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  • Sondierungsgespräche

Giffey fügt sich den Realitäten

SPD und Grüne wollen am Freitag mit der Linken über Neuauflage der Koalition weitersondieren

  • Mischa Pfisterer und Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Sieht so eine Siegerin aus? Die beiden Berliner SPD-Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey am Donnerstagvormittag.
Sieht so eine Siegerin aus? Die beiden Berliner SPD-Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey am Donnerstagvormittag.

Die Berliner SPD-Co-Vorsitzende Franziska Giffey macht es ein wenig spannend bei der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag im Kurt-Schumacher-Haus. Nach über drei Minuten Vorrede lässt sie die Katze aus dem Sack: »Wir haben uns dazu entschieden, dass wir in eine dritte Sondierungsphase eintreten werden in der Konstellation Rot-Grün-Rot.« Ziel ist also eine Neuauflage der Koalition von SPD, Grünen und Linke. Das sei zunächst ein Zwischenstand, »aber wir treten nicht in die dritte Sondierungsrunde mit dem Ziel des Scheiterns«, so Giffey.

Damit ist die zunächst von Giffey präferierte Ampel-Koalition mit der FDP vorerst aus dem Rennen. An diesem Freitag sollen die Sondierungen für Rot-Grün-Rot weitergeführt werden, spätestens am Abend soll ein Papier mit Festlegungen veröffentlicht werden. Am Montag soll der SPD-Landesvorstand über die weiteren Schritte entscheiden. Ein Grund für Giffeys Sinneswandel dürfte die knappe Mehrheit von nur sechs Sitzen gewesen sein, auf die eine Ampel käme. SPD, Grüne und Linke haben dagegen eine Mehrheit von 18 Stimmen. Mehrmals spricht Giffey von einer »stabilen Regierung«, einer »stabilen, verlässlichen, gemeinsamen Partnerschaft«.

Bis spät hatte am Mittwochabend der Parteivorstand getagt. Nicht unerheblich dürfte der innerparteiliche Widerstand gegen ein Bündnis mit der FDP gewesen sein, auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Berliner Mieterverein und weitere für die SPD relevante stadtpolitische Kräfte hatten sich zuletzt mehr oder minder deutlich gegen eine Regierungsbeteilung der Liberalen gestellt.

»Ganz klar« sei für Giffey der »Kompass« der Gespräche, nämlich das Wahlprogramm der SPD. »Wohnungsneubau wird Chefinnensache«, sagt die wohl künftige Regierende Bürgermeisterin. Berlin solle zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte Europas entwickelt werden. Man wolle sich einsetzen für gute Bildung und eine modernisierte Verwaltung. Es gebe jedoch eine »ganz klare Aussage: Ein einfaches ›Weiter so‹ kann es nicht geben«, so Giffey. Viele der angesprochenen Punkte zielen im Kern auf eine Reform der zu oft dysfunktionalen Verwaltung. Ein Thema, das der scheidende Regierende Bürgermeister Michael Müller und auch Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) nach Meinung auch vieler Parteifreunde nicht energisch genug angegangen sind.

Mehrmals nennt Giffey auch das Thema »bezahlbare Mieten«, außerdem die öffentliche Gesundheitsversorgung sowie die »Frage, wie wir ein Jahrzehnt der Investitionen gestalten können«. Themen, bei denen die FDP meist konträre Ansichten hat. Sie wollte schließlich den Mieterschutz lockern – und ohne zusätzliche Schulden, die noch dieses Jahr vor dem Ende der Aussetzung der Schuldenbremse aufgenommen werden müssten, droht wegen coronabedingter Einnahmenausfälle eine harte Bremsung bei den Ausgaben. Es sei »deutlich geworden, das die Schnittmengen in der Konstellation Rot-Grün-Rot eine größere Chance auf Realisierung haben«, so Giffey.

