- Kommentare
- Wahlanalyse
Schlag nach bei Cicero
Sieben Tage, sieben Nächte: Was Armin Laschet in einem 2000 Jahre alten Brief für den Wahlkampf hätte lernen können
Nur wenige Sätze gibt es, die weit überdauern, weil in ihnen eine Haltung oder der Zeitgeist gerinnt. »Wir schaffen das«, ist so ein Satz, der von Angela Merkel bleiben wird, weil er so etwas wie die Formel ihres Politikverständnisses ist. Als sie den Satz sagte, war sie schon elf Jahre im Amt, und noch weiß niemand, ob ihr Nachfolger, wie immer er heißen mag, genug Zeit haben wird, sein Gesamtschaffen in vier eherne Worte zu pressen.
Noch weiß übrigens auch niemand, wie lange man sich an die Merkel-Sentenz erinnern wird. Ein paar Jahre? Jahrzehnte? Das berühmte Ceterum censeo kennt man seit Jahrtausenden: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam – »Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss«. Der legendäre Satz wird zuweilen Cicero zugeschrieben, dem römischen Rhetoriker, aber es war Cato der Ältere, der damit jede seiner Reden im römischen Senat beendete – solange, bis das verfeindete Karthago im dritten Krieg endlich vernichtet war.
Marcus Tullius Cicero indessen, der ein Weilchen nach Cato lebte, war nicht nur ein begnadeter Redner, sondern strebte auch nach politischen Weihen. Als er sich um das Amt des Ersten Konsuls bewarb – das höchste politische Wahlamt der Römischen Republik –, schrieb ihm sein Bruder Quintus einen langen Brief mit allerhand praktischen Tipps für den Wahlkampf. Quintus, war damit das, was man heute Spin doctor nennt – einer, der im Hintergrund Strippen zieht, Gegner analysiert, Strategien entwirft.
Vielleicht sollte man jetzt, beim Stochern im Nebel von Gründen für Wahlsiege und -niederlagen, zu dem mehr als 2000 Jahr alten Brief greifen, der manches erstaunlich hellsichtig auf den Punkt bringt. »Nach den Wirren der letzten Jahre wollen es viele Wähler nicht riskieren, einen Außenseiter ins Amt zu hieven« – das könnte erklären, warum sich Olaf Scholz, seit Jahren in der Bundespolitik an vorderster Front, gegen Armin Laschet und Annalena Baerbock durchsetzte. »Spanne die jungen Menschen wirkungsvoll für dich ein« – das beherzigten Grüne und FDP vorbildlich. »Da du die wichtigste Position anstrebst und so viel Feindseligkeit zu erwarten hast, kannst du dir, offen gesagt, keine Fehler erlauben« – das hätte Laschet rechtzeitig lesen sollen. Ebenso: »Es ist von entscheidender Bedeutung, dass du zu allen Zeiten eine Menge ergebener Anhänger um dich scharst.« Denn: »Die Politik steckt voller Trug, Hinterlist und Treulosigkeit.« Markus Söder scheint seinen Cicero jedenfalls zu kennen. Vor allem aber: »Der wichtigste Teil des Wahlkampfs besteht darin, in den Menschen Hoffnung zu entzünden und ihr Wohlwollen für dich zu wecken. Andererseits solltest du dich weder im Senat noch dem Volk gegenüber klar festlegen. Halte dich an vage Allgemeinplätze.« Was ist das anderes als die Methode Scholz? Er gewann die Wahl genauso wie seinerzeit Marcus Tullius Cicero. Und falls doch versehentlich ein konkretes Versprechen rausgerutscht ist? Auch dafür gibt es guten Rat: »Gebrochene Versprechen verlieren sich häufig in einer Wolke veränderter Umstände.«
P.S.: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass CDU und CSU zu Recht abgewählt wurden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.