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Gegen die Wand
Klug ist nicht, wer keine Fehler macht. Klug ist, wer sie korrigiert
Wenn man gerade voll gegen die Wand gekracht und nahe am Totalschaden ist, dann gibt es immer diejenigen, die mit einer sehr speziellen Deutung des Geschehens aufwarten: Wenn man nur schneller und konsequenter gefahren wäre, dann hätte man die Wand schon bezwungen. Ein rhetorisches Bekenntnis zur Regierungsverantwortung habe nicht gereicht, antwortete diese Woche Katja Kipping als ehemalige Vorsitzende auf die Frage nach Fehlern der Linkspartei, es habe an Ernsthaftigkeit und Klarheit gefehlt. Das allerdings kann man über das Ergebnis dieser Bemühungen nicht behaupten. Wie jemand, der die eigene Verliebtheit umso stärker verficht, je weniger man zurückgeliebt wird, hat die Linkspartei über Monate eine Koalition zum obersten Ziel erkoren, deren vermeintliche Partner sich im Auftreten kokett, aber in der Sache unwillig präsentierten. Kokett, weil man nichts dagegen haben konnte, wenn die kleinste der großen Parteien für einen Wahlkampf macht. Kokett auch, weil das Schonung hieß für jene, die die Agenda 2010 verbrochen haben oder sich längst als natürlicher Greenwashing-Partner der Konservativen und der Industrie verstehen. Welcher Strategie sollte das folgen?
Es gäbe einen linken Zeitgeist, so wurde behauptet, der eine sogenannte progressive Koalition geradezu geschichtsmetaphysisch erfordere. Nichts irriger als das. Nach 50 Jahren neoliberaler Regierungs- und Täuschungskunst - vor allem der Kritik daran! - müsste doch klar geworden sein, dass all die schönen freiheitlichen Gaben vor allem im Bereich der individuellen Lebensführung dazu dienen, die ökonomische und politische Scheiße zu fressen, die ein wirklich freies Leben für eine übergroße Zahl der Menschen verunmöglicht. Wer aber deren Lebensbedingungen verbessern will, sollte sich nicht auf nette Zahlen und Umfragen verlassen, die Mehrheiten für soziale Gerechtigkeit suggerieren. Der Citoyen ist immer ein guter Mensch, ob von Sezuan oder vom Prenzlauer Berg, der Bourgeois kann es - »leider, leider« - nicht sein. Unser täglich Brot gib uns heute, murmelt er, und meint nur seins. Entscheidend ist, ob die politischen Ziele und Maßnahmen als notwendig erkannt werden, die etwas wie »soziale Gerechtigkeit« verwirklichen könnten. Das setzte voraus, dass man marxistische Gesellschaftsanalyse betreibt und deren Einsichten verbreitet. Und dass man eigene Erfolge nicht an Umfragen oder der zeitweisen Geschäftsübernahme des »Staats des Kapitals« misst, sondern an der Beteiligung an sozialen Kämpfen.
Jede linke Partei und Bewegung, die die neoliberale Ordnung nicht fundamental infrage stellt, wird untergehen. Neoliberalismus heißt, Daumenschrauben fürs Proletariat und Freiheit fürs Kapital. Manchmal gibt’s zu den Daumenschrauben eine Schmerztablette dazu, kapitalverträglicher Mindestlohn zum Beispiel. Nichts gegen Mindestlohn, der freut auch die Immobilienkonzerne, die ihn mit der nächsten Mieterhöhung einsacken. Der Impuls des Linksseins ist, nicht nur Objekt der Kapitalverwertung und des sie stützenden Staates sein zu wollen. In allen Auseinandersetzungen mit der Herrschaft muss sich eine Linke einmischen und sich für soziale Freiheit und Selbstbestimmung einsetzen. Ob man seinen Job kündigt, sich scheiden lässt, den Wohnort oder das Geschlecht wechselt, ob man sich impfen lässt oder nicht, niemand soll deswegen einen Nachteil erleiden müssen. Dem autoritären Hartz-IV-Regime oder der paternalistischen Auffassung von öffentlicher Gesundheit, der repressiven Individualisierung im Interesse des Kapitals muss fundamental etwas entgegengesetzt werden - ernsthaft, klar und nicht nur rhetorisch. Der lateinische Name für Entgegensetzung lautet Opposition. Was also soll man tun, wenn man gegen die Wand gekracht ist? Man könnte beginnen mit: die Richtung ändern.
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