• Politik
  • Wahlausgang in Tschechien

Regierungschef Babiš kassiert Niederlage

Klare Mehrheit für liberal-konservative Opposition in Tschechien

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist unbestritten: Der Wahlsieger dieses Wochenendes ist der ODS-Chef und Führer des bürgerlichen Drei-Parteien-Wahlbündnisses Spolu, Petr Fiala. Mit 27,79 Prozent der Wählerstimmen liegt Spolu knapp vor der Ano-Partei von Ministerpräsident Andrej Babiš mit 27,13 Prozent. Formal ist die Bewegung Andrej Babiš’ mit 72 Mandaten zwar stärkste Kraft im neuen Abgeordnetenhaus geworden, doch um eine Regierung bilden zu können, fehlen mögliche Koalitionspartner.

Spolu - das Bündnis aus den Bürgerdemokraten ODS, der neoliberalen Topo9 sowie den Christdemokraten der KDU-CSL - hatte vor der Wahl und auch am Ausgang des Urnengangs am Samstagabend eine Koalition mit Ano ausgeschlossen. Das Bündnis aus der Bürgermeisterpartei Stan und den Piraten, mit künftig 37 Mandaten drittstärkste Fraktion, lehnte ebenfalls ein Zusammengehen mit dem Noch-Amtsinhaber ab. Kurzfristig könnte nur ein Wort des Staatspräsidenten einen Regierungswechsel aufhalten - in der Vergangenheit hatte Milos Zeman stets die schützende Hand über Andrej Babiš gehalten. Dies dürfte aktuell schwerfallen, denn sowohl der bisherige Koalitionspartner, die sozialdemokratische ČSSD, als auch die Kommunisten, die die amtierende Regierung tolerieren, sind nicht mehr im Parlament vertreten. Selbst ein Zusammengehen mit der vierten im Abgeordnetenhaus vertretenen Kraft, der rechtsextremen SPD Tomio Okamuras, brächte keine regierungsfähige Mehrheit zustande.

Noch am Samstagabend unterzeichneten die Vertreter von Spolu und PirStan eine Absichtserklärung, gemeinsam eine Regierung bilden zu wollen. Nach dem bislang vorliegenden Endergebnis käme eine solche Koalition auf 108 von 200 Mandate. »Wir werden als drei Parteifraktionen ins Abgeordnetenhaus einziehen und dennoch eine gemeinsame Linie fahren«, erklärte Petr Fiala auf die Nachfrage hiesiger Medien, wie sich die einzelnen Mitglieder von Spolu aufstellen wollen. Ähnlich dürfte sich der vermutliche Koalitionspartner PirStan verhalten, sodass sich zum ersten Mal in der Geschichte der Tschechischen Republik eine Fünf-Parteien-Regierung bilden dürfte.

Deren politische Ausrichtung dürfte eine national-konservative sein, ähnlich der, die auch schon die Vorgängerregierungen unter ODS-Führung zu Zeiten von Václav Klaus, Mirek Topolanek oder Petr Nečas bevorzugten. Ein enges Zusammenarbeiten mit Topo9 und der Bürgermeisterbewegung Stan dürfte diesem Kurs zusätzlich eine wirtschaftsliberale Note aufdrücken. Zu beweisen hat die neue Regierung, ob sie sich von den Makeln von Finanzskandalen und Korruption - unter deren Druck die Kabinette Topolanek und Nečas zurücktreten mussten - befreit hat und nun in der Lage ist, wie in den Wahlprogrammen versprochen, wirklich eine Politik zum Wohle aller Tschechen zu präsentieren. Sollte dies nicht gelingen, könnte eine neue Protestbewegung wie seinerzeit Ano mit einem Antikorruptionsprogramm an politischer Stärke gewinnen. Andrej Babiš dürfte dann allerdings nicht mehr mit von der Partie sein. Der Ano- und Regierungschef hatte im Falle einer Wahlniederlage seinen Rückzug aus der aktiven Politik angekündigt.

Zuvor liegt das Zepter des Handelns jedoch in der Hand des Staatspräsidenten. Miloš Zeman residiert derzeit nicht auf der Burg in Prag, sondern in der Sommerresidenz Lany. Wie der Präsidentensprecher Jiří Ovčáček nach langem Zögern erklärte, sei der »Präsident seit 14 Tagen erkrankt und befinde sich zur Erholung in Lany«. Der Sprecher dementierte jedoch Meinungen, nach denen Zeman handlungsunfähig sei.

Am Sonntagvormittag hatte Andrej Babiš das Staatsoberhaupt aufgesucht, um mit ihm Möglichkeiten einer erneuten Regierungsbildung zu beraten. Nach 45 Minuten hatte Babiš Lany verlassen, ohne den wartenden Journalisten einen Kommentar zu geben.

Der Topo9-Mitbegründer und frühere Außenminister Karel Schwarzenberg äußerte die Vermutung, dass Babiš mit der Regierungsbildung beauftragt werden könnte. »Zeman wird an Babiš festhalten, solange er selbst im Amt ist«, erklärte Schwarzenberg.

Zeman ist gesundheitlich schwer angeschlagen. Seine Krankenhauseinlieferung erfolgte einen Tag nach der Parlamentswahl und kurz nach dem Treffen mit dem bei der Wahl knapp unterlegenen Regierungschef Andrej Babiš am Sonntagmorgen. Der Präsident muss dem Parlament laut Verfassung einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs vorschlagen.

In jedem Falle, so Schwarzenberg, käme der Präsident nicht umhin, über kurz oder lang den Wahlsieg der neuen Koalition anzuerkennen und ihr die Regierungsbildung zu übertragen. In drei Wochen tritt das neue Abgeordnetenhaus zusammen. Bis spätestens Weihnachten, so erklärte ODS-Chef Petr Fiala, wolle man eine funktionsfähige Regierung gebildet haben. Bis dahin wird es noch spannend bleiben an der Moldau.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.