Die Mecker-Ossis wittern ihre Chance

In der Ost-CDU wächst der Widerstand gegen Parteichef Armin Laschet und der Wunsch nach einer neuen Ausrichtung

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Inhalt des kleinen Schächtelchens, das Sven Schulze am Samstag in Leuna überreicht bekam, war von den hinteren Reihen des Saales aus kaum zu erkennen – so winzig war es. Also musste der Bescherte selbst für Aufklärung sorgen: »Wer es nicht sehen kann, es ist ein Kompass«, sagte Schulze, der auf dem CDU-Parteitag in Sachsen-Anhalt soeben mit 76,88 Prozent der Delegiertenstimmen im Amt des Landesvorsitzenden bestätigt worden war. Wesentlich symbolträchtiger als die Wahl selbst war jedoch das hübsch verpackte Geschenk, das die Bundestagsabgeordnete Heike Brehmer dem Gewählten in die Hand drückte und ihn, der zugleich als Wirtschaftsminister des frisch vereidigten schwarz-rot-gelben Kabinetts unter Regierungschef Reiner Haseloff fungiert, zu einer spitzen Bemerkung verleitete: »Ich glaube, den Kompass brauchen wir auch.«

Eigentlich könnte die Magdeburger CDU mit Lust und Laune in die neue Legislaturperiode starten. Sie hat nicht nur die Landtagswahl am 6. Juni mit 37,1 Prozent klar gewonnen, sondern auch ihre Wunschkoalition erhalten, die verhassten Grünen aus der Regierung gekickt und als Sahnehäubchen den Sozialdemokraten das Wirtschaftsministerium abgeluchst. Doch nach dieser Bundestagswahl, die nur 16 Wochen später aus CDU-Sicht ein völlig konträres Ergebnis hervorbrachte – in Ostdeutschland: Minus 10,5 Prozent im Vergleich zur Wahl 2017, sieben Prozentpunkte Rückstand auf die SPD –, liegen die Nerven schon wieder blank. Und so stand in Leuna nicht nur die personelle Neuaufstellung des Landesverbands auf der Tagesordnung, sondern auch die Aussendung deutlicher Signale in Richtung Berlin.

Ministerpräsident Haseloff zog bei seiner Rede die ganz großen Linien: »In einer Zeit, in der weltgeschichtliche Prozesse unplanbar geworden sind, kann man in ein Programm reinschreiben, was man will«, sagte der 67-Jährige: »Wenn die Menschen denjenigen, die das Programm umsetzen sollen, nicht zutrauen, dass sie Krise können, dann werden sie davon Abstand nehmen, ihr Kreuz an unserer Stelle zu machen.« Als Beispiel nannte Haseloff die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die gerade in Ostdeutschland viele Erinnerungen weckte: Auch der Osten war in jüngster Vergangenheit, 2002 und 2013, zweimal von Unwetterkatastrophen heimgesucht worden – und es gilt aus Sicht vieler Beobachter als ausgemacht, dass der Lachanfall von Kanzlerkandidat Armin Laschet bei seinem Besuch im Hochwassergebiet gerade im Osten viele Wähler abschreckte. Ohne Laschets Namen zu nennen, machte Haseloff den Delegierten und der Öffentlichkeit klar, wer aus seiner Sicht die Verantwortung für das Wahldebakel trägt – und auch, warum.

Man erkennt unschwer: In der aufgewühlten CDU steigt der Druck auf den Parteichef, der trotz entgegenlaufender Umfragewerte – nur noch 13 Prozent der Befragten wollen ihn laut Forschungsgruppe Wahlen als Kanzler sehen – nach wie vor an die Realisierbarkeit eines Jamaika-Bündnisses glaubt. Die Ost-Verbände, die bereits unter Kanzlerin Angela Merkel zu den Quenglern und Nörglern gehörten, die zum Teil ganz bewusst eigene Wege gingen – man denke etwa an den Widerstand der CDU in Sachsen-Anhalt gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags –, wittern ihre Chance, in Zukunft stärkeren Einfluss auf den Kompass der Partei zu erhalten. Viele CDUler im Osten wünschen sich ein konservativeres Profil. »Mir platzt die Hutschnur, wenn ich mir das Wahlergebnis anschaue«, wütete Niklas Fries von der Jungen Union in Leuna und urteilte – die Tatsache ignorierend, dass die Union vor allem an SPD und Grüne verlor –, Laschet habe es »nicht geschafft, neben der christlich-sozialen und der liberalen auch die konservative Wurzel zu erwähnen«. Auch der Umgang mit dem Ostbeauftragten Marco Wanderwitz, dem Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wegen dessen Aussagen über vermeintlich demokratieferne Ostdeutsche eine Mitschuld am Wahlergebnis gibt, zeugt von den Ausfechtungen innerhalb der CDU um die künftige Ausrichtung.

Eine wohl letzte Chance erhält Armin Laschet in den Gesprächen mit FDP und Grünen – übrigens Seit an Seit mit Reiner Haseloff, der zum zehnköpfigen Sondierungsteam der CDU gehört. Sollte Laschet auch diesmal scheitern, dürfte er politisch endgültig erledigt sein. Im Hintergrund formieren sich bereits seine möglichen Nachfolger, darunter auch der in der Ost-CDU sehr beliebte Friedrich Merz.

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