Sibirien wählt Rot

Die Kommunistische Partei (KPRF) legt bei den russischen Parlamentswahlen zu - und verliert in Moskau

  • Ute Weinmann, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn in Russland über die Zusammensetzung des neuen Parlaments abgestimmt wird, ist der Partei Einiges Russland der Sieg sicher. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die dreitägigen Wahlen vom vergangenen Wochenende nicht von der letzten Mandatsvergabe im Jahr 2016. Einiges Russland verfügt in der neuen Duma wieder über eine souveräne Zweidrittel-Mehrheit und kann damit ohne Rücksicht auf andere Kräfte jedes beliebige Gesetz durchsetzen. 198 von insgesamt 225 Direktmandaten gingen an die Regierungspartei. Dazu kommen noch fast 50 Prozent der Stimmen bei der Mandatsvergabe über Parteilisten. An zweiter Stelle steht wenig überraschend die Kommunistische Partei KPRF mit immerhin 19 Prozent. Ihr folgen die systemnahe Liberaldemokratische Partei (LDPR) und Gerechtes Russland - für die Wahrheit. Außerdem nahm die als Kremlprojekt geltende Partei Neue Leute erstmals die Fünfprozenthürde.

Durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Behörden wurden im Vorfeld zahlreiche mögliche Kandidaten ausgesiebt, so dass die außerparlamentarische Opposition bis auf wenige Ausnahmen von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen war. Das wirkte sich einerseits negativ auf das Mobilisierungspotenzial in der Protestwählerschaft aus, andererseits verschaffte es der KPRF einen Zulauf, wie ihn die Partei so schon lange nicht mehr erlebt hat. In vier Regionen wurde die KPRF klare Siegerin: In der sibirischen Republik Jakutien, dem fernöstlichen Gebiet Chabarowsk, der Wolgarepublik Mari El und im nordwestrussischen Autonomen Gebiet der Nenzen. In den ersten beiden gärt es schon lange.

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Selbst dort, wo Einiges Russland rechnerisch vorne liegt, musste die Partei teils herbe Stimmverluste hinnehmen. In der nordwestlichen Republik Komi und den Gebieten Jaroslawl und Kirow fiel die Zustimmung auf 30 Prozent. In sibirischen Großstädten wie Nowosibirsk, Tomsk und der Republik Chakassien sank sie auf etwa ein Drittel der abgegebenen Stimmen.

Am Beispiel der KPRF zeigt sich, wie die langjährige Aufteilung in systemische und nichtsystemische Opposition zu bröckeln beginnt. Wo der Anspruch auf politische Teilhabe kriminalisiert wird, werden auch ins System integrierte Parteien, die wenigstens teilweise vom Kurs der Präsidialadministration abweichen, wieder wichtiger. Spätestens seit dem die KPRF gegen die Rentenreform und die damit verbundene Hochsetzung des Rentenalters - 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen - stimmte, demonstriert sie Widerspenstigkeit. Dies ließ sie als einzige der legal agierenden Parteien erscheinen, die glaubwürdig gegen die Sparmaßnahmen der russischen Führung antrat. Das betrifft auch eine Reihe anderer Gesetze - obwohl es auch in anderen Fraktionen einige Abgeordnete gab, deren Abstimmungsverhalten sich merklich von der Mehrheit im Parlament unterschied.

Walerij Raschkin, Dumaabgeordneter und Chef der Moskauer KPRF, hat die Chancen längst erkannt, die sich mit der schleichenden, oftmals mit massiver Kritik an den herrschenden Zuständen verbundenen Umorientierung der Bevölkerung bieten. Während andere Teile der Parteiführung den Kontakt zur Basis gar nicht erst suchen, gibt er sich schon seit geraumer Zeit offen für den Austausch mit seiner Wählerschaft und sozialen Bewegungen, mit denen sich die Parteiführung bisher grundsätzlich nicht abgab. Dass die KPRF bei dieser Dumawahl Dutzende Nichtmitglieder kandidieren ließ, lässt sich wohl auch auf Kaderprobleme innerhalb der Partei zurückführen. Aber ohne Leute wie Raschkin hätten gut vernetzte linke Vertreter einer neuen Politikergeneration wie Michail Lobanow kaum bei dieser Wahl für die KPRF antreten dürfen.

Dabei hat der 37 Jahre alte parteilose Mathematiker und langjährige Aktivist in seinem Moskauer Wahlkreis ein phänomenales Ergebnis hingelegt. Nach Auszählung der in den Wahllokalen abgegebenen Stimmen lag er mit 39 Prozent der Stimmen weit vor dem Fernsehjournalisten Jewgenij Popow von Einiges Russland, der trotz seines höheren Budgets und jeglicher nur denkbarer Unterstützung durch die Moskauer Verwaltung lediglich 29 Prozent erhielt. »Wir haben gezeigt, dass wir in der Lage sind zu gewinnen«, freut sich Lobanow im Gespräch mit »nd«.

Dass Lobanow dennoch nicht in die Duma einzieht, liegt an dem in Moskau und sechs weiteren Regionen durchgeführten elektronischen Verfahren zur Stimmabgabe. Erst Stunden nach Veröffentlichung der Ergebnisse aus den Wahllokalen gab die Wahlkommission auch das Resultat für die fast zwei Millionen digital abgegebenen Stimmen bekannt. Danach landete Lobanow plötzlich weit abgeschlagen hinter Popow. Ähnlich erging es zunächst siegreichen Oppositionskandidaten in sieben weiteren Moskauer Wahlkreisen, die nach der Veröffentlichung der Onlineabstimmung ihren politischen Konkurrenten unterlagen.

Die KPRF will die Wahlergebnisse des digitalen Verfahrens nun anfechten. Am Montagabend fanden sich mehrere hundert Menschen auf dem Moskauer Puschkin-Platz ein. Weitere angekündigte Demonstrationen haben die Behörden prophylaktisch verboten. »Aber wir bleiben dran«, sagt Lobanow. Wahlen sind für ihn ohnehin nur eines von vielen politischen Instrumenten.

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