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Mehr Populismus wagen?
Warum Die Linke nicht zu ihren Wählern findet
Annalena Baerbock, Armin Laschet, Olaf Scholz. Die Öffentlichkeit blickt auf die Kandidaten und Parteien, die Aussichten auf die nächste Kanzlerschaft haben. Die Linke hingegen hat es schwer. Jene Partei, der die Wähler in Umfragen durchaus soziale Kompetenz zuschreiben, bleibt in den Wahlumfragen regelmäßig unter den eigenen Erwartungen. Und unter dem, was die Beteiligung an einer Regierung nahelegen würde.
Ihr Spitzenkandidat Dietmar Bartsch, Fraktionschef im Bundestag, stellte jüngst ein Steuerkonzept vor, das auf jene Breitenwirkung zielt, von der die Partei träumt. Das Steuerkonzept begünstigt die arbeitende Mehrheit des Landes, die zu wenig verdient und zu viel Steuern zahlt, wie Bartsch formulierte. Beides scheint sich gegenseitig zu bedingen – soziale Probleme und der Erfolg der Linken. Doch wenige, jedenfalls zu wenige Benachteiligte verbinden die Hoffnung auf Verbesserung ihrer Lage mit dieser Partei. Auch die Corona-Pandemie, die die sozialen Konflikte weiter verschärft hat, ändert daran nichts: Während Die Linke für die Interessen der Benachteiligten streitet, vergelten die es ihr nicht mit messbar zunehmender Sympathie. Selbst zehn Prozent erscheinen derzeit als utopisches Ziel.
Kein Zurück zur Protestpartei
Und die Gründe? Die Linke habe mit ihrer Entstehung die »Ausdifferenzierung des progressiven Lagers« vorangetrieben, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Sie habe daraus aber nichts gemacht. Es gebe kein Merkmal, für das allein Die Linke authentisch steht. »Die Linke führt Debatten, die andere seit Jahrzehnten auch führen.« Nur führe sie diese jetzt in der Todeszone der Existenzbedrohung, so Schroeder. Bei der Orientierung auf ihre bundesweite Ausdehnung habe sie ihre authentische ostdeutsche Prägung verloren, sei aber gesamtdeutsch am Ende nicht erfolgreich gewesen.
Schroeder, der als Parteienspezialist am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung arbeitet, beobachtet eine Verschiebung der bisherigen politischen Konfliktlinien, mit der Die Linke identifiziert wird – zum Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital, Gleichheit und Ungleichheit, oben und unten sei der zwischen Abschottung und Offenheit gekommen. Im Kampf um Identitäten, Migration und kulturelle Hegemonie habe sich die Partei ins Abseits manövriert. Sie sei in der Diskursarena der Grünen gelandet.
Damit habe sie ein wichtiges Feld preisgegeben. Man könnte dieses Feld als Populismus von links bezeichnen, den Die Linke brauche, um ihre Wähler zu erreichen, wie Schroeder meint. Den potenziellen Wählern der Linken gehe es um die Formierung des »Wir« gegen »die da oben«. Für sie stehe die Frage im Vordergrund: Macht Die Linke konkrete Politik für uns oder abstrakte Politik für die ganze Welt?
Man könnte das Steuerangebot der Linke-Spitze im Wahlkampf nun im besten Sinne populistisch nennen: Mit einem höheren Steuerfreibetrag und einem später einsetzenden Spitzensteuersatz, der aber auf 53 Prozent ansteigt, macht Die Linke einer breiten Wählerschicht ein lockendes Angebot, und nebenbei setzt sie die SPD als potenziellen Regierungspartner unter Druck. Denn sie lässt real erscheinen, was jene ebenfalls verspricht: Die Steuerbelastung der Bevölkerung wird mit dem Vorschlag von unten nach oben verschoben, weniger und normal Verdienende können nach Bartschs Ansage damit monatlich 100 Euro mehr behalten.
Eine Garantie, damit bei den Wählern zu landen, gibt es nicht. Doch ein Zurück ins Jahr 2009, als Die Linke wegen ihrer Rolle als Protestpartei mit fast zwölf Prozent in den Bundestag gewählt wurde, wird es nicht geben. Diese Rolle, von der sie über Jahre profitieren konnte, ist der Linken inzwischen verstellt. Nicht von der AfD, die diese Rolle übernommen hat, sondern von den Umständen, die sich verändert haben.
Protestwähler wollen gesellschaftliche Erregung erzeugen, die sie mit ihren als vernachlässigt empfundenen Interessen nicht erzeugen. Der Erfolg stellt sich für sie indirekt ein – jene Parteien, denen man einen Denkzettel verpassen möchte, reagieren wunschgemäß zwischen Empörung und Entsetzen. Ebenso wie die Medien, was für die Protestwähler einen erfreulichen Nebeneffekt hat: »Über den Erfolg wird geredet, nach den Ursachen gefragt, womöglich ändern Parteien ihre Politik – mit anderen Worten: Die Stimme wird endlich gehört, findet einen Widerhall.« So beschrieb Horst Kahrs vom Institut für Gesellschaftsanalyse bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung dieses Phänomen 2016 in einem Arbeitspapier.
