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  • Halle-Attentat / Kiez-Döner

Trauer, Verzweiflung, Wut

Der rechtsterroristische Anschlag in Halle jährt sich zum zweiten Mal. Betroffene beklagen fehlende Solidarität vonseiten der Politik

  • Max Zeising, Halle
  • Lesedauer: 7 Min.

Das fröhlich lachende und eifrig winkende Emoji, das einst auf der Schaufensterscheibe des »Kiez-Döners« inmitten der Ludwig-Wucherer-Straße in Halle zum Kebab-Verzehr einlud, ist verschwunden. Die Tür zum Geschäft ist angelehnt, aber der nd-Reporter solle doch bitte draußen warten, es werde gerade gefliest. Allerlei Baumaterialien stehen herum, Menschen wuseln umher. Nur der gut gefüllte Getränke-Kühlschrank, der etwas verloren in einer Ecke des Raumes steht, erinnert an die frühere Funktion dieses Ladens.

Unter den Wuselnden ist auch İsmet Tekin, der Inhaber des »Kiez-Döners«. »Wir haben uns entschieden, etwas Neues in Halle reinzubringen, das noch niemand hat«, berichtet er mit leuchtenden Augen und nimmt sich dann eine ganze Stunde Zeit, um über den Umbau des Ladens zu sprechen: »Wir wollen etwas Besonderes schaffen. Einen Ort, an dem Menschen immer willkommen sind.« Ein türkisches Frühstückscafé solle es werden, »mit neuen Speisen, die es bislang in Halle noch gar nicht gibt«. Dönerläden gebe es ja genug, fügt Tekin hinzu.

Seit November letzten Jahres läuft der Umbau, ein Ende ist noch nicht absehbar. Immerhin, einen Namen gibt es schon: »Tekiez«. Letztlich geht es İsmet Tekin und seine zahlreiche Mitstreiter, die sich zu einer »Soli-Gruppe« zusammengeschlossen haben. Der »Kiez-Döner«, in dem ein rechtsterroristischer Attentäter am 9. November 2019 einen Menschen erschoss, soll zum Gedenkort werden. Für Tekin, der den Anschlag selbst erlebte, ist dieser Umbau auch eine Möglichkeit, all diese schrecklichen Erinnerungen, die ihn seitdem belasten, ein Stück weit zu verarbeiten.

Inmitten der belebten Halleschen Innenstadt, wo sich schicke Altbauten aneinanderreihen und die benachbarte Martin-Luther-Universität für ein junges, bewegtes Flair sorgt, ereignete sich vor nunmehr zwei Jahren eine Tat, die das Leben von İsmet Tekin und all den anderen Betroffenen für immer veränderte: Um kurz nach 12 Uhr steuerte ein Mann seinen mit Schusswaffen und Sprengstoff beladenen Pkw durch die Schillerstraße. An der Ecke zur großen Ludwig-Wucherer-Straße, auf der um diese Zeit für gewöhnlich viel Verkehr herrscht, hielt er an. Auf der anderen Straßenseite entdeckte er den Imbiss. »Döner, nehmen wir«, sagte er - diese Worte sind auf seinem als Livestream ins Netz gestellten und später im Gerichtsprozess gezeigten Video festgehalten. Der Attentäter stieg aus dem Wagen und feuerte auf den Imbiss. Dann drang er hinein und tötete den in einer Ecke kauernden Kevin Schwarze, der in der Nähe als Maler arbeitete und im »Kiez-Döner« seine Mittagspause verbrachte. Er ist einer von zwei Menschen, die bei dem Anschlag ihr Leben verloren. Zuvor hatte der Attentäter versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die sich unweit vom »Kiez-Döner« befindende Synagoge einzudringen und aus einem antisemitischen Motiv heraus ein Blutbad anzurichten. Nachdem er an der Tür gescheitert war, tötete er vor dem Gotteshaus die Passantin Jana Lange. Sie war das erste der beiden Todesopfer dieses Mannes, der am 21. Dezember 2020 nach fünfmonatiger Verhandlung vor dem Landgericht Magdeburg wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes in vielen weiteren Fällen zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde.

Wenige Tage bevor sich der Anschlag am Samstag zum zweiten Mal jährt, wirkt İsmet Tekin angespannt. Auf seine Gefühle angesprochen, hält er kurz inne: »Beschreiben kann man das nicht. Das muss man selbst erlebt haben«, sagt er nur, während er sich eine Zigarette anzündet: »Viele checken nicht, was wir durchmachen. Seit zwei Jahren hat es keine Erleichterung gegeben.« Man merkt, wie sehr der Imbissbetreiber noch heute unter den Folgen des Anschlags leidet. Neben die Trauer mischen sich Verzweiflung und Wut.

