Nukleares Erbe im Reservat

Im Land der indigenen Najavo im Südwesten der USA wurde ab 1944 Uran für Atombomben abgebaut. Der Bergbau hat das Gebiet kontaminiert. Die Gefahr der alten stillgelegten Minen ist bis heute nicht gebannt

  • Shawn Simpson
  • Lesedauer: 8 Min.

Das Land der Familie von Jason Nez ist trocken und weitläufig. Wer es erreichen will, muss über lange Staubpisten im US-Bundesstaat Arizona fahren. Es sind Wüstenstraßen, die scheinbar im Nirgendwo mit dem Horizont verschmelzen. Doch das Land, auf dem seine Vorfahren als Indigene noch ein einfaches Leben führten - ohne Elektrizität und fließendes Wasser - ist heute verlassen.

»Meine Großeltern haben hier noch traditionell gelebt, haben aus dem Fluss und dem Brunnen getrunken. Doch dann kam der Bergbau, und plötzlich sind die Rinder krank geworden und gestorben«, erzählt Nez. Der junge Mann mit dem schwarzen Haar und dem freundlichen Lächeln ist Mitglied der Najavo, der zweitgrößten indigenen Gruppe in den Vereinigten Staaten. Er wurde hier im Reservat geboren, noch heute besitzt seine Familie dieses Stück Land in der Nähe von Coal Mine Canyon, das seine Familie in den 1990er Jahren verlassen hat.

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Zwei kleine Häuser stehen hier noch, ein paar verlassene Rinder weiden im Hintergrund, der Brunnen ist mit einem Schild als kontaminiert markiert, in der Ferne sieht man die San-Francisco-Berge. Die Bergkette in Arizona gilt den Navajo als heilig. Nez liest ein Bruchstück eines Keramiktopfes vom Boden auf, es trägt ein traditionelles Muster. »Das wurde wahrscheinlich von meiner Großmutter oder Urgroßmutter gemacht.«

Wenn man an die Navajo denkt, dann hat man oft ihre traditionellen Häuser im Kopf, ein hartes Leben unter der Wüstensonne, weite Wüstenlandschaften und wilde Pferde. Woran allerdings keiner denkt, ist Uran. »Viele Familien wurden durch die Kontamination verdrängt«, erklärt Nez.

Er hatte schon viele verschiedene Jobs, hat für die Nationalparkbehörde gearbeitet, gegen Waldbrände gekämpft, er hat Pferde trainiert und Jugendlichen die Najavo-Kultur und den Umweltschutz nähergebracht. Seine Familiengeschichte steht für das, was hier vielen widerfahren ist, für den Kampf der Indigenen um ihr Land, ihre Geschichte und die Rolle, die der Uranbergbau dabei gespielt hat - und es immer noch tut.

Auf einem alten Pfad hebt Nez ein versteinertes Stück Holz auf. Vergleichbares findet man hier immer wieder. »Nach Legenden der Navajo sind diese Holzfossile versteinerte Monster, und auf eine Art ist es wahr, weil sie benutzt wurden, um Uran aufzuspüren - das Zeug, das uns vergiftet.« Jeder Navajo kenne jemanden, der in Minen gearbeitet hat, dort krank geworden oder gestorben ist.

Leona Morgan zum Beispiel. Sie ist Gründerin der Gruppe Diné Nukes, die zum Uranmüll im Reservat forscht. Ein Teil ihrer Familie wurde nach der Arbeit in der Mine krank und bekam Krebs. Seit Jahren schon kämpft Morgan als Aktivistin dafür, dass Betroffene für ihr Leiden entschädigt werden. Doch für die Geschädigten sei es schwierig, vor Gericht zu beweisen, dass ihre Krankheitsverläufe auf die Minen zurückzuführen sind, sagt sie. Und das, obwohl die US-Umweltbehörde EPA als ein Risiko für menschliches Leben eingestuft hat, wenn Menschen einer Uranbelastung in Boden, Staub, Luft, im Grundwasser sowie in Steinhaufen und Baumaterialien für Häuser ausgesetzt sind. Morgan und ihre Gruppe engagieren sich seit 2014 auch gegen den Bau einer neuen Mine.

