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Verteidigungshaushalt wächst weiter
Linke Demokraten in den USA bemühen sich vergeblich, die Ausgaben für Massenvernichtungswaffen zu reduzieren
Einiges hat sich geändert unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden, nicht aber die Atomwaffenpolitik. Die Modernisierung der Atomwaffen sei »Priorität Nummer eins des Verteidigungsministeriums«, heißt es sogar in einem Pentagon-Dokument, aus dem das Portal »National Defense« zufrieden zitiert. Laut dem Militärmagazin hätten »einige gehofft, andere gefürchtet«, dass Biden eine Wende einleiten würde, stattdessen gebe es Kontinuität seit der Regierung von Barack Obama.
Der erste Schwarze US-Präsident hatte im April 2009 in einer Rede in Prag seine Vision einer atomwaffenfreien Welt erklärt. Tatsächlich handelte die Obama-Regierung mit Russland das ein Jahr später verabschiedete New-Start-Abkommen aus, das eine Reduzierung der Atomsprengköpfe beider Länder auf jeweils 1500 Bomben vorsah. Doch die Zustimmung der Republikaner kam nur mit einer Gegenleistung: ein Modernisierungsprogramm für die verbliebenen Raketen, deren Instandhaltung seit Ende der Sowjetunion keine Priorität gewesen war.
Die Zeit der US-Uranminen ist vorbei, daran wird vermutlich auch die kleine Preisrallye an den Börsen in den vergangenen Tagen nichts ändern. Der Grund für den Niedergang der Uranproduktion in den USA sind Marktliberalisierung und sinkende Nachfrage. Zu den goldenen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg entstand im Westen der Vereinigten Staaten für einige Jahre ein regelrechter Atom-Goldrausch, angetrieben durch Regierungssubventionen. Umgerechnet auf den heutigen Wert des Dollars stellte die US-Regierung damals 95 000 Dollar für die Entdeckung und Ausbeutung neuer Uranvorkommen bereit und garantierte für den Atombombenbau zu Hochzeiten des Kalten Krieges und mit Beginn des Atomzeitalters und seiner Kernreaktoren auch die Abnahme. Bereits ab Mitte der 1960er Jahre waren die Vorratslager so voll, dass man die Erkundungssubventionen einstellte. Erst 1975 wurde die Nutzung von nicht im Land geförderten Urans erlaubt. Das öffnete die Tür für günstiger produziertes Uran aus Kanada und Australien, wo die Vorkommen reiner sind, was Herstellungskosten ermöglicht, mit denen die US-Minen nicht mithalten konnten.
Die Uranproduktion in den USA stieg mit der weiteren Verbreitung von Atomstrom von 2,5 Millionen Kilogramm im Jahr 1955 auf einen Spitzenwert von 21,5 Millionen Kilogramm 1980. Doch die Kernschmelze im Three-Mile-Island-Reaktor in Pennsylvania 1979 sorgte für einen scharfen öffentlichen Backlash gegen die Atomkraft im Land, der durch den Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 nur verstärkt wurde. Die letzten neu gebauten Atomkraftwerke in den 1990er Jahren - weniger als noch in den 1980ern angedacht - wurden dann dank eines Abkommens ab 1993 zunehmend auch mit russischem Uran gefüttert, das 20 Jahre lang ein Drittel des Treibstoffs für US-Atomkraftwerke stellte.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends war die Produktion in den USA auf 1,5 Millionen Kilogramm gesunken. In Erwartung erhöhter Nachfrage stieg sie vor rund zehn Jahren wieder etwas, auch weil nun Kasachstan mit billig gefördertem Uran in großem Stil auf den Weltmarkt drängte. Gleichzeitig ist die US-Atomstromproduktion in den letzten Jahren mit dem Boom des billigen Fracking-Gases immer weniger wettbewerbsfähig geworden. Aktuell trägt auch der Ausbau der erneuerbaren Energien mit seinen geringen Erzeugungskosten dazu bei. Auch das US-Militär hat laut Behördenschätzungen noch so große Vorräte, dass es vermutlich erst im Jahr 2060 Nachschub bräuchte für die Atomwaffen des Landes. Trotzdem sind die Preise für Uran an der US-Börse seit August um 20 Prozent gestiegen. Dahinter steckt aber vor allem Spekulation. Zum einen durch einen Hedgefonds, der im großen Stil Uran aufkauft, zum anderen heizen offenbar auch die Kleininvestoren aus dem Reddit-Forum WallStreetBets die Entwicklung an, indem sie sich verabreden, Kurse hochzutreiben. Die Preisrallye dürfte bald zusammenbrechen, prognostiziert die US-Bank Morgan Stanley. Der Grund: Das fundamentale Verhältnis von Angebot und Nachfrage habe sich »nicht geändert«. mwi
Rund 1200 Milliarden US-Dollar könne dies in den kommenden 30 Jahren kosten, hieß es laut Schätzung vor zehn Jahren. Nun wird es noch teurer. Laut Schätzung der US-Parlamentsökonomen vom Congressional Budget Office kosten Bereitschaft, Erhaltung und Modernisierung der Atomwaffen des Landes in den nächsten neun Jahren 634 Milliarden Dollar.
