- Politik
- Interview / Bau
»Du musst 100 Prozent konzentriert sein«
Die Arbeit auf Baustellen ist immer gefährlich, sagt der Polier Johnny Deckel. Und meistens ist mehr zu tun, als er in seiner regulären Arbeitszeit schafft
Hallo Johnny Deckel, Sie sind Bauarbeiter im Tiefbau. Welche Baustellen machen Ihnen am meisten Spaß?
Baustellen machen mir Spaß, wenn es über private Investoren geht. So große Wohngebietserschließung oder auch Fernwärme - da arbeite ich gern für die Unternehmen hier in Berlin. Da habe ich auch gerade wieder eine schöne große Baustelle. Für die Berliner Versorger arbeite ich nicht so gern.
Johnny Deckel hat Anfang der 90er Jahre eine Ausbildung zum Kanalbauer gemacht. Heute ist er Polier, bildet selbst aus und leitet Arbeiter auf den Baustellen an. Im Interview spricht er über rechtliche Vorgaben, Fachkräftemangel und Klischees.
Das Interview ist ein Auszug aus einem Gespräch für den Podcast »Systemrelevant«, der Arbeiterinnen und Arbeitern aus unterschiedlichen Berufen eine Stimme gibt.
Mehr auf: www.systemrelevant.tv
Warum?
Es ist ja immer so, dass beim Bauen was ersäuft in der Erde, was nicht planbar war. Und da ist es im privaten Sektor einfacher mit dem Bauherrn zu sprechen: Deswegen kostet das jetzt mehr.
Was machen Sie genau?
Zurzeit organisiere ich mehrere Baustellen, also leite Leute an, bilde die Auszubildenden mit aus. Bei uns in den Verträgen heißt das Polier. Ein Polier richtet die Baustellen ein, spricht mit den Arbeitern, ich überwache gerade auch die Corona-Schnelltests zweimal pro Woche.
Aber trotzdem sind Sie kein Chef. Sie kriegen Druck von oben und unten.
Ja, ich bin das Zwischenglied zwischen Geschäftsführung und dem einfachen Bauarbeiter. Ich bin das Ventil für oben und für unten. Das ist manchmal sehr schwierig. Du musst deine Arbeiter motivieren, dass sie umsetzen, was die Firma möchte. Von oben kriegst du Druck, weil sie sagen, es muss sich rechnen.
Wie gefährlich ist die Arbeit? Haben Sie Situationen erlebt, in denen es brenzlig wurde?
Wenn man in die Erde sticht, weiß man nie, was drin ist. Man hört ja immer wieder, dass eine Gasleitung oder ein Stromkabel getroffen wird. Bei uns sagen wir »Glück gehabt«, wenn das mit dem Bagger passiert und nicht mit der Schaufel. Es kann immer was passieren, darf es aber nicht. Wir machen jetzt fast jeden Monat Arbeitsschutzbelehrung und lassen die Kollegen unterschreiben, dass sich jeder der Gefahren bewusst ist. Wenn du im Bagger sitzt und acht Stunden im engsten Verkehrsbereich arbeitest, musst du immer 100 Prozent konzentriert sein, nicht dass du irgendwann mal zu weit in ein Auto reinschwenkst oder - noch schlimmer - einen Menschen triffst.
Was ist so ein richtig guter Tag, an dem Sie abends zufrieden nach Hause gehen?
Wenn ich das, was ich mir am Vortag vorgenommen habe, umgesetzt habe. Wenn das Wetter mitspielt, die Leute morgens schon glücklich sind, wissen, was sie machen, und nicht ganz so oft anrufen. Und abends kommt man ein letztes Mal hin, kontrolliert die Arbeit, alles passt - und man fährt pünktlich nach Hause.
Ohne Überstunden geht es nicht?
