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Unsichtbare Hände
Spaß und Verantwortung: Olga Hohmann philosophiert über spionierende Künstler*innen
Ich hatte mir meinen neuen Job im Sternerestaurant zwar anstrengend, aber doch irgendwie glamourös vorgestellt. Unter anderem deshalb, weil meine Position dort nicht »Kellnerin« genannt wurde, sondern hochoffiziell »Chef de Rang«. Dass es trotz dieses Titels ziemlich ernüchternd ist, merkte ich aber bei meiner ersten Schicht, in der mein Chef mich mit den Worten begrüßte: »Nur damit du es weißt: Deine Persönlichkeit kannst du Zuhause lassen« - und mir verbot mit den Gästen zu sprechen.
Trotzdem ich die Drastik der Ansage meines Chefs unangemessen fand, versuchte ich der Forderung »mich selbst Zuhause zu lassen« nachzukommen, ich wollte den Job nicht verlieren. Also verstummte ich. Und fand in gewisser Weise sogar Gefallen daran. Das Verbot »ich selbst zu sein« erlaubte es mir, ein paar Nächte in der Woche »Urlaub von mir selbst« zu machen. Ich schloss mein iPhone in dem Schließfach im Keller ein, versteckte mein Gesicht hinter der Maske und schleppte fröhlich und buchstäblich »selbstlos« volle Tabletts hin und her.
Aber auch diese, eher sportliche, Auslegung wurde kritisiert: Die Arbeit sollte »unangestrengter« wirken, »casual«, wie mein Chef sagte. Sie durfte gar nicht nach Arbeit aussehen, ebenso wie die strengen Regeln der Etikette sich ebenfalls hinter einer »natürlichen« Umgangsweise verstecken sollten. Denn je entspannter die Gäste sich fühlten, desto ausgelassener gönnten sie sich zum Menü ein paar Flaschen Wein oder Champagner für mehrere Hundert Euro, so die Gewinnlogik des Restaurants. Je weniger Individuum ich war, desto besser konnte ich unauffällig nachschenken. Und je unauffälliger ich nachschenkte, desto mehr wurde getrunken. Und je mehr konsumiert wurde, desto mehr wurde bezahlt.
Es funktionierte sogar ganz gut, vielleicht auch dank der buchstäblichen Gesichtslosigkeit. Die Maskenpflicht war nebenher auch der Grund, warum mir die Lust, mit den Gästen zu flirten, schon nach wenigen Stunden vergangen war - heimlich hatte ich mich auch für den Job beworben, weil ich hoffte, dort einen reichen Sugar Daddy zu finden, der mir monatlich das doppelte Kellner*innengehalt ohne Gegenleistung spendierte. Dass die Emanzipation harte Arbeit bedeutete, war mir ein Dorn im Auge. Ich will die Reparationszahlungen für die Jahrtausende lange Unterdrückung von Frauen lieber in Cash zurück, dachte ich manchmal, trotzig und naiv, während ich Tabletts schleppte.
»Künstler*innen sind gefährlich, denn sie reisen durch die Klassen«, sagte mir eine Freundin neulich. Als kellnernde Autorin wird das offensichtlich. Während man die Gäste mit unsichtbaren Händen und ohne Gesicht bedient, schnappt man Gesprächsfetzen auf, in denen es um eine Ausstellungseröffnung, die man ebenfalls besucht (oder dank der Schicht im Restaurant verpasst) hat. Dann möchte man das Tablett abstellen, sich dazusetzen, die Maske (der Kellnerin) absetzen, sich ein Glas einschenken und mitdiskutieren. Ich schenke euch gerade gar nicht nach, ich bin in Wirklichkeit eine von Euch, seht ihr es denn nicht?, denke ich dann - und bin es nicht, denn ich schenke ja nach. Dann denke ich: Ihr armen Rich Kids, ihr könntet dieses Tablett nicht einmal halb so elegant tragen wie wir. Und die Stimmung in der Küche ist sowieso tausendmal besser als an euren Tischen, an denen ihr euch gelangweilt anschweigt. Geld macht nicht glücklich - und tut es eben doch.
Der Teddybärmann. Olga Hohmann macht sich Gedanken über ihre
sieben verschiedenen Jobs
Meine Großmutter machte mich neulich darauf aufmerksam, dass es das Verb »kellnern« in ihrer Jugend und früheren Erwachsenenzeit noch nicht gab. Es gab zwar den Beruf, nicht aber die Tätigkeit als solche. Das muss entstanden sein, weil Menschen - wie Künstler*innen in Metropolen zum Beispiel - anfingen, das »Kellnern« als Nebenjob zu betreiben. So reist man auch hier durch die Klassen: Ich gehöre nicht dazu und habe deshalb Zutritt zu allem. Im Luxusrestaurant wird man zur gefährlichen Spion*in, eine in unauffälligem Schwarz gekleidete, alles hörende Menschenkenner*in ohne Individualität, Persönlichkeit und Gesicht. Und so wird man zur Expert*in für soziale Klassen und deren elaborierte Codes.
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