Von Patriotismus und Schweinen in Armenien

Während der letzte Krieg um Bergkarabach erst im November mit einer desaströsen Niederlage zu Ende ging, bereitet man sich in Armenien bereits auf eine neue Offensive vor

  • Philip Malzahn und Robert Putzbach
  • Lesedauer: 13 Min.

Grigor Darbinyan vermisst ein Schwein. »Ein besonders großes und fettes Exemplar war eines Tages verschwunden«, erzählt der Bauer. Er ist davon überzeugt, dass aserbaidschanische Soldaten es getötet und verspeist haben. Einige Tage hat er noch versucht, das Tier mithilfe der russischen Soldaten zurückzubringen - jedoch ohne Erfolg. Darbinyan zufolge passieren solche Dinge öfter. Sein Nachbar habe eines Tages beobachtet, wie ein Schwein auf dem Weg über die Grenze war. Er versuchte, es durch Lockrufe zum Umkehren zu bewegen. Auch die aserbaidschanischen Soldaten hätten daraufhin versucht, das Schwein zu sich zu locken. Zum Glück sei das Schwein in dieser Situation dem Ruf von Darbinyans Nachbarn gefolgt und nach Armenien zurückgekehrt.

Dass die Tiere hier grenzüberschreitend nach Nahrung suchen und dass Soldaten mehrerer Nationen sich um die Tiere bemühen, liegt an der Waffenstillstandsvereinbarung vom 9. November 2020, die nach 44 Tagen den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die umstrittene Region Bergkarabach beendete. Seitdem ist das Dorf Shurnukh in zwei Hälften geteilt.

Grigor Darbinyan hatte Glück: Zumindest sein Haus steht noch immer auf armenischer Seite. Seine Weideflächen jedoch liegen heute im Feindesland, er musste Kühe und Schafe verkaufen. Zwölf Familien aus dem Dorf traf es noch härter: Ihre Häuser liegen verlassen auf aserbaidschanischem Territorium. Darbinyan erzählt, die Menschen hätten damals eine Woche Zeit gehabt, um Hab und Gut in Sicherheit zu bringen und auf die andere Seite zu gehen. Gerade warten sie auf ihr neues Zuhause. Oberhalb des Dorfes stehen schon die Fundamente der Häuser, die den Familien als Ersatz gebaut werden. Ein älterer Soldat überwacht die Arbeiten. Er erinnert sich noch gut an die Zeiten in der Sowjetunion, als er Seite an Seite mit Aserbaidschanern gedient hat. Er schätzt, es werden nur noch ein paar Monate vergehen, bis die Häuser bezugsfertig sind.

Angst, Frieden, Angst

Vor Darbinyans Grundstück führt eine Staubpiste an einem verlassenen Volleyballnetz vorbei. Vor den bewaldeten Hügeln liegt ein leerer Schafstall, der aus Betonplatten besteht. Direkt gegenüber steht die Dorfschule, vor der armenische Soldaten patrouillieren. Der Feind ist hier nur wenige Hundert Meter entfernt, unterhalb der Hauptstraße wehen aserbaidschanische Fahnen. Dazwischen steht nur ein einzelner Transportpanzer der russischen Armee. Mit einem Truppenkontingent von etwa 2000 Soldaten soll der große Nachbar den brüchigen Frieden zwischen den verfeindeten Staaten gewährleisten.

Darbinyan fühlt sich nicht sicher. Um wenigstens seine Tiere schützen zu können, wünscht er sich einen Zaun, den er nicht bauen darf. Seit dem Ende des Krieges hat er an seinem Haus fünf Überwachungskameras angebracht. Außerdem ließ er zusammen mit anderen Dorfbewohnern ein großes Kreuz aufstellen, das das eigene Revier gegenüber den neuen muslimischen Nachbarn markiert. Auf seiner Terrassenbrüstung liegt immer ein Fernglas bereit. Der Bauer schaut damit auf die andere Seite.

