Neue Regierung, neue Hoffnung?

Regierungschefin und Kabinett in Tunis vereidigt

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach zweieinhalb Monaten Alleinherrschaft des Präsidenten hat Tunesiens Premierministerin Nadschla Bouden Romdhan am Montag ihre Regierung vorgestellt. Präsident Kais Saied empfing die von ihm am 29. September ernannte Bouden und ihre 22 Minister im Präsidentenpalast im Stadtteil Karthago. Nach der Beurlaubung des Parlaments und der Entlassung der Regierung von Hichem Mechichi scheint Tunesien damit wieder auf dem Weg zur Demokratie zu sein.

Doch noch ist unklar, wie eigenständig die Premierministerin und ihr Kabinett agieren können. Denn der nach seinem Putsch mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestattete Kais Saied hat die Geologieprofessorin Bouden per Dekret zur Regierungschefin berufen - und will offenbar mitregieren. Das Ende der zweiten Republik wird von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Mit einer Verfassungsreform hatte die parlamentarische Demokratie 2014 begonnen und war von dem vor zwei Jahren gewählten Juraprofessor Saied in diesem Sommer mit Hilfe von Armee und Polizei abrupt beendet worden.

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Doch statt der erhofften Ankündigung eines umfassenden Reformpakets erging sich der 63-jährige Staatsrechtler in den Folgemonaten vor allem in der öffentlichen Diffamierung seiner politischen Gegner. Den ursprünglich für vier Wochen ausgesperrten Parlamentariern strich er schließlich die Bezüge und die Immunität. Das von Beamten in Zivil abgeriegelte Parlamentsgebäude wird wohl erst einmal ungenutzt bleiben.

Der wegen seiner basisdemokratischen Gesinnung und seines Rufs der Unbestechlichkeit beliebte Saied wirft Parlamentariern und politischen Parteien vor, ausschließlich im Eigeninteresse zu handeln, auch Vorwürfe des Landesverrats und der Korruption fehlen in keiner seiner Reden, die in den vergangenen Wochen im düsterer klangen. Saied, der ein für viele Tunesier schwer verständliches Hocharabisch spricht, zeigte am Montag Mittag vor der Vereidigung der Minister Fotos von Schlägereien zwischen Abgeordneten, die im Sommer im ganzen Land für Empörung gesorgt hatten. Trotz der weltweit höchsten Zahlen von Corona-Infektionen und -Toten und der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit blieb die politische Elite zudem aus Sicht vieler völlig untätig.

»Wir befinden uns mitten in einem Freiheitskampf«, sagte er den vom ihm selbst eingeschworenen Ministern und richtete sich vor allem gegen die moderaten Islamisten der Ennahda-Partei. Die nach der Revolution von 2011 aus dem Exil zurückgekehrte religiöse Opposition war an allen der zehn Regierungen beteiligt, die seit ihrer Rückkehr im Amt waren. Ennahda-Parteichef Rahed Ghannouchi, der bis zum Putsch Parlamentspräsident war, gilt als Saieds mächtigster Gegner, ist aber nach dem Austritt von über 100 prominenten Parteimitgliedern derzeit geschwächt.

Von der Polarisierung im Land ist im Alltag nur wenig zu spüren. Nur an den Wochenenden protestieren abwechselnd mehrere Tausend Anhänger und Gegner Saieds im Zentrum von Tunis, getrennt von Polizeikräften. Die Anhänger des Putschpräsidenten eint eigentlich nur der Groll auf die Ennahda, weil die ihre Macht zur Einsetzung ihrer Anhänger in die staatlichen Institutionen genutzt hat. Saieds Gegner hingegen wollen das Ende der »Ein-Mann-Herrschaft«, wie es am Samstag auf vielen Plakaten stand, als 5000 Menschen über die Flaniermeile Avenue du Bourguiba marschierten.

Wie schnell die Lage eskalieren könnte, zeigt ein massiver Angriff mit gefüllten Wasserflaschen von Anti-Saied-Demonstranten auf Journalisten des staatlichen Fernsehsenders Watania am Samstag. Ennahda-Funktionäre wie der ehemalige Außenminister Rafik Abdessalem schüren die Spannungen und werfen Saied vor, die Provokationen im Parlament und die Coronakrise bewusst ausgelöst zu haben, um einen Putsch zu rechtfertigen. Der seit 2011 nicht reformierte Sicherheitsapparat antwortete mit vereinzelten Verhaftungen von Saied-kritischen Kommentatoren und Hausarrest von Managern, denen die Staatsanwaltschaft Korruption vorwirft. Drei Islamisten dürfen sich seit dem Wochenende wieder frei bewegen.

Dass Saied und Bouden fast nur Kandidaten aus dem Beamtenapparat und Universitäten in die Regierung berufen haben, könnte die Lage zunächst entschärfen. Viele politische Beobachter sehen vor allem die Nominierung von neun Frauen und vielen anerkannten Experten positiv. Auch der Altersdurchschnitt der Bouden-Regierung liegt weit unter dem der Vorgängerregierung. Minister für Tourismus ist nun der 44-jährige Moez Belhassine, der bis Montag Generaldirektor des Fremdenverkehrsverbandes war und Konzepte für individuelle Tourismusmodelle vorantrieb, gegen das bisherige und defizitäre Pauschalurlaubsmodell.

Die Hoffnungen im Land liegt aber vor allem auf den Ministerinnen der Expertenregierung von Geologieprofessorin Nadschla Bouden Romdhan. Finanzministerin Sihem Boughederi Nomsieh arbeitet seit Jahren an einer Reform des maroden Steuersystems und soll die internationalen Kreditgeber davon überzeugen, das ehemalige Vorzeigeland des arabischen Frühlings vor dem derzeit drohenden Staatsbankrott zu bewahren. Ihre Karriere hat Sihem Boughederi Nomsieh in mehreren privaten Banken und Ministerien absolviert. Bouden und Saied hoffen, dass sie und die anderen Experten westliche Geldgeber und die bald anreisende Delegation des Weltwährungsfonds IWF davon überzeugen können, das hoch verschuldete Tunesien vor dem drohenden Bankrott zu bewahren.

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