- Kultur
- Transformation
Held des Übergangs
Der Rostocker Schriftsteller Michael Baade legt eine »Biografie in Büchern« vor
Vermutlich ist kein Schriftsteller seit Walter Kempowski so sehr mit seiner Heimatstadt Rostock verbunden wie Michael Baade. Der mittlerweile 77-jährige Autor legt jetzt in einer »Biografie in Büchern« eine vorläufige Bilanz seines über fünfzigjährigen literarischen Wirkens vor: Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann, weil sie reich ist an biografischem Anschauungsmaterial, nicht nur an Buchumschlägen, auch an Fotos, Dokumenten, Briefen, Rezensionen und anderen sehr persönlichen Lebenszeugnissen. Er beschränkt sich auf kurze Leseproben aus seinen wichtigsten Veröffentlichungen.
Aber, was nicht fehlen darf, fehlt nicht. Der Dank an die Eltern und sogar an die Großeltern: der Großvater war einmal Bürgermeister von Eberswalde-Finow. Die Verbeugung vor Goethe: Baade war 13 Jahre lang Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft in Rostock. Die Verbundenheit mit Walter Kempowski. Der warmherzige Dank an die Freundinnen und Freunde, allen voran an den Grafiker und Maler Armin Münch, mit dem er über Jahrzehnte eng und produktiv verbunden war. Die Verneigung vor seiner aus Thailand stammenden Ehefrau. Ein Foto zeigt das offensichtlich glückliche Ehepaar vor dem Schloss Bellevue. Dorthin hatte der Bundespräsident die beiden im Jahre 2016 zum Bürgerfest in Berlin eingeladen.
Die DDR kommt in Baades Rückblick zu ihrem Recht. Sie wird weder verklärt noch verdammt. Er dokumentiert seine ersten Beiträge als »Volkskorrespondent« für die Rostocker »Ostsee-Zeitung«.
Mit gutem Grund steht sein 2012 erschienenes Buch »Mein Freund Egon – Leben und Sterben von Egon Schultz« im Mittelpunkt seiner Erinnerungen an seine Lehrjahre in der DDR. Es ist ein wichtiges, vielleicht sein persönlichstes und politisch bedeutsamstes Buch. Michael Baade war mit Egon Schultz eng befreundet und war tief betroffen, als er erfahren musste, dass sein Weggefährte im Oktober 1964 an der Berliner Mauer von »feindlichen Kugeln« erschossen wurde. Die Wahrheit kam erst nach dem Fall der Mauer ans Licht. Seine eigenen Genossen waren für seinen Tod verantwortlich.
Noch zu DDR-Zeiten entdeckte Michael Baade seine Vorliebe für die Ostsee-Insel Hiddensee, auf der er Jahr für Jahr seinen Sommerurlaub verbrachte. Als es noch kein Internet und keine Kopiergeräte gab, legte er den Grundstein für ein umfangreiches Hiddensee-Archiv, in dem er Informationen über 170 Künstler und Schriftsteller zusammentrug, die auf dem »lütt Länneken« zu Gast waren. Die Frucht dieser Mühen konnte allerdings erst nach der Wende veröffentlicht werden. »Hiddensee – Insel der Fischer, Maler und Poeten« erschien 1992 als Taschenbuch im Verlag »Atelier im Bauernhaus« in Fischerhude und war ein gesamtdeutscher Erfolg.
Die Wende erlebte Michael Baade als Zeit des Aufbruchs und der Erneuerung. Seine Ballade »(Kein) deutsches Märchen« ist erfüllt von der beglückenden Erfahrung, im Westen Deutschlands und Europas an neuen Ufern anzulanden. Der Rostocker Autor gehört, um mit Enzensberger zu reden, zu den »Helden des Übergangs«. Er bewältigt die Wende, ohne in Hass und Verdammung auf das Vergangene zu verfallen, und ergreift die Chance, um Brücken in eine andere, nicht unbedingt bessere, aber unabdingbar andersartige Welt zu bauen.
Er unternimmt umfangreiche Reisen, Bildungsreisen, nicht nur in die alte Bundesrepublik, sondern nach Griechenland, Israel, Iran und Thailand. Das sind die großen Jahre von Michael Baades persönlicher Perestroika. Sie fügen sich folgerichtig in seine literarische Sendung ein.
Sein Weg führt ihn von der Insel Hiddensee nach Worpswede, wo er sich auf die Spuren seines lebenslangen Lieblingsmalers macht: Heinrich Vogeler. Vogeler ist 1942 elendig in der Steppe Kasachstans verhungert. Aber in Worpswede begegnet er kurz vor dessen Tod dem einzigen Sohn des Malers, Jan Vogeler. Vor seinem Rückzug in die Heimat seines Vaters war er in Moskau ein bedeutender Philosoph und ideologischer Wegbereiter der »Perestroika« von Michael Gorbatschow. Ihm ist Michael Baades vorläufig letzte Dokumentation gewidmet »Jan Vogeler – Sohn des Malers Heinrich Vogeler. Mit Bildern und Briefen von Heinrich Vogeler«.
Michael Baade: Etwas sagen möchte ich... Eine Biografie in Büchern. Mit Grafiken von Armin Münch. Edition Digital, 109 S., brosch., 14,80 €.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!