Auf der nahe gelegenen Bergkette sind die Stellungen der Armeen auszumachen. Die armenische und die aserbaidschanische Fahne wehen praktisch nebeneinander auf dem grünen Gipfel. Seit der Waffenstillstandsvereinbarung stehen sich die verfeindeten Soldaten oft nur wenige Meter entfernt gegenüber. Armenien musste im Zuge der Vereinbarung über zwei Drittel der umkämpften Region an Aserbaidschan zurückgeben - die Gebiete hatte man im ersten Krieg um Bergkarabach 1992 bis 1994 gewonnen. Doch völkerrechtlich blieben die Gebiete aserbaidschanisches Territorium. Der Konflikt schwelte drei Jahrzehnte vor sich hin, bis Aserbaidschan im September 2020 eine Großoffensive startete und die armenisch kontrollierten Gebiete Karabachs förmlich überrannte. Das ölreiche Aserbaidschan hat in den vergangenen Jahren stark aufgerüstet, dazu kommt die finanzielle und militärische Unterstützung des Nato-Mitglieds Türkei. Auch zehn Monate nach dem Krieg bleibt die Lage angespannt. In den vergangenen Wochen kam es entlang der Grenze der verfeindeten Nachbarstaaten immer wieder zu Zwischenfällen. Mehrere Soldaten wurden dabei getötet. Seit dem Waffenstillstand sind auf armenischer Seite mindestens 24 Armeeangehörige gefallen.

Durch Feindesland in ein geteiltes Dorf

Um aus der armenischen Hauptstadt Eriwan in das geteilte Shurnukh zu gelangen, fährt man einige Kilometer durch aserbaidschanisches Territorium. Bei einem letzten Kontrollposten ermahnen einen die armenischen Soldaten: »Auf keinen Fall anhalten!« Man bekommt eine Telefonnummer, die im Notfall zu wählen ist. Am Rande der Straße, die entlang der Bergkette verläuft, folgt ein russischer Checkpoint. Dann verkündet ein Schild in Großbuchstaben: Willkommen in Aserbaidschan. Ein paar verlassene Ortschaften später ist man wieder in Armenien. An anderen Stellen sind die Grenzen zwar klarer voneinander getrennt, doch die Situation ist keineswegs friedlich. In Yeraskh, an der Grenze zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan, kommt es immer wieder zu Schusswechseln mit Opfern auf beiden Seiten. Alvard Salibekyan wohnt in dem kleinen Dorf, an dessen Ausläufern zum Schutz vor Scharfschützen hohe Sandberge aufgetürmt wurden. Ihr Sohn leistet auf dem nahe gelegenen Berg seinen Wehrdienst. Während die Mutter erzählt, sitzt er vermutlich irgendwo in einem Schützengraben. Im Vorgarten berichtet Alvard von nächtlichen Schusswechseln und der eigenen Angst: »Wenn die Schüsse losgehen, wollen wir uns verstecken, wegrennen - aber wir wissen nicht, wohin«, erzählt sie. Seit etwa drei Wochen sei die Lage besonders schlimm, geschossen werde fast jede Nacht. Alvard erzählt, sie hat große Angst davor, dass die Aserbaidschaner ihr Dorf erobern. Und trotz der eigenen Angst mache es sie stolz, dass ihr Sohn dabei mithelfe, die armenischen Grenzen zu verteidigen.

Heimatlos

Der Krieg kostet beide Seiten nicht nur Tote, sondern auch viele, die ihn überleben, aber nie wieder die gleichen sein werden. Zahlreiche Soldaten wurden verwundet, als sie die Grenzen der sogenannten Republik Arzach, wie man in Armenien die Region Bergkarabach nennt, verteidigten. Sie werden im »Rehabilitationszentrum für Vaterlandsverteidiger« in Eriwan behandelt. So auch Rafael Mkitharyan. Heute sitzt der ehemalige Polizist im Rollstuhl. Im Besucherzimmer des Krankenhauses berichtet er vom Beginn des Krieges. Sofort wurden er und seine Kollegen einberufen. Es wurde nicht zwischen Polizisten und Soldaten unterschieden, erzählt er. Man habe zwar die Möglichkeit gehabt »Nein« zu sagen, das hätten aber nur sehr, sehr wenige gemacht. Der soziale Druck sei enorm gewesen. Zwölf ganze Tage war er im Krieg, bis ihn ein Artilleriegeschütz lebensgefährlich verletzte. Nach mehreren Operationen wird er seit nun drei Monaten im Rehabilitationszentrum für ein Leben auf Rädern vorbereitet. Als Polizist wird er nicht mehr gebraucht, nicht einmal im Büro. Rafael möchte sich bald auf die Suche nach einer neuen Beschäftigung machen. Es sei ein harter Kampf ins Leben zurück. Ohne seine Freundin, die fest an seiner Seite steht, wäre der Kampf bereits verloren, sagt er. Schon bald wollen sie heiraten. Was die Zukunft der Region angeht, hat Rafael eine klare Position: »Armenien muss stärker werden, um sich das Stück unserer Heimat zurückzuholen«, sagt er.