Die Reservate der Navajo und der Hopi, die westlichste Gruppe der Pueblo-Indianer im Nordwesten von Arizona, befinden sich in der »Four corners«-Region im Südwesten der Vereinigten Staaten, genau dort auf der Landkarte, wo die Staaten Arizona, New Mexico, Utah und Colorado aneinandergrenzen. Die Reservate liegen auf dem Colorado-Plateau, einer Hochebenenwüste, die für ihre roten Sande und die runden Tafelberge bekannt ist - und die Kulisse für viele Westernfilme liefert. Doch die Region war auch nuklearer Rohstofflieferant im Kalten Krieg.

Im Jahr 1944 startete die US-Regierung den Uranbergbau im Land der Navajo als Teil des militärischen Manhattan-Projekts zur Entwicklung und zum Bau der Atombombe. Mit dem Höhepunkt des Kalten Krieges boomte der Uranbergbau in dem Indigenen-Reservat. Laut Schätzungen wurden im Lauf der Jahrzehnte in den mehr als 500 Minen in der Region etwa 30 Millionen Tonnen Uran gefördert. Die tatsächliche Menge ist nicht bekannt.

Einige Minen wurden gegen den Willen der Stämme oder Familien, die in der Gegend leben, eingerichtet, oder auch nach falschen Versprechungen. Viele Männer der Navajo erhielten Arbeit in den Minen, ohne jedoch vor den Gesundheitsgefahren gewarnt oder für Erkrankungen entschädigt zu werden. Andere wurden ohne ihre Einwilligung Teil von Regierungsstudien zu radioaktiver Verstrahlung.

Viele Minenprojekte wurden mit zweifelhaften Verträgen und ohne freie und wirksame Zustimmung von Anwohnern und Arbeitern gestartet, berichtet Leona Morgan. Doch die Aktivistin und Forscherin weist auch darauf hin, dass es Verbesserungen gegeben habe. Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker habe den Betroffenen in ihren Gerichtsverfahren geholfen. Doch noch immer breche die US-Regierung Vereinbarungen und Verträge mit den Indigenen, wann immer es in ihr Konzept passt. Die Selbstverwaltung des Navajo-Reservats selbst beschloss 2005 ein Verbot von Uranbergbau. Nun geht es um die Langzeitfolgen des früheren Uranbergbaus.

Das Colorado-Plateau ist im Sommer glühend heiß und im Winter beißend kalt. Es gibt kaum Vegetation, und die Entfernungen zwischen Dörfern und Siedlungen sind groß. Viele Häuser und Hütten stehen an Feldwegen oder am Ende von Trampelpfaden. Viele hier wohnen ohne die typischen Annehmlichkeiten des modernen Lebens wie fließendes Wasser, Elektrizität und einem Abwassersystem. Armut und Arbeitslosigkeit sind allgegenwärtig in den Gemeinden. Auf dem Colorado-Plateau ist das Leben nicht einfach.

Trotzdem können sich viele Navajo und Hopi nicht vorstellen, ihr Land jemals zu verlassen. »Die Navajo sind sehr verbunden mit dem Land«, sagt Nez. Für sie sei es heilig und Teil von dem, was sie ausmache. Und es ist ihre Heimat. Trotzdem vergiftet sie der Boden seit Jahrzehnten, dem sie seit jeher versuchen, eine Ernte abzuringen.

Rund 30 Meilen entfernt vom Grundstück seiner Eltern hält Nez seinen Truck an einer Ruine an. Es sind Betonfundamente, von Stacheldraht umzäunt, Metallreste liegen herum und ein altes Kinderdreirad. »Das war mal eine Mühle für seltene Metalle«, eine der Stellen im Reservat, wo die Minenbetriebe den geförderten Erz weiterverarbeiteten, erklärt Nez. In den 1990er Jahren sei sie »endlich« von der US-Umweltbehörde EPA geschlossen worden. Heute stehen nur noch die Fundamente der Arbeiterwohnungen, doch jahrzehntelang haben die Menschen hier einfach weiter gelebt und gearbeitet.