»Es wäre dumm, wenn man von Anfang an sagt, wie man hinsondiert«, sagt dann noch SPD-Co-Landeschef Raed Saleh. Das kann man durchaus als Breitseite gegen Franziska Giffey verstehen, deren Miene sich auch augenblicklich verfinstert.

Deutlich freundlicher zeigt sich Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch bei der Pressekonferenz eine Stunde später in deren Landeszentrale in der Kommandantenstraße in Mitte. »Ich freue mich sehr darüber, dass ich durch die vielen, vielen intensiven Gespräche gerade mit Franziska Giffey in den letzten Wochen die Überzeugung gewonnen habe, dass wir mit ihr als Regierender Bürgermeisterin die echte Chance für einen Neustart haben, auch in der Art, wie wir gemeinsam regieren«, sagt Jarasch. Sie »habe großen Respekt vor der Ernsthaftigkeit und der Entschlossenheit«, mit der Giffey diese Aufgaben angehe. Dabei betont Jarasch zwar, dass die SPD »als stärkste Kraft den Regierungsauftrag hat«. Zugleich sagt sie aber auch: »Wir sind aus diesen Wahlen gestärkt hervorgegangen, das bedeutet für uns einen klaren Auftrag.« Am Klimaschutz werde sich das Handeln aller Ressorts messen lassen, so die Grünen-Spitzenfrau. Und: »Wir wollen es schaffen, besser gemeinsam regieren, loyal, kooperativ und verlässlich.« Am Montag steht ein kleiner Parteitag der Grünen an.

Die Frage nach dem Umgang mit dem gewonnenen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen sei »auch ein Grund, warum die Sondierungsgespräche so viel Zeit in Anspruch genommen haben«, erklärt Jarasch. Giffey hatte sich bislang vehement dagegen ausgesprochen. Jarasch sagt nun, man habe sich »auf einen guten Weg verständigt, den wir alle mittragen können«. Es sei ein »Weg, der respektiert, was dort entschieden wurde von der Bevölkerung, der respekt- und verantwortungsvoll damit umgeht, aber eben auch klar sagt: Zunächst braucht es eine seriöse rechtliche Prüfung der Umsetzungsmöglichkeiten und dann eine Entscheidung«, hatte Giffey zuvor erklärt.

»Ich freue mich über die heutige Entscheidung: Wir brauchen eine rot-grün-rote Koalition, um die soziale und ökologische Zukunft dieser Stadt zu gestalten«, sagt der Dritte im Bunde, Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer. Daran wollen wir in den kommenden Gesprächen weiterarbeiten. »Wir haben in den bisherigen Gesprächen mit der SPD und den Grünen bereits viele Gemeinsamkeiten festgestellt und in den vergangenen fünf Jahren gut zusammengearbeitet und wichtige Projekte umgesetzt«, erklärt auch Linke-Landeschefin Katina Schubert. »Wir wollen die notwendige Investitionsoffensive fortführen, eine konsequente soziale Mietenpolitik und natürlich den Volksentscheid sowie die Klima- und Verkehrswende in der ganzen Stadt umsetzen«, so die Landeschefin weiter. Dafür brauche es ein »eine fortschrittliche Regierung«.

Bis Ende November soll der Koalitionsvertrag stehen, die SPD hat schon einen Parteitag am 5. Dezember terminiert, der entscheiden soll.

»Mit den Linken an Bord wird diese Linkskoalition die Stadt weiter spalten und mit Konzepten der Vergangenheit unseren Wirtschaftsstandort schwächen«, zeigt sich FDP-Landeschef Christoph Meyer äußerst unzufrieden, dass seine Partei nicht mehr mit im Boot ist.

»Die Ankündigung von rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen ist ein Tiefschlag für die Chancenstadt Berlin«, sagt hingegen CDU-Landeschef Kai Wegner. Der »vorgeblich neue inhaltliche Kurs der SPD im Wahlkampf« sei »offenbar ein bloßes Wahlkampfmanöver« gewesen.

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