinnen um Svenja Huth, deren Doppelpack unter der Anleitung von Horst Hrubesch den DFB-Frauen den Weg zur WM 2019 in Frankreich öffnete.

Es war eine Zeit, in der knapp 360 000 Einwohner den Fußball im Inselstaat noch als Sinnbild von Offenheit und Völkerverständigung begriffen, als man mit Werten wie Toleranz, Fairplay und Geschlechtergerechtigkeit punkten konnte. Islands Fans waren mit der »Hu-Hu-Hu«-Anfeuerung seit der Männer-EM 2016 in Frankreich als weltweite Botschafter unterwegs. Das Heile-Welt-Gebilde ist vor dem WM-Qualifikationsspiel der Männer am Mittwochabend gegen Deutschland aber in sich zusammengebrochen. Ein Missbrauchsskandal mit sexuellen Übergriffen, weswegen Stürmer Kolbeinn Sigthorsson bereits aus dem Nationalteam suspendiert wurde, zieht noch immer weite Kreise.

Es geht um Vorfälle, die vier Jahre zurückliegen. Der heute 31-jährige Sigthorsson, der nach seinem Siegtor beim 2:1 gegen England im Achtelfinale der EM 2016 zum Volkshelden aufgestiegen war, soll im September 2017 in einem Nachtklub in Reykjavik einer jungen Frau in den Schritt gefasst und sie am Nacken gepackt haben, bevor er und ein weiterer Mann sie und eine andere Frau angriffen. Beide Opfer erstatteten Anzeige. Der aktuell bei IFK Göteborg spielende Sigthorsson gab zu, sich »unangemessen« verhalten zu haben, wies aber die Übergriffe zurück. Was die Sache für den Verband so peinlich macht: Offenbar gab es im Hintergrund gemeinsame Bestrebungen, die Vorfälle über Schweigegelder geräuschlos zu regeln. Sigthorsson traf sich im Frühjahr 2018 mit den Frauen, entschuldigte sich und zahlte offenbar drei Millionen isländische Kronen (20 000 Euro) an eine Hilfsorganisation. Damit war für ihn der Fall erledigt. Zugleich beteuerte Verbandschef Gudni Bergsson, dass beim KSI keine Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe aufgelaufen wären. Eine dreiste Lüge.

Eines der Opfer, Thorhildur Gyda Arnarsdottir, wagte sich an die Öffentlichkeit – der TV-Sender RUV strahlte die Interviews aus, die auch in der ZDF-Sportreportage gezeigt wurden. Die 25-Jährige erhob schwere Vorwürfe gegen den Fußballverband, der sie über einen Anwalt gefragt hätte, »eine Geheimhaltungsvereinbarung zu unterzeichnen«. Bergsson, der lange jedes Wissen bestritt, trat am 27. August zurück, seine Vorstandsmitglieder folgten, die Geschäftsführerin wurde beurlaubt. Wer deckte wen? Wer weiß was? Und vor allem: War das bloß ein Einzelfall?

Offenbar sammeln sich beim Umgang mit Frauen auf der Insel im Nordmeer viele Widersprüche an. Einerseits hielt ein Report des Weltwirtschaftsforums fest, dass Island der beste Ort sei, »um eine Frau zu sein«, weil Gleichberechtigung überall gelebt werde. Andererseits erschien eine Studie der Universität von Island, dass jede vierte Frau vergewaltigt oder sexuell missbraucht werde. Häusliche Gewalt werde oft totgeschwiegen. Spiegelt sich im Fußball nur eine gespaltene Gesellschaft wider? Gerüchte gab es im Sommer auch um den ehemals für Hoffenheim spielenden Gylfi Sigurdsson, den die Polizei wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern ins Visier genommen haben soll. Der FC Everton bestätigte ohne Namensnennung die Verhaftung eines Spielers. Der 31-jährige Isländer ist diese Saison noch ohne Einsatz.

Bei alldem geht fast unter, dass die Nationalelf mit einer in die Jahre gekommenen Generation den Anschluss verliert. In den Playoffs zur EM scheiterte sie 2020 an Ungarn, zum Auftakt der WM-Qualifikation war das Team beim 0:3 gegen Deutschland chancenlos und ist nach einem 2:2 gegen Nordmazedonien Vorletzter der Gruppe J. Besserung ist so schnell nicht in Sicht. Wenn sich jetzt auch noch Kinder und Jugendliche abwenden, weil dem Nachwuchs die Idole fehlen, sieht es für die Zukunft noch schlechter aus.

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