Die Zeit der großen Bands und Parteien ist vorbei

Das Ergebnis der Bundestagswahl folgt der Entwicklung in der Musikindustrie: Die Großen werden kleiner

  • Berthold Seliger
  • Lesedauer: 4 Min.

Angeblich war das Ergebnis der Bundestagswahl eine große Überraschung. Laut Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) haben sich gar »Gift und Groll massiv entladen« und zum schlechtesten Ergebnis der Union in der Geschichte geführt. Aber was ist denn eigentlich genau passiert?

Letzten Endes wurde mit dieser Bundestagswahl schlicht eine gesellschaftliche Entwicklung nachvollzogen, die man im Musikbusiness bereits seit Langem kennt: Es gibt sie nicht mehr, die großen Parteien, die »Volksparteien«, hinter denen sich die Wähler*innen versammeln – so wenig, wie es die großen Musikstars und Bands gibt, die das Jahrzehnt prägen und auf die sich viele Menschen einigen können.

CDU/CSU und SPD, Beatles und Rolling Stones (oder in den 80er Jahren Michael Jackson und Prince, interessanterweise herrschte ja früher immer ein gewisser Dualismus, siehe Adidas und Puma oder Pelikan und Geha), so einfach ist das in einer zersplitterten und in lauter Nischen aufgeteilten Gesellschaft schon lange nicht mehr.

Der SPD geschah das in den 80er Jahren mit dem Auftauchen der Grünen und seit den 90er Jahren mit der PDS, die später zur Partei Die Linke mutierte: Ergebnisse, wie sie Willy Brandt, Helmut Schmidt oder in den späten 90er Jahren noch einmal Gerhard Schröder erzielten, gehören für die Sozialdemokratie längst der Vergangenheit an. Schon lange dümpelt sie um die 20 Prozent herum und feiert ihre jüngsten 25,7 Prozent jetzt als großen Erfolg – kein Wunder, mehr wird es nicht mehr werden.

Und die Christdemokraten? Auch sie sind mit ihrem demütigenden Ergebnis von 24,1 Prozent just da angekommen, wo sie eigentlich schon längst hingehören – im Nachhinein zeigt sich, dass es Angela Merkel war, die CDU/CSU 16 Jahre lang ein deutlich besseres Ergebnis beschert hat, als es die gesellschaftliche und politische Realität verlangt hätte.

»Politik ist die Unterhaltungsabteilung der Industrie«, wissen wir mit Frank Zappa. Und tatsächlich ist im Musikgeschäft die Zersplitterung in viele kleinere Szenen schon seit etlichen Jahren vollzogen: Die Zeiten der großen Stars und Bands sind vorbei. Wenn sich eine Band wie Metallica mit der Wiederveröffentlichung eines dreißig Jahre alten Albums noch mal auf Platz eins der deutschen Album-Charts wiederfindet, beweist das zum einen lediglich, dass sich etliche ältere und einigermaßen wohlhabende Männer ein teures Renommierprodukt einer Band, die sie vor dreißig Jahren gerne gehört haben, ins Regal stellen – vermutlich sogar, ohne es noch einmal anzuhören.

Und zum anderen zeigen derartige Ergebnisse der Musikindustrie, dass die sogenannten Album-Charts hierzulande eine dubiose und intransparente Quasi-Betrugs-Veranstaltung darstellen, in der der Bundesverband der Deutschen Musikindustrie ein an Euro-Umsätzen orientiertes, undurchschaubares System errichtet hat, das den Kauf von CDs, LPs und teuren »Bundles« über Gebühr bevorzugt. Während das wirkliche Hören von Musik auf Streamingdiensten kaum in die Wertung einfließt – und das Abrufen von Tracks auf dem weltgrößten Streamingdienst, nämlich YouTube, sogar komplett ignoriert wird.

Sicher, mitunter gelangen auch Musiker wie Herbert Grönemeyer (oder, eine Generation darunter, zum Beispiel Jan Delay) noch auf Platz 1 der Album-Charts, wenn auch mit im Vergleich zu früheren Charts-Erfolgen drastisch gesunkenen Verkaufszahlen. Das sind jedoch Ausnahmen, so wie die Wahlergebnisse von Frau Merkel Ausnahmen darstellten – Grönemeyer ist sozusagen die Merkel der deutschen Musikbranche, oder Angela Merkel kann als Grönemeyer der bundesdeutschen Politik gelten. Beide sind eine sentimentale Reminiszenz an die Zeit früheren Stardoms und alter Volksparteien.

In Wirklichkeit ist die politische und kulturelle Tektonik längst gebrochen, die Erosion der Volksparteien und der Superstars der Entertainmentbranche vollzogen. Das ist jetzt endgültig auch im Bundestagswahlergebnis sichtbar.

Die Frage ist, ob in der Politik eine ähnlich lebendige und vielfältige, diverse Szene entsteht, wie wir es in der Musik bereits seit etlichen Jahren erleben: Eine Welt, in der Hip-Hop und Indie, Singer/Songwriter, Pop, Schlager, EDM (elektronische Tanzmusik) oder Techno in mal kleineren, mal größeren Nischen munter vor sich hin wirbeln und ihre jeweiligen Fans glücklich machen, während Jazz oder Klassik die Rolle der »Sonstigen« (8,6 Prozent bei der Bundestags-, sogar 12,4 Prozent bei der Berlin-Wahl) spielen, also sozusagen die Kleinparteien der Musikszene darstellen. Eine Ausdifferenzierung verschiedenster Szenen geschieht letztlich zum Vorteil der Musik.

Wo steht geschrieben, dass Menschen sich unter dem Dach von Volksparteien oder Superstars der Musikwelt versammeln müssen?

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