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Der schärfste Kritiker der Taliban
Warum sich das zentralasiatische Tadschikistan erstaunlich offen mit den radikalen Islamisten anlegt
Das pragmatische Usbekistan pflegt schon seit Längerem einen Dialog mit den Taliban und selbst das völlig isolierte Turkmenistan empfängt die Gotteskrieger zu Gesprächen über Energielieferungen und die Sicherheit an der gemeinsamen Grenze: Afghanistans zentralasiatische Nachbarn nehmen die Machtergreifung der Islamisten als vollendete Tatsache hin. Kritik oder Forderungen nach einem Eingreifen werden nicht laut. Die diplomatische Anerkennung der neuen Regierung in Kabul scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Doch ein Land schert aus dem beschwichtigenden Chor aus: Tadschikistan. Ausgerechnet Emomali Rahmon, der Präsident des ärmsten und kleinsten Landes Zentralasiens, weigert sich hartnäckig, mit den Taliban auch nur zu reden. Die Islamisten seien eine «ernste Bedrohung für die regionale Sicherheit und Stabilität», wetterte Rahmon in einer Videobotschaft an die UN-Generalversammlung Ende September. «Wir sind ernsthaft besorgt und bedauern, dass Afghanistan wieder einmal auf dem Weg ist, eine Plattform für den internationalen Terrorismus zu werden.» Zuvor verkündete Zentralasiens dienstältester Präsident - der Tadschikistan seit 1994 lenkt - keine ausschließlich aus Paschtunen bestehenden Führung anzuerkennen. Afghanistan brauche eine «integrative Regierung, welche die Interessen aller ethnischen Gruppen berücksichtige», erklärte der 69-Jährige mit Blick auf die afghanischen Tadschiken, welche gut ein Viertel der Bevölkerung Afghanistans ausmachen und somit die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe des Landes bilden. Bereits eine Woche warnte Rahmon zudem vor einer humanitären Katastrophe im Pandschir-Tal. Nach seiner Darstellung gehe der Kampf der in dem afghanischen Gebirgszug ansässigen Tadschiken gegen die Taliban weiter. Allerdings hätten die Islamisten das Tal abgeriegelt. Lebensmittel würden knapp, die Widerstandsbewegung brauche daher nun dringend internationale Unterstützung.
Doch Rahmon beließ es nicht bei markigen Forderungen - und nahm die bekanntesten Führer des Widerstands gegen die Taliban auf. Unter den Geflüchteten sind unter anderem Ahmad Massud, der bis vor Kurzem die Kämpfe im Pandschir-Tal leitete und Ex-Vizepräsident Amrullah Saleh, der sich als legitimen Präsidenten Afghanistan betrachtet. Derzeit ist Tadschikistan das wichtigste Zentrum des afghanischen Widerstands.
Die Taliban reagieren auf die Kritik aus dem Norden immer gereizter. «Wir werden nicht zulassen, dass sich irgendein Nachbarland in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einmischt», erklärte Abdul Salam Hanafi, Vize-Premier der Taliban, dem Fernsehsender Al-Jazeera. Noch deutlicher wurde Inamullah Samangan vom Kulturausschuss der Taliban: Man brauche von Tadschikistan keine Lektion in Sachen Demokratie, erklärte er in Anspielung auf die jahrzehntelange Herrschaft Rahmons. Anfang Oktober setzte Kabul dann ein deutliches Zeichen und verlegte ein Bataillon der berüchtigten Laschkar-e Taiba an die Grenze zu Tadschikistan. Die als besonders radikal geltende Terrorgruppe sorgte mit Selbstmordattentaten auf afghanische Sicherheitskräfte für Angst und Schrecken. Kurz zuvor verschärften sich die Spannungen im Grenzgebiet bereits, als Nachrichten über verstärkte Aktivitäten der extremistischen Jamoat Ansarullah durchsickerten. Die mit den Taliban kooperierende Terrorzelle wird von Duschanbe besonders gefürchtet, da sie sich vor allem aus tadschikischen Afghanen rekrutiert und - im Gegensatz zu den Taliban - auch Anschläge in Tadschikistan ankündigte. Nach dem Bekanntwerden der Nachrichten versetzte Rahmon die Streitkräfte in erhöhte Gefechtsbereitschaft, reiste in die Grenzregion und demonstrierte dort mit einer groß angelegten Parade die Schlagkraft der tadschikischen Armee.
Was aber steht hinter dem unnachgiebigen Kurs Tadschikistans, dessen mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Afghanistan nur schwer zu verteidigen ist? Warum treibt Rahmon das schwächste Land Zentralasiens in die Konfrontation mit den Taliban? Mit der harschen Kritik wolle der tadschikische Präsident seine Beliebtheit stärken und von der katastrophalen Wirtschaftslage im Lande ablenken, vermuten Analysten. Dafür spräche, dass viele Bürgen den Widerstand der afghanischen Tadschiken mit großen Sympathien verfolgen. So gab es in der tadschikischen Hauptstadt Kundgebungen zur Unterstützung der Kämpfer im Pandschir-Tal. Demonstranten zeigten Plakate mit Parolen wie «Es lebe die Widerstandsfront» und «Tod den Taliban! Tausende junge Männer aus Tadschikistans Süden sollen sich als Freiwillige gemeldet haben, um in Pandschir zu kämpfen. Hinter Rahmons Vorgehen steckt auch Sorge vor einem Erstarken des Islamismus. Dies hat historische Gründe: Denn nach dem Zerfall der Sowjetunion tobte in Tadschikistan ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der Zentralregierung und der islamistischen Opposition. Rahmon beendete den Waffengang 1997 mit weitreichenden Zugeständnissen an die Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans (PIWT). Tadschikistans wichtigste Oppositionskraft wurde offiziell geduldet und konnte wichtige Schlüsselposten besetzen. Doch Rahmon hielt sich nicht an die Vereinbarung, zerschlug die Partei und erklärte sie 2015 zur Terrororganisation. Dass der Präsident nun Gespräche mit den Taliban aufnimmt, während er selbst Islamisten unterdrückt, ist nur schwer vorstellbar.
Die laute Kritik des tadschikischen Staatschefs zielt zudem auf ein internationales Publikum. Das verarmte Tadschikistan nutzt die Krise an der afghanischen Grenze, um sich militärische und finanzielle Hilfe zu sichern. So hat Russland seine Hilfe im Rahmen des Militärbündnisses OVKS bereits aufgestockt. Außerdem empfing Rahmon Außenminister Heiko Maas (SPD), telefonierte mit Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, und wurde von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Paris eingeladen.
Rahmon pokert hoch, der Ausgang des Duells mit den Taliban ist völlig offen. Allerdings gibt es auch Anzeichen dafür, dass der tadschikische Autokrat nach Wegen zu einer Deeskalation des Konflikts sucht: So will Rahmon zusammen mit dem pakistanischen Premier Imran Khan eine Konferenz zwischen den Taliban und tadschikischen Widerstandsgruppen in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe organisieren.
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