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- Nach der Wahl in Norwegen
Rückkehr der Sozialdemokratie
Der Machtwechsel in Norwegen lässt auf neuen politischen Kurs hoffen – besonders in Steuer- und Klimafragen
In Oslo deuten alle Zeichen auf die Wiederauflage einer Koalition aus Sozialdemokratie, agrarischer Zentrumspartei und Linkspartei. Bis 2013 regierte eine solche unter dem damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Im norwegischen öffentlich-rechtlichen Sender NRK waren am Montagabend immer wieder ähnliche Szenen zu sehen gewesen: lange Gesichter auf der politischen Rechten, jubelnde, hüpfende Menschentrauben auf den Wahlpartys von Sozialdemokraten und Linksozialisten. Der Mitte-rechts-Block wird nach starken Einbußen von Konservativen, Christdemokraten und Rechtspopulisten nur noch auf 68 von 169 Sitzen im norwegischen Parlament, dem Storting, kommen – weit entfernt davon, eine Mehrheit bilden zu können.
Neuer Ministerpräsident wird voraussichtlich der Sozialdemokrat, ehemalige Außenminister und Multimillionär Jonas Gahr Støre. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei fuhr zwar ihr schlechtestes Ergebnis in fast 100 Jahren ein, kann aber dennoch die Regierung stellen. In Støres Wahlkampf stand soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt. Steuervergünstigungen für Besserverdienende sollen etwa zurückgenommen werden.
Interessant wird die Koalitionsbildung insbesondere in Klimafragen. Sowohl Grüne als auch Linkssozialisten haben im Wahlkampf angekündigt, keine Mehrheitsbeschaffer ohne Ausstieg aus der Erdölgewinnung zu werden. Nach der Veröffentlichung des IPCC-Berichts des Weltklimarates der Vereinten Nationen Anfang August hatte sich der Wahlkampf immer stärker um die Klimapolitik und ihre sozialen Auswirkungen gedreht.
Die norwegische Stromversorgung beruht heute zu 99 Prozent auf erneuerbaren Energiequellen, insbesondere mittels Wasserkraftanlagen. Schon 2025 sollen kaum mehr Verbrennungsmotoren in den Pkw auf den Straßen zu finden sein, bereits heute haben batteriebetriebene Fahrzeuge bei Neuwagen einen Marktanteil von 54 Prozent. Aber während im eigenen Land vorbildliche Klimapolitik betrieben wird, sinken Förderung und Export von Erdöl und Erdgas nicht merklich.
Die Grünen fordern das Ende der Erdölgewinnung bereits für 2035, nach Umfragen sind bis zu 35 Prozent der Norweger dafür, die Förderung zu beenden. Norwegen ist der größte Erdölexporteur Europas und seit den 1960er Jahren durch das schwarze Gold zu einem der wohlhabendsten Staaten der Welt geworden. Der staatliche Pensionsfonds Norwegens, größter Staatsfonds der Welt, verfügt über Vermögenswerte in Höhe von mehr als 1,2 Billionen Euro. Als größter Aktionär in der EU hält Statens pensjonsfond zum Beispiel jeweils über neun Prozent der Anteile an den Immobilienkonzernen Deutsche Wohnen und Vonovia.
Immerhin 14 Prozent der norwegischen Wirtschaftsleistung kommt aus der Erdöl- und Erdgasproduktion. Ein Ausstieg aus der Förderung ist kompliziert und in manchen Regionen unpopulär. Ungefähr 160 000 Arbeitsplätze hängen an der Branche – bei 5,4 Millionen Einwohnern eine beachtliche Zahl.
Schon am Wahlabend hatte Gahr Støre erklärt, er sehe Sondierungsgesprächen mit den möglichen Koalitionspartnern gelassen entgegen. Im Sender NRK erklärte der Politiker aber auch: »Die Mehrheit für einen Politikwechsel ist so groß, dass wir eine immense Verantwortung haben, eine stabile Regierung zu bilden.« Im neuen Storting wird neben einer kleinen Grünen-Fraktion und den leicht gestärkten Sozialisten auch die marxistische Partei Rødt mit einer achtköpfigen Fraktion vertreten sein. 47 Prozent der Abgeordneten im Parlament werden Frauen sein – ein historischer Rekord in dem Land.
Mit einem Ministerpräsidenten Støre wären alle Länder in Nordeuropa wieder sozialdemokratisch regiert. Mit Sanna Marin in Finnland, Mette Frederiksen in Dänemark und Stefan Löfven in Schweden haben die Norweger aber auch gemein, dass die goldenen Zeiten absoluter Mehrheiten vorüber sind. Regieren geht für die nordischen Sozialdemokratien nur noch in Mehrparteienkoalitionen mit teils anspruchsvollen kleineren Partnern. An der Frage des Tempos beim geforderten Ausstieg aus der Erdölförderung dürfte eine Regierungsbeteiligung der norwegischen Linkspartei aber nicht scheitern.
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