Mitleid mit Laschet

Der CDU-Kanzlerkandidat leidet so schön wie kein anderer - Zeit für eine humanitäre Geste

In Deutschland ist etwas passiert, was niemals hätte passieren dürfen: Die CDU hat eine Bundestagswahl verloren. Das bietet charakterlosen Subjekten Anlass zu Spott. Viele lachen sich schlapp, als stünden sie ein paar Schritte hinter dem Bundespräsidenten, der in einer Rede gerade Flutopfer betrauert. Das ist widerlich, fies und gemein. Einen trifft die Häme besonders hart. Es ist das freundliche rheinische Urgestein Armin Laschet. Ein Mann, der nie jemanden etwas getan hat, besonders nicht der Wirtschaft!

Es ist eine hierzulande weitverbreitete Unsitte, immer auf die Schwächsten der Schwachen einzuprügeln. Armin Laschet kann sich nicht wehren, wenn man über ihn herzieht. Weder hat er dazu die körperlichen Fähigkeiten noch das rhetorische Geschick. Wer sich über ihn lustig macht, steht auf der gleichen evolutionären Stufe wie Passanten, die alte Damen bei Rot auf die Straße schubsen. Wer aber nur über ein Mindestmaß an guter Kinderstube verfügt, fühlt unweigerlich mit dem Mann, dem der Wind der Schadenfreude ins Gesicht bläst.

Wer in Laschets traurige Augen schaut und nicht den Drang verspürt, ihm über den Kopf zu streicheln, ihn an die Hand zu nehmen und ihm ein Eis zu kaufen, dem ist wohl jede menschliche Regung fremd. Denn Armin Laschet steht jetzt vor dem Scherbenhaufen, der sein Leben war. Wie schwer muss es ihm fallen, morgens aufzustehen und sich ins Büro fahren zu lassen? Wie demütigend muss es sein, wenn er aus dem Autofenster sieht und sein graues NRW? Laschet wäre als Kanzler nach Paris gereist, hätte in London von feinstem Porzellan gespeist und in Washington die eine oder andere Ehrendoktorwürde entgegengeschmissen bekommen. Nun muss er sich beim nächsten Lokaltermin in Hagen von einer der zahlreichen Hagener Tauben den Maßanzug vollscheißen lassen.

Wie viel kann ein Mensch ertragen? Gut, dass nun so viele ihr Mitleid aussprechen. Eine Welle der Solidarität ergießt sich wie warmer Regen auf das Haupt des bedröppelten ehemaligen Kanzlerkandidaten. Man muss nicht sonderlich fantasievoll sein, um sich vorzustellen, wie Armin Laschet sich zu Hause verbarrikadiert hat. Neben den leeren Pizzakartons sitzt der Ministerpräsident weinend im Bett, während aus der Stereoanlage immer wieder Radioheads »Creep« auf Autorepeat erklingt. Verlassen von allen. Verlassen von Markus Söder, der FDP, den Grünen - und Hendrik Streeck hat auch schon lange nicht mehr angerufen.

Manchmal schafft er es noch, die Sportnachrichten zu verfolgen. Aber im Abstiegskampf seiner Alemannia Aachen gibt es auch wenig Erfreuliches aus der Regionalliga West. 1:1 gegen den Bonner SC, 0:1 gegen Mönchengladbach II, 0:1 gegen die Sportfreunde Lotte. Monotoner Dauerregen prasselt an Laschets Fensterscheibe.

Ja, es ist wahr: Olaf Scholz hat die Wahl knapp gewonnen. Aber kann man so viel menschliches Leid einfach hinnehmen? Für afrikanische Kinder gibt es Spendenkampagnen. Und was gibt es für gescheiterte Kanzlerkandidaten, die Friedrich Merz’ kalten Kaffeeatem schon im Nacken spüren? Wäre es nicht ein schönes Signal, wenn sich FDP und Grüne angesichts der humanitären Missstände im Laschet’schen Eigenheim dazu aufraffen könnten, aus dem armen Armin einen Bundeskanzler der Herzen und des Mitleids zu machen? Klar, Olaf Scholz hat bei der Wahl einen Prozentpunkt mehr erhalten. Aber er guckt halt bei Weitem nicht so traurig.

Ob nun die CDU oder die SPD den Kanzler stellt, ist objektiv betrachtet völlig egal. Wirklich wichtig ist, dass Armin Laschet irgendwann einmal wieder lachen kann, wie an jenem heiteren Tag in Erftstadt.

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