- Berlin
- Bildungspolitik
Scheeres packt die Koffer
Auch in der Berliner Bildungspolitik könnten die Weichen neu gestellt werden
Ein bildungspolitisches Ergebnis der Abgeordnetenhauswahlen steht seit Langem fest: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wird dem nächsten Senat nicht mehr angehören. Schon vor über einem Jahr hatte Scheeres erklärt, nach der Wahl abzutreten. Sie freue sich darauf, nach zehn Jahren im Amt demnächst mehr Zeit für ihren Garten zu haben, sagte sie vor ein paar Wochen zu »nd«.
Scheeres ist dabei nicht die einzige Bildungspolitikerin des bisherigen rot-rot-grünen Bündnisses, die in der kommenden Legislatur nicht mehr an vorderster Front mit dabei sein wird. Nach der Veröffentlichung der kompletten Liste der künftigen Berliner Abgeordneten am Dienstagnachmittag steht fest, dass die engagierten Bildungsexpertinnen Maja Lasić (SPD) und Stefanie Remlinger (Grüne) den Einzug ins Landesparlament verpasst haben.
Auch die streitlustige, zugleich aber über die Parteigrenzen hinaus anerkannte bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Regina Kittler, wird dem Abgeordnetenhaus nicht mehr angehören. Schon Sonntagnacht war klar, dass sie den Kampf um das Direktmandat in ihrem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 4 verloren hatte und ein Einzug über die Landesliste nicht drin ist: Die Linke hatte Kittler beim Landesparteitag im April den schon damals wenig aussichtsreichen Listenplatz 29 zugewiesen.
Die Linke-Politikerin wird ihre Arbeit nun in der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf fortsetzen. »Und ich werde auch bestimmt nicht leiser werden«, sagt Kittler zu »nd«. Tatsächlich hält sie sich - wie gehabt - mit scharfer Kritik an den Entscheidungen der Bildungsverwaltung auch jetzt nicht zurück. So nennt sie Scheeres’ Entscheidung, ab Anfang kommender Woche die Maskenpflicht an den Grundschulen aufzuheben, »grundfalsch«. Scheeres hatte den Schritt am Dienstag nach der Senatssitzung damit begründet, dass sie finde, »dass das jetzt wirklich auch an der Zeit ist«. Kittler sagt dazu nur: »Ich kann das echt nicht fassen.«
Doch auch jenseits der Maßnahmen zum Infektionsschutz: Sollte es für Die Linke nach den Sondierungen mit der SPD überhaupt zu Koalitionsverhandlungen kommen, müsse ihre Partei auch im Bildungsbereich klare Kante zeigen. »Es geht nicht, dass wir uns verbiegen und auf alles einlassen. Das darf Die Linke nicht machen. Dann werden wir unglaubwürdig«, sagt Kittler.
Ein absehbarer Knackpunkt in etwaigen Verhandlungen dürfte die Frage nach der Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrkräften sein. Ein Thema, das wie kein anderes den Wahlkampf in bildungspolitischer Hinsicht dominiert hatte. Mit der Rückkehr zur Verbeamtung, so das Argument der Befürworterinnen bei SPD, CDU und Teilen der Grünen, könne Berlin dem Problem des Lehrkräftemangels begegnen. Die Linke hielt stets dagegen. So auch jetzt.
»Aus unserer Sicht ist die Rückkehr zur Verbeamtung schlichtweg der falsche Weg«, sagt Franziska Brychcy, die voraussichtliche Nachfolgerin von Regina Kittler als bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Zum einen wäre es ungerecht, weil nur ein Teil des Kollegiums verbeamtet würde, nämlich im Wesentlichen Lehrkräfte unter 45 Jahren, während ältere Lehrkräfte oder Erzieherinnen leer ausgehen würden. »Zum anderen wird die Verbeamtung den Lehrkräftemangel nicht beseitigen. Das eigentliche Problem ist, dass wir einen extremen Saldo bei der Lehrkräfteausbildung haben. Und da müssen wir ran, das müssen wir gemeinsam stemmen«, sagt Brychcy zu »nd«.
Klar scheint: Sollte Die Linke im nächsten Senat außen vor sein, wird die Lehrkräfteverbeamtung aller Wahrscheinlichkeit nach Teil einer Berliner Koalitionsvereinbarung sein. Zu stark hatten die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten Franziska Giffey (CDU), Bettina Jarasch (Grüne) und Kai Wegner (CDU) im Wahlkampf damit zu punkten versucht, um das Thema jetzt sang- und klanglos zu beerdigen. Dass der Verbeamtungsfraktion dabei heftiger Gegenwind von der in Berlin dominierenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) entgegenschlagen wird, ist vorprogrammiert.
»Es ist traurig, dass das Thema Verbeamtung so Raum einnehmend ist«, sagt Berlins GEW-Chef Tom Erdmann zu »nd«. Die Gewerkschaft werde das mit aller Kraft versuchen aufzuhalten. Statt auf das unsolidarische Verbeamtungspferd zu setzen, solle sich der nächste Senat mit Blick auf den Mangel an pädagogischen Fachkräften an den Schulen um das Wesentliche kümmern: den massiven Ausbau der Ausbildungskapazitäten an den Berliner Hoch- und Fachschulen, so Erdmann auf einer Linie mit der Linken.
Übereinstimmung zwischen GEW und der Linken besteht auch bei der Stärkung der Gemeinschaftsschulen. Ein Projekt, das in einer Koalition, in der die CDU, oder die FDP, oder gar beide ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hätten, unter die Räder zu kommen droht. Beide Parteien konnten mit einer inklusiven »Schule für alle« noch nie viel anfangen. »Gemeinschaftsschulen sind ein Zukunftsmodell«, sagt dagegen Linke-Politikerin Franziska Brychcy. Ziel müsse es sein, dass künftig jede neu gebaute Schule in Berlin eine Gemeinschaftsschule sei, so Brychcy, die damit bei Gewerkschafter Tom Erdmann offene Türen einrennt.
Erdmann erinnert zugleich daran, dass »die Idee der Gemeinschaftsschulen endlich auch aktiv von der Bildungspolitik gefördert werden muss«. In dieser Hinsicht sei auch Rot-Rot-Grün überhaupt nicht vom Fleck gekommen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.