Die PDS sammelte jahrelang vor allem im Osten Protestwähler ein, mit Entstehen der Linken ab 2005 kamen enttäuschte SPD-Wähler bundesweit hinzu, die wegen der Hartz-Reformen und der Agenda-Politik hofften, mit der Stärkung der Linken die Sozialdemokratie auf den rechten Weg zurückzubringen. Doch Die Linke hat ihre erklärten Ziele rund 15 Jahre später nicht erreicht, weder die SPD geläutert noch Hartz IV beseitigt.
Sie hat gleichwohl einen Platz im Parteiensystem gefunden und ist in mehreren Bundesländern auch als Regierungspartei wahrnehmbar geworden. Aber dort, wo Die Linke regiert, wird der Vergleich der Ziele und Versprechungen mit den realen Veränderungen möglich. Der Nimbus einer Protestpartei ging dabei unwiederbringlich verloren, wie auch das Spitzenpersonal der Partei selbst immer wieder einräumt.
Dazu kommt, dass sich die Verhältnisse für alle Parteien ändern – weg von traditioneller Parteienbindung, hin zum taktischen Wählen. Die politischen Konkurrenten der Linken haben diese Veränderungen zu einem Gutteil selbst herbeigeführt. Durch eine Politik, die auf Individualisierung der Menschen und Vereinzelung ihrer Interessen zielt, auf Kosten ihres Zusammenhalts. Und durch das Verschwimmen programmatischer Unterschiede zwischen den Parteien.
Die Linke, die sich dieser Politik entgegenstellte, leidet neben der SPD am meisten unter dem Ergebnis, wenn man es am Wahlverhalten misst. Zum Verwischen der Grenzen des Mitte-links-Lagers trägt jedoch auch sie bei; jedes Beschwören von Gemeinsamkeiten, als das die zahllosen Koalitionsangebote an SPD und Grüne missverstanden werden müssen, trägt dazu bei. Im Streit um die Thesen Sahra Wagenknechts findet sich wie in einem Brennglas der Kern des Problems. Er wird als Debatte über die Priorisierung von Marginalisierten und Benachteiligten missverstanden, nach dem Motto: Welche Ungerechtigkeit ist ungerechter? Obwohl es um die Frage nach den Ursachen des Unrechts geht.
Traditionelle Bindungen lösen sich auf
Zumindest passt dazu, dass Wähler sich heute kurzfristig und nach wechselnden Motiven entscheiden, traditionelle Lager und Parteibindungen sich auflösen. Und das bei gleichzeitig zunehmender Verwechselbarkeit der Parteien. Horst Kahrs spricht lieber von einem »pragmatischen Realismus« vieler Leute – die bei Wahlen nach einer Koalition suchten, »die ihnen nicht allzu sehr schadet«. Erst recht gelte das in unserem »katastrophischen Zeitalter«, wie Kahrs es nennt. Krisen bestimmen die Nachrichten weltweit wie im eigenen Land – halbwegs ungeschoren davonzukommen, wird zum Ziel vieler Menschen. Dies ist ein Plus für konservative Parteien. Wenngleich die gegenwärtigen Umfragen eine andere Sprache zu sprechen scheinen.
Diesseits der Union - Was spricht für eine rot-grün-rote Bundesregierung?
Auch Horst Kahrs sieht einen Mangel an programmatischer Orientierung der Linken, nachdem der Kampf gegen Hartz IV als gescheitert gelten muss. Von einem Populismus als Verbeugung vor den Menschen, die sich von der Linken abwenden, hält er allerdings nichts. Es gehe nicht »um ein paar populäre Forderungen«, sondern darum, ob die Wähler in der Partei »Leute von uns oder von hier« wiedererkennen, sich zumindest repräsentiert sehen, mit ihrer Art zu leben. Zugleich habe sich die Lebensrealität vieler Menschen verändert, auch darauf müsse die Partei reagieren. Die Wirklichkeit und damit auch die Interessen der Menschen seien pluraler geworden, es sei also auch schwieriger geworden, breite Zustimmung zu bekommen.
Kahrs findet wichtig, den Leuten zu erklären, was linke Forderungen für ihren Alltag bedeuten. Andere Parteien setzten im Angesicht von Krisen auf Eigenverantwortung von Menschen oder Unternehmen. Etwa, um der Klimakrise zu begegnen. Die Linke könne einen anderen Ausweg zeigen. »Weil Strukturen es sind, die die Menschen zu ihrem Verhalten veranlassen, müssen diese so gestaltet werden, dass die Menschen sich im Alltag auch klimafreundlich verhalten können.«
Dass Die Linke nicht zu den Menschen durchdringt, deren Interessen sie zu vertreten bemüht ist, das wird in der Partei durchaus bemerkt. In einem Buch hatte Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion im Bundestag, vor Monaten dafür geworben, sich den Menschen zu stellen, von denen man gewählt werden will. Und er plädierte eindringlich dafür, »niemals herabzublicken«. Damit sprach auch er den in der Partei schwelenden Konflikt über die Bestimmung der Linken an. Ob man von vielen Menschen gewählt wird, hängt zu einem Gutteil davon ab, dass man von diesen als gleichgesinnt erkannt wird.
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