- Politik
- Europäische Union
Ein Herz für Kriege
Rede zur Lage der Union war gewürzt mit Emotionen und enthielt doch viele brisante Forderungen
Einmal im Jahr hält die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Rede zur Lage der Europäischen Union. Traditionsgemäß blickt sie dabei auf das vergangene Jahr zurück und wagt einen Ausblick in die Zukunft. Ursula von der Leyens (CDU) diesjährige Rede, die sie am Mittwoch vorm EU-Parlament im französischen Straßburg hielt, drehte sich um das europäische Seelenleben. »Europa braucht eine Seele, ein Ideal«, zitierte sie den französischen EU-Gründervater Robert Schuman. Im Zusammenhang mit der Coronakrise sprach sie gar von »gebrochenen Herzen« der Jugend. Trotz aller Gefühlsduselei: Die Rede der Präsidentin enthielt viele brisante Punkte, die wenig Herzenswärme ausstrahlten. Etwa die Pläne zur weiteren Aufrüstung der EU, um sie als militärischen Akteur auf der Weltbühne zu etablieren. »Wir müssen Stabilität in unserer Nachbarschaft garantieren«, sagte sie und prophezeite, dass künftig bei Militäreinsätzen »Nato und UN nicht präsent sein werden, aber die EU«.
Bei Özlem Alev Demirel läuteten da die Alarmglocken: »Was von der Leyen hier eigentlich sagt: Die EU soll künftig auch ohne Nato und Uno Kriege führen. Und das wird uns dann noch als Sicherheitspolitik verkauft«, kritisierte die Abgeordnete der Fraktion The Left gegenüber »nd«. So werde die globale Konkurrenz weiter angeheizt. »Das führt zu mehr Unsicherheit, denn so kann auch der nächste Krieg vom Zaun gebrochen werden«, warnte Demirel. Fakt ist: Die ersten Weichen für eine »Europäische Verteidigungsunion« sind im aktuellen Haushalt bereits gestellt: Mehr als 24 Milliarden Euro stehen dort für militärische Projekte bereit.
Besonders brisant: Die Präsidentin warb für eine engere Zusammenarbeit zwischen europäischen Nachrichtendiensten, um »Informationen zusammenzubringen«. Dabei nannte sie ausdrücklich auch die Polizeibehörden. Landen demnächst auch Polizeidaten in einer riesigen, militärisch nutzbaren EU-Datenbank? Zudem schlug sie vor, Käufe von in Europa hergestellten Rüstungsgütern künftig von der Umsatzsteuer zu befreien: ein Steuergeschenk an Rüstungskonzerne.
Beim Thema Migration offenbarte sich dann die ganze Doppelmoral der EU. »Menschen sind für uns keine Verhandlungsmasse«, betonte die Präsidentin mit Blick auf die Grenze zu Belarus, wo der Autokrat Alexander Lukaschenko seinen Verpflichtungen zur Flüchtlingsabwehr nicht mehr nachkommt. »Dabei nutzt die EU sehr wohl Menschen als Verhandlungsmasse, etwa beim Flüchtlingsdeal mit der Türkei«, meinte Özlem Alev Demirel. Die Kommission hat vor Kurzem ihr Migrations- und Asylpaket vorgelegt, das »verbesserte und schnellere Verfahren im gesamten Asyl- und Migrationssystem« vorsieht. Demnach sollen die Prüfungen der Asylanträge bereits an den Grenzen erfolgen. So können die Betroffenen dann auch gleich zurückgeschickt werden.
Lob gab es von der Präsidentin für das Konjunkturprogramm »Next Generation EU«, das Hunderte Milliarden Euro in die EU-Wirtschaft pumpen soll. Im gleichen Atemzug warnte sie: Europa habe bei der Halbleiterproduktion »teilweise den Anschluss verloren«. Tatsächlich gibt es gerade einen eklatanten Chipmangel in der EU. »Wir hängen von Chips ab, die in Asien produziert werden«, warnte von der Leyen. Sie kündigte einen neuen Rechtsakt an, der die europäischen Forschungs- und Designkapazitäten zusammenlegen soll. Das sei eine »Herkulesaufgabe«, räumte die Präsidentin ein.
Zudem äußerte sie sich kurz zu »sozialer Fairness«, die für die Präsidentin eine Frage der steuerlichen Gerechtigkeit ist. Konzerne sollen deshalb einen »fairen Beitrag« leisten. Gleichzeitig werde die EU weiterhin Steuerbetrug bekämpfen. Kein einfaches Unterfangen, solange EU-Mitglieder wie Irland oder Luxemburg weiterhin als Steueroasen für Konzerne und Superreiche fungieren. Der Fraktionsvorsitzende von The Left, Martin Schirdewan, verwies in seiner Rede dann auch auf die Fakten: »Die zehn reichsten Milliardäre Europas haben während der Pandemie ihr Nettovermögen um geschätzte 180 Milliarden Euro erhöht, während jedes fünfte Kind in der EU in Armut aufwächst oder davon bedroht ist.« Und ob dem angekündigten sozialen Klimafonds Taten folgen werden, bleibt abzuwarten. Schon jetzt litten 34 Millionen Europäer »unter Energiearmut«, begründete von der Leyen das Vorhaben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.