Obwohl das Blutvergießen erst ein knappes Jahr her ist, hört man diese Forderungen häufig in Armenien. Ob im Radio, im Fernsehen, in der Zeitung oder aus den Mündern jener, die im Krieg fast ihr komplettes Leben verloren haben: Das ganze Land wirkt auf den ersten Blick fest entschlossen, einen neuen Krieg zu beginnen, um die Region Bergkarabach zurückzuerobern. Seit dem Kriegsende gründen sich paramilitärische Organisationen, die mit staatlicher Unterstützung und Spenden Zivilisten auf einen neuen Krieg vorbereiten. Sie heißen »Legenden Armeniens« oder »Bewegung zur Befreiung Nationalen Territoriums«. Ob Teenager oder Rentner: Jeder, der es möchte, erhält hier eine militärische Ausbildung. Nur wenige Monate nach ihrer Gründung haben diese Organisationen bereits mehrere Tausend Mitglieder. Doch trotz aller Bemühungen und Entschlossenheit: Dass eine militärische Rückeroberung der verlorenen Gebiete tatsächlich realistisch ist, darf bezweifelt werden. Im Krieg hatte die aserbaidschanische Seite durch türkische Unterstützung und mit modernen Drohnen schnell die Überhand gewonnen. Die Drohnen hatten neben der Effektivität auf dem Schlachtfeld noch eine zweite entscheidende Funktion: Die mitgeschnittenen Videoaufnahmen, bei denen die Zerstörung feindlicher Panzer und Artilleriestellungen wie in einem Computerspiel anmuteten, dienten auch der eigenen Propaganda. Aserbaidschanische Stellen veröffentlichten regelmäßig Videos der Drohneneinsätze, unterlegt mit martialischer Musik. An der Luftdominanz, durch die aserbaidschanische Truppen Anfang November 2020 kurz vor der Eroberung der Hauptstadt Bergkarabachs, Stepanakert, standen, hat sich nichts geändert. Angesichts des drohenden Verlusts aller Gebiete unterzeichnete der armenische Premier Nikol Paschinjan die Waffenstillstandsvereinbarung, die in Armenien als Kapitulation aufgefasst wurde. Die Menschen aus den Gebieten Bergkarabachs, die nicht schon während des Krieges erobert wurden, mussten dann in kurzer Zeit ihre Häuser verlassen. Viele von ihnen flohen nach Armenien, noch immer leben mehr als 30 000 Flüchtlinge in behelfsmäßigen Unterkünften.

Patriotismus und Trauma

In einem verfallenen Hotel im Kurort Zaghkadsor sind die Menschen untergebracht, die durch den Krieg ihr Zuhause verloren haben. Etwa 70 Familien leben in dem heruntergekommenen Flachbau. In der ehemaligen Lobby kommen sie zusammen. Viele von ihnen kennen sich schon aus der Heimat, sie kommen aus Orten mit den armenischen Namen Martuni oder Schuschi, die heute von Aserbaidschanern bewohnt werden und Xocavend oder Schuscha heißen. Die meisten erzählen, die Waffenstillstandsvereinbarung sei eine riesige Enttäuschung gewesen. »Im Krieg ist ein objektives Lagebild auch in der Nähe der Front schwierig zu kriegen«, sagt ein Flüchtling. Geblendet von der eigenen Propaganda waren sie überzeugt, die eigene Armee würde die verlorenen Gebiete schon bald zurückerobern. Viele seien deswegen nicht weit weg geflohen, sondern hätten in Stepanakert gewartet, um schnell zurückkehren zu können.