»Es gibt einen generellen Konsens, dass einige Teile des Systems, die besonders fehleranfällig sind - besonders Kommando und Kontrolle -, für eine funktionierende Abschreckung modernisiert werden müssen«, sagt John Tierney, geschäftsführender Direktor des Council for a Livable World (CFALW). Die Organisation setzt sich gemeinsam mit ihrer Schwesterorganisation, dem Center for Arms Control and Non-Proliferation, für eine Welt ohne Nuklearwaffen ein. Die nun geplante Entwicklung neuer kleiner Atombomben habe einen »destabilisierenden Effekt« und sei unnötig, so der ehemalige Kongressabgeordnete der Demokraten Tierney, der von 1997 bis 2015 den sechsten Wahlbezirk in Massachusetts vertrat.
Das New-Start-Abkommen habe ein andersartiges nukleares Wettrüsten zwischen Russland und den Vereinigten Staaten ausgelöst, sagen Kritiker. Beide Länder arbeiten wegen der Begrenzung der Zahl der Sprengköpfe nun mittels Modernisierung daran, die verbliebenen Atombomben noch präziser und mobiler, noch intelligenter und noch stärker zu machen. Dieser Fokus findet sich auch im Atomwaffenbudget für 2022. Das Pentagon und die Atomwaffenbehörde National Nuclear Security Administration sollen laut Entwürfen der Biden-Regierung mit 43,2 Milliarden Dollar zwar rund eine Milliarde weniger als in diesem Jahr erhalten. Doch vier Atomwaffenmodernisierungsprogramme sollen 2022 mit deutlich mehr Mitteln bezuschusst werden - die Modernisierung der Atomwaffen wird also beschleunigt. Das Programm für eine neue, aus der Luft von Militärflugzeugen in hoher Distanz abgefeuerte und dann selbstständig fliegende Bombe (Long-Range Stand Off Weapon - LRSO), soll statt der zunächst geplanten 385 Millionen nun 609 Millionen Dollar erhalten.
»Der militärisch-industrielle-parlamentarische Komplex hat die Ausgabenplanung des US-Parlaments fest im Griff, auch wenn die immer weitere Ausgabensteigerung keinen Sinn ergibt«, sagt CFALW-Direktor Tierney. Dann erzählt er vom kürzlich gescheiterten Versuch eines US-Senators, das Budget des Verteidigungsministeriums um 50 Milliarden Dollar zu erhöhen, ohne konkrete Festlegung, wofür das Geld verwendet werden soll - einen Teil davon »vermutlich« für Nuklearwaffen. Das sei ein Beispiel für »die missgeleitete Einstellung einiger Parlamentarier, dass es politische Stärke bedeutet, Geld in den Verteidigungssektor zu pumpen«. Doch es gebe eine wachsende Zahl von progressiven Demokraten um die Senatoren Elizabeth Warren, Ed Markey und Jeff Merkley, für die Amerikas Sicherheit nicht nur von der Höhe der Militärausgaben abhänge, so Tiernay. Auch viele Kongress-Abgeordnete besonders aus dem Umfeld der Vereinigung der Parteilinken »Congressional Progressive Caucus«, würden versuchen, die Atomwaffenmodernisierung »intelligenter« zu gestalten und die Militärausgaben im Zaum zu halten, so Tierney.
Um rund 25 Milliarden Dollar will Joe Biden den Verteidigungshaushalt für das Haushaltsjahr 2022 erhöhen. Insgesamt 716 Milliarden Dollar sind bisher eingeplant - ein Anstieg von 1,4 Prozent gegenüber 2021. Aktuell macht der militärisch-industrielle Komplex im Land - Angehörige des Sicherheitsapparats, Lobbyisten der Rüstungskonzerne, Mitarbeiter von Thinktanks und Verteidigungspolitiker beider Parteien - mobil für weitere Erhöhungen. Denn der Anstieg entspreche nicht der Inflation, sagen insbesondere die Republikaner. Ende September wird das Repräsentantenhaus abstimmen, danach der Senat und schließlich folgt die Unterschrift durch den US-Präsidenten.
Parteilinke um Bernie Sanders versuchen seit Jahren, den ständig anwachsenden Verteidigungshaushalt zumindest etwas zu kürzen. Spitzenreiter USA gibt aktuell so viel für sein Militär aus wie die auf den Plätzen zwei bis zwölf folgenden Staaten zusammen. Zuletzt schlug Sanders im April 2020 eine zehnprozentige Reduzierung vor. Doch nur 23 Senatoren der Demokraten stimmten im Juli dafür. Zweckoptimistisch verkündete Sanders nach der Abstimmungsniederlage, dies sei »ein Schritt vorwärts« und dass er weiterkämpfen werde für »eine Gesellschaft, die soziale Verbesserungen über Massenvernichtungswaffen stellt«.
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