Nicht schon wieder diese Diskussion

DER KHAN-REPORT: Wen und ob ich wählen würde? Ich darf es sowieso nicht

  • Ayesha Khan
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist Ende August. Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Noch strahlt die Sonne, und wir sitzen vor einem Café. Es ist still. Eine Freundin fragt aus dem Nichts: »Und? Wissen wir schon, was wir im September wählen?« Am Tisch sitzen vier Menschen, die alle ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, drei von ihnen sind in Deutschland geboren, alle sind hier zur Schule gegangen, aber zwei von ihnen dürfen nicht an der Bundestagswahl am Sonntag teilnehmen.

Nicht schon wieder diese Diskussion! Ich rolle mit den Augen, was natürlich nicht unbemerkt bleibt. Meine Freund*innen sind irritiert. Normalerweise bin ich die Person, die politische Diskussionen anstößt, und alle anderen sind genervt und rollen mit den Augen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Ja, ich bin manchmal ein party pooper. Doch seit über 30 Jahren muss ich regelmäßig Bekannten erklären, was ich wählen darf und wann und was nicht und wieso ich seit 2021 als britische Nicht-EU-Bürgerin gar nichts mehr wählen darf. Von der Diskussion, ob Wahlen und dieses parlamentarische System überhaupt sinnvoll sind, will ich hier gar nicht anfangen. It is debatable.

Das Problem ist politische Teilhabe an sich – beziehungsweise in meinem Fall und dem Fall von Millionen anderer Menschen die politische Nicht-Teilhabe und willentliche Ausgrenzung und somit Diskriminierung von Menschen, die trotzdem von politischen Entscheidungen und Gesetzen betroffen sind, ohne dass sie die Vertreter*innen für die Gesetzgebung wählen dürfen.

Und die Zahl dieser Menschen steigt. Allein knapp zehn Millionen Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, dürfen nicht wählen. Unter ihnen viele Nachfahren von Gastarbeiter*innen, Menschen mit Fluchtbiografie oder eben ich.

ZEHN Millionen Menschen. Eine Zahl, die Politiker*innen eigentlich motivieren sollte, ein progressiveres Wahlrecht einzuführen. Zehn Millionen potenzielle Wähler*innen für ihre Parteien. Andererseits: Wer sind diese zehn Millionen Menschen überhaupt? Welche Themen und Probleme beschäftigen diese Menschen und die anderen, die nicht wählen dürfen?

Die letzte Bundestagswahl war im Jahr 2017. Danach folgten ereignisreiche Jahre. Naturkatastrophen, das Urteil von Beate Zschäpe, der Mord an Walter Lübcke, Halle, Hanau, rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr und verschwundene Waffen, Klimakatastrophe und Fridays for Future, die Corona-Pandemie, Querdenken, Pflegenotstand, Waldbrände und Überschwemmungen, Afghanistan.

Während dies und andere soziale Fragen die Themen sind, die mich beschäftigen, spielt sich auf den Triell-Bühnen und allgemein im Wahlkampf ein anderer Film ab. Gefühlt dominieren Themen wie das Gendern oder Identitätspolitik und rechte Narrative den politischen Diskurs. Was man sagen dürfe oder nicht. Oder ob sich 2015 wiederholen darf. Mein Blick von außen auf diesen Wahlkampf: So rechtsoffen wie dieses Jahr habe ich selten einen Wahlkampf erlebt.

Wen ich wählen würde, wenn ich dürfte? Ob ich wählen würde, wenn ich dürfte? Ich weiß es nicht. Die Tatsache, dass ich und viele andere Menschen es nicht dürfen, macht mich aber wütend. Die Tatsache, dass Menschen, die am meisten negativ von politischen Entscheiden betroffen sind und unter diesen leiden müssen, keinerlei Perspektiven haben, macht mich wütend.

Wir sitzen also an diesem Tisch vor dem Café. Die Sonne scheint. Wir versuchen den Sommer zu genießen. »Und? Wissen wir schon, was wir im September wählen?«, fragt eine Freundin. Ich rolle mit den Augen. Niemand hat Lust, diese Frage zu beantworten. Vielleicht auch deshalb nicht, weil niemand sagen kann, was gewählt wird.

»Ist egal, was wir wählen oder ob wir überhaupt wählen«, sagt eine andere Freundin, während sie einen Schluck von ihrer Limonade nimmt. Ich bin etwas überrascht. Damit habe ich nicht gerechnet. »Sie sollen uns einfach in Ruhe lassen. Ich kann nicht mehr.« Und eigentlich habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen.

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