Felix Minasyan und seine Familie haben sich in einem Zimmer in den oberen Stockwerken des Flüchtlingsheims häuslich eingerichtet. An den Wänden hängen selbstgemalte Zeichnungen der Töchter. Auf einem Bild ist das steinerne Wahrzeichen der sogenannten Republik Arzach zu sehen: »Wir sind unsere Berge«, auch bekannt unter dem Namen Tatik Papik (armenisch für Großmutter und Großvater) ist ein überdimensionales Denkmal, das 1967 in der Nähe der Hauptstadt errichtet wurde. Minasyan schenkt selbst gebrannten Wodka aus, während er von seiner verlorenen Heimat erzählt. »Ich habe in allen drei Kriegen gedient«, berichtet Minasyan stolz. Weil in Armenien auch die dreitägigen Auseinandersetzungen 2016 als Krieg bezeichnet werden, ist hier insgesamt von drei Kriegen die Rede. Im Ausland hingegen wird der 44-tägige Konflikt 2020 als zweiter Krieg um Bergkarabach bezeichnet. Durch die Rede von drei Kriegen kann in Armenien behauptet werden, es stünde nun trotz der Katastrophe vom vergangenen November 2:1 für Armenien im Krieg um Bergkarabach. Dem gleichen Zweck dient die Aufrechterhaltung der »Republik Arzach«, die mit dem Krieg um zwei Drittel ihrer ursprünglichen Größe geschrumpft ist. Man hatte die Republik ausgerufen, um nicht formell als Besatzer Bergkarabachs zu gelten. »Arzach« ist ein international nicht anerkannter Pseudostaat, der wirtschaftlich und politisch von Armenien abhängig ist. Zum Beispiel wird ein großer Teil der Streitkräfte durch die armenische Armee gestellt. Die Flaggen sehen bis auf ein weißes Muster exakt gleich aus.

Erlernte Hilflosigkeit

Im Erdgeschoss findet derweil eine der regelmäßigen Gruppentherapien mit den Geflüchteten statt. Narine Abrahamyan-Tovmasyan hört zu und will den Menschen helfen, ihr Schicksal zu verarbeiten und sich aus ihrer eigenen Notlage zu befreien. Der Psychologin zufolge birgt die aktuelle Unterbringungssituation der Geflüchteten viele Probleme. In dem Hotel werden zwar alle Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt, darüber hinaus gibt es jedoch kaum Angebote. »Dabei ist es gerade in dieser Situation wichtig, den Menschen klarzumachen, dass nur sie selbst ihre eigene Situation wirklich verbessern können«, sagt sie. Erlernte Hilflosigkeit, so nennt Abrahamyan-Tovmasyan den Zustand vieler Flüchtlinge. Sie erzählt, dass die staatliche Asylpolitik dafür mitverantwortlich ist: Die Menschen kommen zu der Überzeugung, dass sie nicht in der Lage sind, die Situation zu kontrollieren oder zu ändern, sodass sie es gar nicht erst versuchen. Stattdessen stagnieren sie zwischen Überforderung und Nostalgie: Sie hätten Angst vor der Zukunft und würden sich die alte Zeit zurückwünschen. Die Psychologin macht sich Sorgen, dass Flüchtlinge aus Bergkarabach zu einer marginalisierten Gruppe werden. Zwar betone man in Armenien immer, dass ihnen geholfen werden müsse. Tatsächlich blicken viele Armenier zu den sogenannten Arzachis herab. Flüchtlinge aus Bergkarabach seien besonders fordernd, so das Stereotyp. Einige Armenier betrachten die kleine Republik als finanzielle und politische Last, die zu einer Destabilisierung der Region führt. Abrahamyan-Tovmasyan zufolge müssten gezielt Angebote geschaffen werden, die den Flüchtlingen helfen, voranzukommen. »Ganz egal was; zum Beispiel Bäckereien, wo sie mit ihren eigenen Händen etwas erschaffen.« Unter den Flüchtlingen komme es aufgrund der schwierigen Lage zu Alkoholmissbrauch und Übergriffen. Viele können immer noch nicht schlafen und haben wiederkehrende Panikattacken. Abrahamyan-Tovmasyan erzählt, dieser Krieg habe eine ganze Gesellschaft traumatisiert. Schließlich kenne in dem kleinen Land fast jeder jemanden, der im Krieg ums Leben gekommen ist.

