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Die Macht der Titel

Die Umbenennung von Kunstwerken wie jetzt in Dresden ist kein linksgrüner Bildersturm, sondern Korrektur historischen Unrechts

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 3 Min.

Alle tun es. Staaten, Produkte, Personen. Ab und an ändern sie ihre Namen. Im Schulatlas unserer Eltern firmierte Sri Lanka noch unter Ceylon, der Schokoriegel Twix hieß in den Supermärkten der 1980er Jahre Raider und ein italienischer B-Movie-Darsteller namens Mario Girotti machte als Terence Hill plötzlich Weltkarriere. Geärgert hat das bislang niemand. Aber wehe ein Kunstwerk wird umgetauft! Dann ist der Aufschrei groß.

So wie unlängst in Dresden. Dort haben die Staatlichen Kunstsammlungen (SKD) 143 von insgesamt fast 1,5 Millionen Kunstobjekten mit neuer Bezeichnung versehen, was die AfD zu einer Kleinen Anfrage an die sächsische Landesregierung veranlasste. Einmal mehr wittern die Rechtspopulisten linksgrün versiffte Sprachpolizei. Warum? Weil das gemeinsame Online-Verzeichnis des Museumsverbunds diskriminierende Termini wie »Mohr« oder »Zigeuner« in Bildtiteln durch Sternchen ersetzt hat oder aus »Eskimos« »Inuit« wurden. Diese rein sprachliche Modifikation erscheint der plötzlich überraschend kulturbeflissenen Volkszornpartei als »linke Bilderstürmerei«.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Bereits durch diesen Vergleich enttarnt sich eine rechtsbürgerliche Doppelmoral, die vor einiger Zeit die Protestaktionen gegen die Denkmale amerikanischer Sklavenhalter als schändlich kritisierte, aber bis heute die Zerstörung von Marx- und Leninskulpturen nach 1989 eifrig beklatscht.

Nun ist die künstlerische Freiheit tatsächlich ein hohes Gut und auch, wer nicht im wutbürgerlichen Empörungschor der sächsischen AfD-Fraktion mitbrüllen will, mag sich fragen: Darf man das wirklich, Namen von Kunstwerken ändern?

Doch, man darf. Zumindest, wenn es so planvoll geschieht wie in Dresden. Denn Originaltitel, also solche, die auf den Schöpfer oder die Schöpferin zurückgehen, blieben unangetastet. Viele ältere Kunstwerke dagegen haben ihre Titel überhaupt nicht vom Künstler oder der Künstlerin erhalten, sondern von Museumsleuten oder Kunsthändlern, die irgendeine griffige Formulierung für Kataloge und Inventarlisten brauchten. Ein Urheberrecht, das verletzt werden könnte, existiert in diesen Fällen also gar nicht. Kein Renaissancemeister hat für seine Gemälde schriftliche Titel festgelegt. Wäre dem so, müssten die Gelehrten nicht bis heute darüber streiten, welche rätselhafte Dame auf Leonardos »Mona Lisa« abgebildet ist.

Die Verleihung von Namen oder Titel ist stets der Gestus einer Autorität: sei es der elterlichen, der schöpferischen oder der staatlichen. Und wie bei jeder sprachlichen Äußerung lauern auch hinter der Namensgebung für museale Objekte die Intentionen der Macht. Wer eine von einem Bewohner Zentralafrikas geschaffene Statue bewusst als »Negerplastik« bezeichnet, nimmt damit eine recht konkrete politische Haltung ein. Die Verwendung des kolonialrassistischen Begriffs beschwört eine imperiale Ideologie, die Menschen nach Hautfarben klassifiziert hat, um die koloniale Unterdrückung dunkel pigmentierter Personen moralisch zu rechtfertigen. Die neuen Titel sind der längst überfällige Akt einer Wiedergutmachung vergangenen Unrechts.

Der nationalkonservative Protest gegen die Umbenennungen artikuliert letztlich nur das Festhaltenwollen bestimmter, über die AfD hinausragender Kreise an vorgestriger Deutungsmacht und ihre Angst vor emanzipativer Veränderung. Mit dem Dresdener Werktitelstreit wiederholen sich Affekte und Argumentationsmuster, die auch in der Diskussion um die Änderung kolonialer Straßennamen auftraten.

Der nun abermals erhobene Vorwurf einer Geschichtsfälschung läuft jedoch ins Leere, schließlich haben die Dresdener die unterschiedlichen historischen Ebenen in der Betitelung recht gut abgebildet.

Klickt der Besucher der SKD-Homepage im Online-Katalog bei einer populären Skulptur aus dem Grünen Gewölbe auf die Asterisken im Werktitel »**** mit der Smaragdstufe«, wird nach einer kurzen Erläuterung die frühere Bezeichnung »Mohr« angezeigt. Gleichsam als die tiefer liegende archäologische Schicht. Vokabeln wie »Zigeuner«, »Hottentotten« oder das N-Wort sind zweifellos Bestandteil unserer Vergangenheit. Aber eben nicht unserer Gegenwart. Und (hoffentlich) auch nicht unserer Zukunft.

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