Justiz macht Kurz Beine

Razzien im Kanzleramt und der Parteizentrale der Österreichischen Volkspartei

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 5 Min.

Mehrere Hundert Seiten umfasst die Durchsuchungsanordnung, mit der die Ermittler in Wien am Mittwochmorgen ausrückten. Der Umfang dieser juridischen Munition ergibt sich dabei wohl aus den Zieladressen: der Ballhausplatz in Wien, Sitz des Bundeskanzlers, sowie die Lichtenfelsgasse neben dem Wiener Rathaus, Zentrale der Kanzlerpartei ÖVP. Dort fanden am Mittwoch Hausdurchsuchungen statt, wie auch im Finanzministerium und einer Reihe von Privatadressen. Und dabei geht es durchweg um das allerengste Umfeld des Kanzlers Sebastian Kurz: etwa um Kanzlersprecher Johannes Frischmann, um den Medienbeauftragten von Kurz, Gerald Fleischmann, den Kurz-Berater Stefan Steiner, aber auch um Finanzminister Gernot Blümel. Und nicht zuletzt Kurz selbst neben weiteren Prominenten aus der ÖVP.

Der zunehmend eskalierte Kleinkrieg zwischen Kurz und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ist mit den Razzien um eine pikante Facette reicher. Vor allem aber wurde mit ihnen ein neues Kapitel in den Korruptionsermittlungen gegen den Kanzler und sein Umfeld aufgeschlagen: Die Vorwürfe lauten diesmal Bestechung, Bestechlichkeit sowie Untreue. Der Hintergrund: angebliche Absprachen zwischen dem Umfeld Kurz’ und dem Herausgeber des Boulevardblattes »Österreich«, Wolfgang Fellner. Die Sache dreht sich um Regierungsinserate, Scheinrechnungen sowie aus dem Staatsbudget finanzierte Studien für Parteizwecke.

Konkret geht es um Umfragen im Interesse der ÖVP, die per Scheinrechnungen als Studien des Finanzministeriums abgerechnet worden sein sollen. Sprich: Das Finanzministerium habe für ÖVP-Umfragen im Sinne von Kurz bezahlt. Die Rede ist auch von frisierten Umfragen. Außerdem sei mit der Gratiszeitung »Österreich« eine Vereinbarung über Regierungsinserate getroffen worden.

Durchweg soll es sich dabei um Deals handeln, die noch vor Kurz’ Kanzlerschaft geschlossen wurden. Die ÖVP war damals in einer Koalition mit der SPÖ, das Finanzministerium war in der Hand der ÖVP. Hier findet sich auch die Quelle für die jetzigen Ermittlungen: Thomas Schmid. Der war zu dieser Zeit Generalsekretär im Finanzministerium, später erhielt er unter Umständen, die derzeit ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen sind, den Chefposten bei der Staatsholding ÖBAG, musste dann aber unter großem öffentlichen Druck zurücktreten. Zuvor war bekannt geworden, dass sich Schmid die Ausschreibung für den ÖBAG-Chefposten selbst geschrieben hatte - inwieweit Kurz darin involviert war, ist offen.

Der jetzige Vorwurf lautet jedenfalls, Kurz habe Schmid direkt beauftragt, eben diese Deals zu treffen. Die Hinweise darauf sollen auf Schmids Mobiltelefon gefunden worden sein. Das war im Zuge von Ermittlungen in wiederum einer ganz anderen Angelegenheit beschlagnahmt worden.

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Der Inhalt dieses Telefons hat eine ganze Serie an Skandalen ins Rollen gebracht: Da waren die Chats mit dem Kanzler-Berater Blümel, in denen Blümel Schmid als Teil der »Familie« bezeichnet und Unterstützung bei seinem ÖBAG-Unterfangen zugesichert hatte. Da waren die Chats, in denen Kurz Schmid versicherte, er bekomme doch eh alles, was er wolle. Da waren die Auslassungen Schmids darüber, wie es sei, ohne Diplomatenpass und damit wie der Pöbel reisen zu müssen. Da waren aber vor allem auch viele Indizien darauf, dass die »Familie« aus der Justiz heraus vor Razzien gewarnt wurde.

Für Kurz selbst sind die neuen Ermittlungen ein schwerer Schlag. Das Trommelfeuer wegen Korruptionsaffären seit Veröffentlichung des Ibiza-Videos hat Spuren hinterlassen. Das Protokoll der Befragung Kurz’ durch einen Richter Anfang September in der ÖBAG-Sache ist ebenfalls kein Ruhmesblatt des Kanzlers, der stets darauf bedacht ist, nach außen seriös zu wirken. Kurz wird Falschaussage vor dem Parlament vorgeworfen. Und die Serie an Attacken der ÖVP auf die Staatsanwaltschaft wirkt in Anbetracht des Ermittlungsvolumens vor allem unglaubwürdig. Erst am Dienstag hatte die ÖVP etwa zu einer Pressekonferenz mit dem Titel geladen: »Sind die linken Zellen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft am linken Auge blind?«

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Dabei dürfte diese Pressekonferenz am Vortag der Razzien kein Zufall gewesen sein. Gerüchte um bereits erfolgte oder bevorstehende Razzien in ÖVP-Büros hatten in der letzten Woche zugenommen. Nichts war allerdings zu den Hintergründen bekannt. Ausgegangen wurde davon, dass es sich um Sicherstellungen im Zuge bereits bekannter Affären handeln würde. Nicht zuletzt hatte die Reaktion der Kanzlerpartei die Gerüchte befeuert. Die Generalsekretärin der ÖVP, Gabriela Schwarz, meinte: Man sei in der ÖVP schon länger dazu übergegangen, all jene Daten regelmäßig zu löschen, zu deren Aufbewahrung man nicht gesetzlich verpflichtet sei. »Es ist nichts mehr da«, so Schwarz. Etwaigen anrückenden Ermittlern hatte sie angekündigt, diese würden nichts finden. Weil: »Es ist auch nichts zu finden, denn es gibt definitiv nichts.«

Am Mittwoch sagte Schwarz, sie sei sprach- und fassungslos, dass die Razzien bereits vor Wochen gegenüber Journalisten angekündigt worden seien. Offenbar gehe es um einen »Showeffekt«, um die ÖVP vorzuführen. In dasselbe Horn blies ÖVP-Fraktionschef August Wöginger. Er sprach von einer »Unzahl an falschen Behauptungen«, die kursieren würden. Es gebe immer die gleichen konstruierten Vorwürfe, die einzig das Ziel hätten, der Volkspartei und Kanzler Sebastian Kurz zu schaden. Die ÖVP werde dem politisch wie juristisch entgegentreten.

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