Soldaten an den Gräbern am Friedhof

Ein Symbol der nationalen Trauer ist der Soldatenfriedhof Jerablur in Eriwan. Hier erstrecken sich die unzähligen Gräber über die Hügel. Über jedem Grabstein weht die armenische Fahne. An den eingravierten Jahreszahlen wird deutlich, wie viele junge Menschen in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben. Insgesamt sind auf armenischer Seite nach Regierungsangaben etwa 4000 Soldaten gestorben. An einem bewölkten Julitag trauert Arman Begyan am Grab seines Freundes Saro. Er ist nur zwanzig Jahre alt geworden. Während seines Wehrdienstes wurde er an die Front nach Dschabrail geschickt und ist dort gefallen. Die beiden Soldaten hatten sich an der Musikschule kennengelernt. Begyan kennt noch weitere Kameraden, die hier begraben sind. Da er nicht oft kommen kann, will er gleich noch zu anderen Gräbern weitergehen. Es ist für ihn ein Tag der Trauer, an dem er sich glücklich schätzt, am Leben zu sein.

Nur wenige Meter weiter stehen zwei Menschen in schwarzen Gewändern und halten sich aneinander fest. Die Mutter Rita Martirosyan und Vater Grima trauern um ihren Sohn Alex, auch er ist im Krieg gefallen. Auf dem Grabstein ist ein fotorealistisches Bild des Sohnes zu sehen, eine Tradition, die in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion weitverbreitet ist. Unter seinem Konterfei ist ein Transportfahrzeug der Artillerie abgebildet, in der Alex gekämpft hat. Nach gerade einmal einem Jahr und zwei Monaten Wehrdienst ging Alex an die Front. Dort fiel er einem feindlichen Artilleriegeschoss zum Opfer. Die Familie kommt aus Hadrut und lebt nun in Eriwan. Jeden Abend kommen seine Eltern zum Friedhof, um ihres Sohnes zu gedenken. Ab 19 Uhr - nach Feierabend - sammeln sich viele Hinterbliebene neben den Gräbern und tauschen sich aus.

Grima Martirosyan erzählt, Alex wollte nach seinem Wehrdienst in das Dorf zurückkehren und dort ein einfaches Leben führen. Das Datum, an dem sein Wehrdienst geendet hätte, weiß sein Vater auswendig: Am 8. Juli 2021 wäre er zurückgekehrt. So wie Alex seien alleine aus ihrem Ort Hadrut acht junge Menschen gestorben, von ein paar werden die Leichen immer noch vermisst. Die Martirosyans sagen, sie seien voller Hass und wollten denjenigen finden, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist. »Ihn finden und dann erschießen«, ergänzt der Vater.

Die Waffenstillstandsvereinbarung kam für das Paar viel zu spät. Gleich am ersten Tag, sagen sie, hätte man alles stoppen und die Gebiete zurückgeben können, es hätte keinen Unterschied gemacht. Nach den Tränen, gefolgt von einer kurzen Wutrede, bleiben sie dann noch eine Weile neben dem Grab stehen. Der Vater entzündet etwas Weihrauch. Dahinter laufen Soldaten langsam in Richtung Kirche; gleich beginnt die Zeremonie für einen gefallenen Soldaten, dessen Leiche man erst vor ein paar Tagen gefunden hat. Im Sarg ruht das Opfer eines Krieges, der mittlerweile acht Monate zurückliegt - und schon bald wieder entfachen könnte. Reihenweise Gräber sind auf dem Soldatenfriedhof in Eriwan bereits ausgehoben.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -