»Der Autokapitalismus ist am Ende«

Tausende protestierten in München gegen die Internationale Automobilausstellung – Kritik an Polizeigewalt und Grundrechtseinschränkungen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die deutsche Autoindustrie wollte sich die vergangenen Tage in München bei der Internationalen Automobilausstellung (IAA) als besonders klimabewusst, modern und nachhaltig präsentieren. Die bayerische Regierung versuchte mit allen Kräften, dieses Vorhaben auch zu unterstützen. Für die Führungskräfte der Konzerne gab es einen prunkvollen Dinnerabend mit der Politprominenz, die Innenstadt war von Ausstellungsplätzen, sogenannten Showrooms, gesäumt. 4500 eingesetzte Beamte sollten derweil dafür sorgen, dass die angekündigten Proteste von Klimaaktivist*innen die Inszenierung nicht stören.

Trotz umfangreicher Repression konnte dieses Ziel jedoch nicht erreicht werden. Tausende Menschen hatten von Dienstag bis Samstag mit Demonstrationen, kreativen Aktionen und Akten des zivilen Ungehorsams gegen die IAA protestiert. Teilnehmer*innen kritisierten dabei Polizeigewalt, auch Medienschaffende berichteten von Übergriffen.

Am Samstagnachmittag fand so unter dem Motto »Aussteigen« eine Großdemonstration statt. Laut den Veranstalter*innen hatten sich 25.000 Menschen an der Fahrrad-Sternfahrt sowie der zeitgleichen Fußgängerdemo für eine radikale Mobilitätswende beteiligt. Aufgerufen hatte ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, darunter die Deutsche Umwelthilfe, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Attac und Greenpeace. Zudem beteiligten sich auch Blöcke der Linkspartei und der Grünen sowie zwei linksradikale Blöcke an der Demospitze. Die antikapitalistischen Blöcke bildeten zum einen die Bündnisse »No Future IAA«, »Sand im Getriebe« und »ums Ganze«, zum anderen »Smash IAA«.

Die Polizei war während der Demonstration mit zahlreichen Kräften präsent, die Spitze des Aufzugs wurde von Beginn an abgefilmt. Als zwei Aktivist*innen aus der Demonstration heraus auf Bäume kletterten, um ein Banner aufzuhängen, griff die Polizei die Demonstrationsspitze an. Die Beamten setzten mehrfach Pfefferspray ein und schlugen Teilnehmer*innen mit Schlagstöcken. Auch Journalist*innen und Sanitäter*innen wurden von dem Pfefferspray getroffen. Laut Attac wurde eine Person in einem Dinosaurierkostüm wegen Vermummung in Gewahrsam genommen.

Bereits am Freitag war es zu dezentralen Protesten von rund 1500 Personen gekommen. Am Vormittag hatten mehrere Gruppen versucht, das Aktivist*innencamp auf der Theresienwiese zu verlassen. Nach wenigen Metern stoppten Polizeikräfte die Demonstrant*innen, auch hier kam es zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken. Im Verlauf des Tages hatten Aktivist*innen dann ein Haus im Besitz des Freistaates nahe des Bahnhofs besetzt. Polizeibeamte rissen hierbei eine Person, die auf einen Baum klettern wollte, herunter. Sanitäter*innen erklärten, dass es durch den Sturz zu schweren Verletzungen gekommen sei. Der von der »taz« beauftragte Journalist Michael Trammer wurde bei dem Einsatz festgenommen.

Bei einer weiteren Aktion hatten Aktivist*innen von »Smash IAA« einen Stand von Bosch auf einem der Ausstellungsplätze in der Innenstadt gestört sowie ein Boschwerk mit einer Spontandemo besucht. Laut Klimaaktivist*innen und Betriebsrat soll das Boschwerk geschlossen werden – als Begründung diene hierbei der Geschäftsführung der Klimaschutz. Am späten Nachmittag gab es zudem Blockaden Dutzender Aktivist*innen am Odeonsplatz sowie am Wittelsbacherplatz. Ein Mercedes-Benz-Pavillon musste zeitweise schließen, auch ein Audi-Pavillon war von den Störaktionen betroffen. Aktivist*innen hatten dazu kurzzeitig die A94 lahmgelegt.

Schon in den Tagen zuvor hatten sich Berichte über erhebliche Grundrechtseingriffe gehäuft. Am Donnerstag wurden demnach drei Attac-Aktivist*innen für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil man in dem Auto, in dem sie unterwegs waren, Sprühkreide und ein Banner gefunden habe. Die Hostelzimmer aller drei seien durchsucht worden, hieß es von der NGO. Vier Journalisten wurden zudem bei der Messe zeitweise festgenommen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in verdi (dju) wolle dagegen rechtlich vorgehen, erklärte sie in einer Mitteilung. Polizisten verhinderten auch einen »kritischen Stadtspaziergang«, dazu gab es zahlreiche Kontrollen an Bahnhöfen.

Die Bilanz in Zahlen: Die dju zählte insgesamt 15 Übergriffe durch die Polizei auf Journalist*innen. Die Polizei selbst erklärte, dass man »hochzufrieden« mit dem Einsatz sei. 87 Personen habe man vorübergehend fest- oder in Gewahrsam genommen. Die IAA wiederum sprach von 400.000 Besucher*innen und einem »großen Erfolg« der Messe.

Das sehen jedoch nicht alle so. »Die Klimagerechtigkeitsbewegung wird überzogen mit einer Staatsgewalt, die in keinem Verhältnis steht«, kritisierte die »ums Ganze«-Sprecherin Liv Roth. »Pfefferspray und Schlagstöcke gegen friedliche Demonstrant*innen der IAA – der Autokapitalismus ist am Ende«, kommentierte auch Fridays for Future. »Wir haben einen wunden Punkt getroffen«, ergänzte Lou Winters vom Bündnis »Sand im Getriebe«. »Das war die letzte IAA«, hieß es knapp vom Bündnis »No future IAA«.

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