- Politik
- Indien
Fragen nach der Kaste?
In Delhi wird über den nächsten Zensus gestritten
Die Volkszählung in Indien ist jedes Mal eine Mammutaufgabe. Schließlich handelt es sich um das mit nur noch minimalem Abstand zu China zweitbevölkerungsreichste Land der Welt. Mehrere Millionen Helferinnen und Helfer sind bis in die abgelegensten Dörfer unterwegs, um die Daten zu den knapp 1,4 Milliarden Menschen zusammenzutragen. Gezählt wird seit 1881, damals noch zu britischen Kolonialzeiten, im Abstand von zehn Jahren. Die Vorbereitungen für das Unterfangen brauchen vier bis fünf Jahre. Durch die Corona-Pandemie hat sich der Zensus 2021 verschoben, findet erst kommendes Jahr statt.
Nun ist ein heftiger Streit entbrannt um die Frage, ob erstmals seit Jahrzehnten auch wieder die Kastenzugehörigkeit abgefragt werden soll. Die regierenden Hindunationalisten der Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi sind strikt dagegen. Etliche einflussreiche Regionalparteien, darunter einige mit der BJP verbündete Kräfte, haben sich aber sehr für den aus dem Unionsstaat Maharashtra stammenden Vorstoß ausgesprochen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Lediglich die Zugehörigkeit zu SC und ST wird regulär in den Fragebögen erfasst. Das sind die beiden Kategorien, die laut der Verfassung besonderen Schutz und Förderung genießen. Unter ST (Scheduled Tribes) sind die zahlreichen indigenen Gemeinschaften zusammengefasst, die in den verschiedenen Regionen des Subkontinents stellenweise die dominierende Gruppe sind, mal aber auch nur eine kleine Minderheit. Unter dem Kürzel SC (Scheduled Castes) werden jene Menschen subsumiert, die im hinduistischen Kastensystem auf der alleruntersten Stufe stehen und traditionell stark diskriminiert sind, bis heute gerade auf dem flachen Land teilweise als Parias gelten. Mohandas Karamchand »Mahatma« Gandhi hatte sie dereinst als Harijans (Kinder Gottes) bezeichnet, sie selbst nennen sich heute im Alltag als Sammelbegriff zumeist Dalits.
Andere Kasten wurden nach der Unabhängigkeit schon bei der ersten Zählung 1951 nicht mehr erfasst, schon 1941 waren die dazu erhobenen Daten nicht mehr publiziert worden. Gerade ab den 1960er-, 1970er-Jahren wollte die Politik »Kaste« als Klassifikation abschaffen oder zumindest stark in den Hintergrund drängen - was bis heute nicht wirklich funktioniert hat. Vor allem im ländlichen Bereich sind Kastenhierarchien oft genug weiter prägend, auch gewählt wird oft noch entlang solcher Zugehörigkeit. Häufig gibt diese aber auch nebenher Aufschluss zur sozio-ökonomischen Stellung der Person: Einzelne Gruppen sind insgesamt stark benachteiligt.
Die Befürworter einer Zusatzfrage im nächsten Zensus zielen genau auf diesen Umstand ab, erhoffen sich mit der Information wichtige Rückschlüsse, um staatliche Fördermaßnahmen noch besser ausrichten zu können. Das von der BJP geführte Sozialministerium der nationalen Regierung und verschiedene Spitzenpolitiker der rechten Partei sehen allerdings in der Zusatzauskunft zur Kaste »keinen Erkenntnisgewinn von praktischem Wert«. So steht es auch in einer Stellungnahme der Regierung an den Supreme Court, Indiens höchstes Gericht. Verwiesen wird zudem darauf, dass es schlicht zu spät wäre. Der Fragenkatalog für den Zensus sei bereits 2019 abschließend erstellt worden.
Die Idee findet allerdings immer mehr Fürsprecher. Darunter sind die Bahujan Samaj Party, die sich primär als Dalit-Sprachrohr versteht, sowie die Rashtriya Janata Dal, die sich traditionell als besondere Fürsprecherin gewisser benachteiligter Kasten in Bihar, Jharkhand und angrenzenden Gebieten sieht. Aber beispielsweise auch die sozialdemokratische Janata Dal (United), seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Bündnispartner der BJP in der Nationalen Demokratischen Allianz (NDA), spricht sich dafür aus.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.