Das ist so ein zweischneidiges Schwert. Die Firma ist meine zweite Familie. Solange ich meine Leistung bringe und versuche, die Leute mitzureißen, geht›s der Firma auch gut. Meine Familie sagt immer, sei mal lieber pünktlich zum Abendbrot zu Hause. Pünktlich ist bei mir immer schwierig. Ich kriege ein Gehalt für 41 Stunden, aber ich mache eigentlich immer um die 50, weil ich das sonst nie so hinkriege, wie ich das will. Ich habe immer zwei Familien - die Arbeit und die Familie. Ich habe eine gute Firma, aber manchmal fühlt man sich auch alleingelassen. Ein bisschen mehr Anerkennung könnte schon kommen.
Was hat sich über die Jahre verändert?
Für mich persönlich hat sich viel geändert. Ich habe in den 90ern Kanalbauer gelernt. Damals fing es mit den Briefkastenfirmen in Brandenburg an. So konnten die Unternehmer sagen: Wir haben eine Niederlassung in Potsdam-Rehbrücke, darüber schieben wir die Leute, deshalb bezahlen wir denen weniger als in Berlin. Die letzte Lohnerhöhung war bei 21,47 DM, und dann haben sie mir von Mai auf Juni ‹96 gesagt, entweder sie entlassen mich oder ich muss den Vertrag in Brandenburg für 18,60 DM annehmen. Und dann wurdest du immer entlassen im Winter. Das hat sich, seit ich für meine jetzige Firma arbeite, geändert. Man ist immer Vollzeit da, wenn Schlechtwetter ist, bis du halt zu Hause mit weniger Geld. Also da hat die Berufsgenossenschaft, oder wer da auch immer mitgewirkt hat, eigentlich für die Arbeiter ein schönes Polster gemacht, dass niemand mehr im Bauhauptgewerbe entlassen werden muss.
Man sieht ja immer mehr Baustellen, bei denen nichts passiert. Eine Straße wird abgesperrt, aber man sieht da kaum Leute arbeiten, und es entwickelt sich nicht viel. Woran liegt das?
Das beschäftigt mich, seit ich auf›m Bau bin. Das ist das Verschulden von Baufirmen, die zu viele Aufträge annehmen und ihre Kapazitäten nicht ordentlich planen. Die bestellen dann die Absperrung und fangen später an. Das zweite Phänomen, das man den Bürgern schon lange nicht mehr erklären kann: Da wird eine Baustelle eingerichtet, dann wird die Trinkwasserleitung gebaut, dann kommt der Gehweg rauf. Und zwei Wochen später kommt der andere Versorger, die Gasleitung oder der Kabelfritze, und die reißen das wieder auf! Alle heulen immer rum, dass sie kein Geld haben. Ja, ist ja auch klar, wenn ich dreimal eine Straße herstellen muss, dann kostet das alles mehr. Anstatt das ordentlich zu koordinieren. Ich bin so ein Mensch, ich denke, man kann immer was machen. Wir wollen uns doch weiterentwickeln, wir wollen doch eine soziale, eine ordentliche Welt bauen. Aber ich beiße da manchmal auf Granit.
Man hört ja aus China, dass die da über Nacht kilometerweise Autobahnen aus dem Boden stampfen, oder auch in Ländern wie Holland oder Dänemark läuft das viel schneller.
Ich sehe das auch, wenn ich mal nach Dänemark fahre, wie schnell da was abgearbeitet wird. Warum arbeiten Bauarbeiter auf der Autobahn nicht 24 Stunden in zwei Schichten? Dann würde so ein Bauabschnitt viel schneller fertig werden. Aber das ist nicht gewollt. Die Arbeitgeber sagen: Wir würden ja alle bauen, wenn es vom Staat finanziell unterstützt wird. Weil, es ist ja klar: Wenn einer nachts arbeitet, kriegt er Nachtzuschlag.Aber das zweite große Problem in Deutschland ist der Nachwuchs in allen Handwerksberufen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Menschen wollen nicht mehr mit ihren eigenen Händen arbeiten. Ich bin ja auch ‹92 zu diesem Job gekommen, obwohl ich das gar nicht geplant hatte. Ich habe einfach die Lehre angenommen und hab mir gesagt: Du musst diesen Job jetzt lieben lernen.