Enttäuscht ist Tekin vor allem von der Politik. Er berichtet von einer Begegnung mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff: »Zwei oder drei Tage nach dem Anschlag haben wir in unserem Hinterhof miteinander gesprochen.« Auch der damalige und später wegen der Impf-Affäre suspendierte Oberbürgermeister Bernd Wiegand sei dabei gewesen: »Die haben uns versprochen, uns in jeder Angelegenheit zu unterstützen. Die haben gesagt: Wir sind bei euch.« Tekin war unsicher, ob er den Laden, in dem er vor dem Anschlag als Verkäufer gearbeitet hatte, übernehmen wolle. Sein Bruder Rıfat sei dagegen gewesen, aber er entschied sich letztlich dafür - auch wegen der angebotenen Hilfe. Doch die sei bislang nur teilweise angekommen. Man habe einen Brief an Haseloff geschrieben und darin eine konkrete Summe zur Unterstützung des Umbaus genannt. Am Freitag kam die Antwort: Es werde keine Unterstützung geben, die Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Auch die Stadt Halle habe 20 000 Euro versprochen, von denen bisher nur 10 000 Euro angekommen seien. Seine Entscheidung, den Laden zu übernehmen, bereut İsmet Tekin aber nicht: »Ich bin sogar stolz darauf«, sagt er und schaut zu seinen beiden Mitstreiterinnen hinüber, die neben ihm auf der Holzterrasse vor dem »Kiez-Döner« Platz genommen haben: »Mein Bruder Rıfat und ich haben Kraft durch die Soli-Gruppe gesammelt. Diese Menschen sind sehr lieb, nett und hilfreich. Die haben unsere Schmerzen mitgetragen. An mancher Stelle haben sie mehr Stress als wir.«

Es scheint, als seien in den letzten beiden Jahren zwei Entwicklungsstränge ein Stück weit gegeneinandergelaufen. Einerseits: die Versuche von Politik und Justiz, den Anschlag aufzuklären, Fehler zu erkennen, Konsequenzen zu ziehen. Der Täter ist rechtskräftig verurteilt; das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest, eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ist so gut wie ausgeschlossen. Das damalige Kabinett aus CDU, SPD und Grünen unter Ministerpräsident Haseloff einigte sich auf ein »Landesprogramm für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus« sowie eine Zusatzvereinbarung zum Schutz jüdischer Einrichtungen, die auch der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, unterzeichnete.

Ein Untersuchungsausschuss kam zu dem Schluss, dass der Anschlag kaum vorhersehbar gewesen sei, zudem habe es ein explizites Sicherheitskonzept für Jom Kippur nicht gegeben - offenbar, weil der Kontakt zwischen Jüdischer Gemeinde und Polizei über die Jahre eingeschlafen war. Der Ausschuss regte an, die Verantwortung für Sicherheitsgespräche künftig stärker in Richtung Polizei zu verschieben - in der juristischen Fachsprache »Holschuld« genannt. Mängel offenbarten sich außerdem in der Arbeit von Ermittlungsbehörden im Internet, wo der Attentäter unbehelligt seine rechtsextremen Fantasien ausleben konnte, und im Umgang der Polizei mit Betroffenen. Der Grünen-Innenexperte Sebastian Striegel gibt zu bedenken: »Wenn man einen Wandel in der Organisationskultur der Polizei vollziehen will, dann ist das nichts, was sich innerhalb von Wochen oder Monaten ergibt. Das braucht Zeit.«

Andererseits ist da die sich verstärkende Enttäuschung der Betroffenen. Christina Feist, die sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Synagoge befand und bis heute unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, sagt, sie sehe die Lage »sogar noch fatalistischer« als vor einem Jahr. Damals, mitten im Prozess, hatte sie noch ein Stück Resthoffnung, die Perspektive der Betroffenen würde nun stärker in den Blick genommen. Mit dem Urteil aber »ist ein Teil in mir gestorben. Die Urteilsbegründung war für die Betroffenen katastrophal. Es wurde nicht anerkannt, dass die Gebrüder Tekin und ein Passant aus rassistischen Motiven heraus angegriffen wurden.« Nach dem Mord an Kevin Schwarze lieferte sich der Attentäter einen Schusswechsel mit der Polizei, in dessen Reichweite sich auch İsmet Tekin befand; auf seiner Flucht fuhr der Attentäter zudem den Passanten Adiraxmaan Aftax Ibrahim an. Beide Fälle wurden nicht als Mordversuche gewertet. Feist sagt, ein Übergang zur Normalität sei für Betroffene nicht einfach so möglich: »Wir können mit dem Urteil nicht einfach zufrieden sein. Das scheint aber die Politik zu glauben.«

Am Samstag wird Reiner Haseloff wieder in der Stadt sein. Vor der Synagoge und dem »Kiez-Döner« sollen Kränze niedergelegt werden, der Ministerpräsident wird ein paar Gedenkworte sprechen. Was İsmet Tekin von solchen Veranstaltungen hält? »Mir ist es egal, wer kommt und wer nicht. Am besten wäre: Niemand kommt. Dann gedenken wir für uns.«

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