»Das Problem ist: Ein Teil der Metalle sickert ins Grundwasser, was hier relativ nah unter der Oberfläche fließt«, so Nez. Im Umfeld der alten Mine kauen Kühe am kargen Gras und an Ästen. »Die Kühe essen das kontaminierte Gras, was auf kontaminierter Erde und mit kontaminiertem Grundwasser wächst.« Zudem hätten die Anwohner nach Schließung der Metallmühle und Aufgabe des Geländes vermutlich ebenfalls kontaminierte Bauteile der Arbeiterwohnungen zum Bau der eigenen Häuser verwendet.

Nez sorgt sich auch um das Dorf Moenkopi. Es sei eine kleine Oase in der Wüste und liege südlich und talseitig vom verseuchten Land an der Uranmühle. Der Ort ist noch nicht kontaminiert, viele Einwohner kaufen dort trotzdem ihr Trinkwasser nur noch im Supermarkt. Zur Bewässerung ihrer Felder müssen sie weiterhin ihr Grundwasser verwenden, während das kontaminierte Wasser der Uranmühle immer weiter talwärts sickert. Und dann gebe es noch unverschlossene Minen unter der Wasseroberfläche von Lake Powell. Diese alten Minen werden freigelegt, sobald der Wasserspiegel des Sees in Folge der Klimakrise und der steigenden Trockenheit in der Region weiter absinkt, erklärt Nez und verweist damit auf die vielfältigen lauernden Umweltgefahren aus dem nuklearen Erbe der Region.

Das Wissen über den Status der Minen ist weitgehend verschwunden - mit dem Verlust von Erinnerungen, alten Akten und Karten. Es gibt Zweifel, wie ordentlich die stillgelegten Minen tatsächlich verschlossen wurden. Die US-Regierung arbeitet mit den Navajo im Zuge von Fünfjahresplänen, erklärt Aktivistin Leona Morgan. Die Diné Uranium Remediation Advisory Commission soll dabei die Interessen der Indigenen vertreten. 523 Minen, die verschlossen und aufgeräumt werden müssten, habe die Zentralregierung inzwischen identifiziert. »Sie haben 200 verschlossen, sagt die Regierung, aber wie gut, das ist fraglich«, kritisierte Morgan. Die Budgets müssten erhöht werden, kritisiert die Indigene. »Sie sollten Geld für alle 15 000 Minen einplanen und diese Schweinerei in Ordnung bringen«, so die frustrierte Forscherin. Diese wesentlich höhere Zahl an betroffenen Minen erkennt die Umweltschutzbehörde EPA auch an, hat aber aktuell nur begrenzte Mittel und konzentriert sich deswegen auf die besonders gefährlichen und solche, die nahe von Quellen und Ortschaften liegen.

Aktuell gibt es etwas Bewegung: Die neue Biden-Regierung und die EPA haben 220 Millionen Dollar für den Rückbau der alten Uranminen im Reservat bereitgestellt. Ein Großteil der Mittel kommt von Strafgeldern im Zuge eines Vergleichs, den die US-Regierung nach einem Prozess mit dem Minenkonzern Kerr-McGee schloss, der im Reservat von 1940 bis in die 1960er Jahre Uran abgebaut und anschließend Minen mit kontaminierten Steinhaufen hinterlassen hatte.

In der Region gebe es viel Graswurzelaktivismus, um sicherzustellen, dass der Rückbau auch tatsächlich passiere, erzählt Morgan und meint damit die Red Water Community Association oder die Gruppe Eastern Navajo Dine Against Uranium Mining. »Außerdem viele kleine Gruppen, nicht alle haben Namen, es gibt keine Dachorganisation«, erklärt Morgan.

Doch es gibt unter den Indigenen auch einige, die eine Rückkehr der Minen wollen. Sie sehen sich nach sicheren Jobs, auch wenn sie ungesund und ausbeuterisch waren. Aus Sicht von Morgan verstehen die »Nostalgiker« die Gefahren des Uranabbaus nicht. Auch in Teilen der US-Regierung gebe es ein Bedürfnis nach einem Comeback des Uranbergbaus, sagt Morgan. »Im neuen Verteidigungshaushalt sind Gelder für weitere Atomwaffen eingeplant« und für die brauche man Uran, so Morgan.

Übersetzung: Moritz Wichmann

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