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Das Leid in Heimen anerkennen
Strafen, Demütigungen, prekäre Zustände – bis in die 70er Jahre in BRD und DDR für stationär untergebrachte Minderjährige Alltag
Nicht der Gedanke der Gleichheit, sondern vielmehr die Überhöhung der menschlichen Vernunft prägte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Blick auf behinderte sowie psychisch kranke Kinder. Und ein Kind, das »von der Norm abweicht«, galt als defizitär und ohne die Würde, die einem »gesunden« Kind zusteht. So wird in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie zur Aufarbeitung des Leids und Unrechts die Denkweise der Jahre von 1949 bis 1990 in stationären Kinder- und Jugendeinrichtungen beschrieben. Diese Auffassung habe sich in Heimen zwar nicht grundsätzlich von denen in den Familien unterschieden, konnte dort jedoch aufgrund des geschlossenen Mikrokosmos weitaus stärker zur Geltung gelangen.
Die unabhängige Studie wurde von der Stiftung Anerkennung und Hilfe in Auftrag gegeben, um die Umstände in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie in West- und Ostdeutschland zu untersuchen. Die Stiftung wurde bereits im Jahr 2017 von Bund, Ländern und Kirchen ins Leben gerufen, um das Leid und Unrecht anzuerkennen und die Betroffenen zu unterstützen. Es geht um jene Menschen, die als Kinder und Jugendliche in der Zeit von 1949 bis 1975 in der BRD oder von 1949 bis 1990 in der DDR in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie untergebracht waren.
Pädagogisch begründete Zwangs- und Strafmaßnahmen sowie demütigende Erfahrungen lassen sich laut den Studienergebnissen in allen untersuchten Einrichtungen feststellen. Dazu gehörten unter anderem körperliche Gewalt, Isolation in gesonderten Räumen, Demütigungen, Missachtung der Intimsphäre, Essenszwang oder -entzug sowie Fixierungen.
Zudem gab es auch ungerechtfertigte medizinische und therapeutische Maßnahmen, insbesondere in den Kinder- und Jugendpsychiatrien. Die Minderjährigen wurden teils medikamentös ruhiggestellt. Hochdosierte Arzneimittelverabreichungen und damit einhergehend unerwünschte Nebenwirkungen waren weit verbreitet. In einigen Einrichtungen kamen sogar Testpräparate zur Anwendung. In nicht wenigen Fällen wurden zudem medizinische Maßnahmen wie die Elektrokrampftherapie als Straf- und Disziplinierungsmittel angewandt.
Neben mentalitätsgeschichtlichen Rahmenbedingungen und Erziehungsidealen spielte dem Forschungsbericht zufolge ein Mangel an passenden Behandlungs- und Betreuungsplätzen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus war auch die Kontrolle der Einrichtungen durch die zuständigen Behörden unzureichend. Zudem habe es nur wenige Fördermöglichkeiten innerhalb und außerhalb der untersuchten Einrichtungen gegeben. Dies habe dazu geführt, dass Betroffenen persönliche, berufliche und soziale Lebensqualität vorenthalten wurde.
Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist auch, dass hinsichtlich der Leid- und Unrechtserfahrungen bis in die 70er Jahre kaum Unterschiede zwischen der BRD und der DDR feststellbar waren. Strukturelle Mängel waren demnach in beiden deutschen Staaten ähnlich stark ausgeprägt. Eine dauerhafte Unterfinanzierung, Personalmangel, Raumnot, ausbleibende Sanierungen und Überbelegungen kennzeichneten die stationären Einrichtungen. Ab den 70er Jahren habe es dann in der BRD insgesamt eine Verbesserung dieser Verhältnisse gegeben, in der DDR blieben die Mängel größtenteils bis 1990 bestehen.
Die damals in stationären Einrichtungen untergebrachten Kinder und Jugendlichen leiden noch heute unter den Folgen. Von der Stiftung wurden bisher 204 Millionen Euro als individuelle Anerkennungsleistung an die Betroffenen gezahlt, rund 305 Millionen Euro stehen zur Verfügung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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