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Ein Kleid ist nur ein Kleid
Mitmachen und dabei drüberstehen geht nicht - zum Auftritt von Alexandria Ocasio-Cortez auf der Met-Art-Gala
Tax the rich« - Besteuert die Reichen, was für eine aufwühlende Parole! Zur vermeintlichen, auch gedankenanregenden, Provokation wird sie erst recht durch den Umstand ihres Auftragens in Rot auf einem weißem Kleid bei einem Stelldichein der Reichsten auf einer Gala in New York. Die Botschaft wird so geradewegs ins Herz der Finsternis des Reichtums getragen und von dort dann, viel wichtiger noch, tausend-, vielleicht millionenfach wieder herauskommuniziert. Nur, worin geht diese »Provokation« über ein reines Fashion-Statement hinaus? Mehr war es nicht, es wäre völlig ausreichend - würden Alexandria Ocasio-Cortez und andere dem ganzen Vorgang nicht positive Effekte zuschreiben wollen, die er schlicht nicht hat. Ein Kleid ist ein Kleid ist ein Kleid - manchmal aber eben auch nicht mehr als das.
Bedenkt man zuerst den Slogan selbst, fällt seine Vagheit auf. »Besteuert die Reichen« - wer sind denn die »Reichen« überhaupt? Personen, Unternehmen? Wenn es sich um Menschen handelt: Wie definiert man sie? Nach ihrem Einkommen, ihrem Vermögen, ihrer finanziellen Fähigkeit, sich ein solches Kleid und eine sehr, sehr, sehr teure Karte für die Gala zu kaufen? »Besteuert uns Reiche«, das wäre vielleicht eine treffendere Präzisierung an diesem Ort und Abend - und dabei nicht einmal kontrovers, schließlich wird sie teils von US-Milliardären selbst aufgestellt, die das zerstörerische Potenzial zu großer und gleichzeitig zementierter Ungleichheit in der Gesellschaft längst erkannt haben. Zweite Vagheit: An wen ist die Forderung, für eine wie auch immer geartete Besteuerung zu sorgen, gerichtet? Vermutlich ist Alexandria Ocasio-Cortez als Kongressabgeordnete selbst in einer besseren Position als 99,99 Prozent aller anderen Menschen, dafür zu sorgen. Das soll also jemand anderes tun?
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Es wird also keine Forderung vorgetragen, die irgendjemanden in irgendeiner Weise überraschen oder überrumpeln könnte. Das liegt neben der Vagheit des Slogans auch daran, dass es keinerlei Fallhöhe dabei gibt. Das Kleid ist so »subversiv« wie ein selbst bezahltes T-Shirt mit dem Aufdruck »Feminism« von einer global agierenden Textilkette. So »erschreckend« wie ein Motörhead-Shirt aus gleichem Hause. So kapitalismuskritisch wie Benetton-Werbung Anfang der 90er Jahre. Derlei »Kritik« am System ist vollständig verinnerlicht - und dabei top vermarktbar. Es gab kein Risiko für Ocasio-Cortez, auf irgendwelche Widerstände zu treffen - was alles über die vermeintliche oder tatsächliche Provokation ihres Auftritts sagt.
Das Ärgerliche ist nicht der Vorgang selbst - sondern die Idee, ihm eine Bedeutung zu verleihen, die er schlicht und ergreifend nicht hat. Soll jeder und jede auf Partys und Empfänge gehen, wie er oder sie lustig ist, dabei anziehen was auch immer, die Handelswege der Aufmerksamkeitsökonomie bespielen - nur dann bitte nicht so tun, als stünde man gleichzeitig über dem ganzen Geschehen, habe keine Verantwortung für die Dinge, um schlussendlich vage zu fordern, was andere zu tun oder zu lassen haben. Und sei es auch nur, irgendwelche Reichen irgendwie zu besteuern.
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