Warum haben die Leute keine Lust, auf dem Bau zu arbeiten?
Ich habe schon vor fünf Jahren gesagt: Ihr braucht nicht auf irgendwelche Ausbildungsmessen zu gehen, ihr müsst euch direkt Schulen suchen, wo ihr reingeht. Dass man so einen Schautag macht, dass man selber mal einen Baggerhebel gezogen hat, mal eine Schippe genommen hat, mal zwei Rohre zusammenzieht - die müssen das spüren! Die müssen sehen: Das ist ja gut, ich schaffe das, Rohre zusammenzustecken, und dadurch fließt dann das Trinkwasser. Ihr müsst nicht der Computernerd Nr. 1 werden, ihr könnt draußen was mit euren Händen schaffen. Das macht Spaß, und das ist nicht der Job, wo man kein Geld mehr verdient.
Bei uns in der Firma ist es so: Wenn ein Quereinsteiger kommt, fängt der mit einem Helferlohn von rund 15,45 Euro an. Die Vorarbeiter verdienen um die 18 Euro die Stunde. Ist meines Erachtens immer noch zu wenig für die Leistung, die die bringen und was wir manchmal von denen verlangen. Aber man kann schon Geld verdienen auf›m Bau.
Wie ist das mit Klischees? Mit nacktem Oberkörper arbeiten, den Frauen hinterherpfeifen?
Natürlich, ich sehe das ja bei uns auch. Wenn mal eine Dame vorbeiläuft, dann wird da hinterhergeguckt, manchmal wird auch was gesagt. Ist nicht schön, und ich sage den Leuten auch, dass sie es nicht machen sollen - oder nur heimlich. Oberkörperfrei sollten sie eigentlich nicht mehr arbeiten, allein schon wegen Sonnenschutz. Das bringt ja nichts, wenn sie mit 50 schon Hautkrebs haben.
Der Beruf ist ja immer noch unattraktiv für Frauen, die sind da eine verschwindende Minderheit.
Ja, das muss ich ganz ehrlich sagen. Im Tief- und Rohrleitungsbau habe ich maximal eine Frau auf Bauleitungsebene kennengelernt, auf‹m Bau an sich noch gar keine. Ich hab es leider noch nie gehabt, dass wir eine Frau ausgebildet haben. Weiß ich auch nicht, warum. Eine Frau schafft den Job auch, bin ich 100 Prozent der Meinung. Aber siehst du, das ist doch mal wieder ein Punkt, wo man unseren Leuten sagen kann: Sprecht doch mal die Frauen an in den Schulen! Hab ich noch gar nicht so drüber nachgedacht. Da bist du 30 Jahre auf dem Bau und bist als Mann gebrandmarkt. (lacht)
Jetzt sind es über 30 Jahre nach der Wende, aber wir haben immer noch große Gehaltsunterschiede zwischen Ost und West. Wie ist das auf dem Bau?
Das ist gravierend. Deswegen habe ich mich auch in den Betriebsrat wählen lassen, um mal zu horchen, warum wir nach 30 Jahren immer noch ein Ost-West-Gefälle haben. Die Butter kostet in Berlin, in Brandenburg, in Bayern mittlerweile das gleiche, und der Arbeiter arbeitet im Osten wie im Westen gleich, also hat er den gleichen Lohn zu kriegen. Und das ist ja nicht nur auf dem Bau so, das ist auch bei den Krankenhäusern und beim Einzelhandel so. Wir müssen es im Osten schaffen, die Gemeinschaft wiederherzustellen. Wir müssen uns die Macht zurückholen, und das geht nur, wenn wir gewerkschaftlich organisiert sind und wenn wir alle zusammenstehen. Und dafür kämpfe ich.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.