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Hab ich das auch richtig gesagt?
Cut-up mit Herta Müller: Mit »Der Beamte sagte« collagiert sie Erfahrungen in der Bürokratie
Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller veröffentlicht seit einigen Jahren Textmontagen im Postkartenformat. Aus alten Zeitungen schneidet sie hierfür einzelne Wörter aus und stellt sie zu neuen Sätzen zusammen. Dass erinnert an die Cut-up-Technik der Beatniks.
Man kann sich die Autorin gut bei dieser Arbeit vorstellen: wie sie an einem Tisch mit einer Nagelschere die Wörter ausschneidet und danach sortiert; wie sie die einzelnen Wörter aussucht und zusammenstellt, bis plötzlich ein neuer, für sie passender Satz erscheint. Und dann, am Ende, wie sie die gefundenen Sätze auf eine Karteikarte klebt und noch ein kleines Bild hinzufügt.
In ihrem neuen Buch, »Der Beamte sagte«, ist dem Leser der Collagen schnell klar, worum es geht. Eine Ich-Erzählerin landet auf einem Ausländeramt irgendwo in Deutschland, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Viele der Collagen fangen deshalb mit dem titelgebenden »Der Beamte sagte« an.
Das Land, aus dem sie kommt, könnte das Rumänien unter der Ceausescu-Dikatur sein, wo Müller sich weigerte, für den Geheimdienst Freunde auszuspionieren, und deshalb drangsaliert wurde; aber es käme auch jede andere Diktatur infrage. »DER Beamte von der Prüfstelle A sagte Sie wollten ALSO in ihrem Land DIE Regierung stürzen ich sagte wie denn ICH hatte eine freche SCHEU und einen kranken Mut keine Armee.«
Viele der Sätze aus dem Buch klingen, als sagte sie jemand, der gerade Deutsch als Fremdsprache lernt. Wie durch die Technik der Textcollage ist beim Lernen einer Sprache der Wortschatz beschränkt. Der dadurch erzwungene, bei Müller durch das Hin- und Herschieben der Wortschnipsel im wörtlichen Sinn »verschobene« Gebrauch einzelner Worte und Wendungen erzeugt dann eine neue, oft metaphorische Bedeutung.
Plötzlich werden banale Wörter poetisch – wenn man so will, könnte man von einer Poesie der Verknappung sprechen. Das führt einerseits zu einer sprachlichen Ungenauigkeit; andererseits besteht ja gerade die Faszination von Metaphern darin, dass sie als genauer, als »wahrer« empfunden werden als eine noch so wortreiche Beschreibung. Das liegt an ihrer Offenheit, an der Tatsache, dass sie die individuelle Wahrheit eines jeden Lesers besser ausdrücken können. Allerdings würde Herta Müller, wenn man sie fragte, was genau sie mit einer Metapher meint, sie wahrscheinlich nur wiederholen. Denn jede Erklärung würde ihren Zauber zerstören.
Die Situation des Fremden in der Fremde, der eine fremde Sprache neu lernen muss, bestimmt auch in anderer Hinsicht Müllers Textcollagen. So nimmt die Erzählerin aus »Der Beamte sagte« die einzelnen Wörter ernst: »DER Beamte von der Prüfstelle B … stellte SICH als Helmut Fröhlich vor ich sagte Sie heißen doch nicht wirklich so.« Auch das kennt jeder, der einmal eine Fremdsprache gelernt hat: Weil die neue Sprache nicht so selbstverständlich ist wie die Muttersprache, wird der Gebrauch von Wörtern genauer geprüft. Hab ich das auch richtig gesagt?
Letztlich aber steht Herta Müller der Sprache skeptisch gegenüber: »MAN kann SO viel reden wie SCHNEE fällt das WIRKLICHE FEHLT der MUND lässt MICH allein wenn ER MEIN Leben erzählt.« Vielleicht gibt es auch deshalb die kleinen Bilder auf jeder Karte, die manchmal den Text illustrieren, oft aber darüber hinausgehen und wie Bilderätsel wirken. Sie sind ein weiterer Versuch, dem, was sich letztlich nie vollständig ausdrücken lässt, näher zu kommen.
Die Form der Collage, die kleinen Bilder, der Abdruck je einer Karte auf einer Seite – all das führt zu dem fragmentarischen Eindruck, den »Der Beamte sagte« beim Leser hinterlässt. Fragmente, deren Poesie im Kopf des Lesers die Situation des Fremden in der Fremde lebendig werden lässt. Einer Fremdheit, die vor allem Migranten betrifft. Aber nicht zuletzt durch ihre metaphorische Offenheit sind sie auch für Leser verständlich, die nicht gezwungen sind, auf dem Ausländeramt eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen.
Und sind nicht in der globalisierten, sich ständig verändernden Welt auch die, die zu Hause bleiben dürfen, Fremde? »manchmal HAB ICH mich vermisst oft haben MICH DIE fremdesten MÖBEL IM ABTEIL DES ZUGES unverhofft beim Wohnen erwischt.«
Herta Müller: Der Beamte sagte. Hanser, 164 S. geb., 24 €.
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