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Die Gewinner bekommen alles
Mit ihrer Macht stehen die Technologie-Giganten zunehmend dem Erfolg der Wirtschaft im Weg
In Deutschland wird regelmäßig darüber geklagt, die Digitalkonzerne hauptsächlich aus den USA seien zu groß und mächtig geworden. Deutschland und Europa drohe eine »strategische Abhängigkeit«, warnt die EU-Kommission, und das Handelsblatt beklagt den »digitalen Kolonialismus« von US-Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple. Wenn aber die Regierungen sowohl in Washington wie in Peking Maßnahmen ergreifen, um die Macht der heimischen Digitalkonzerne zu begrenzen, wenn in den USA Kartellklage gegen Facebook erhoben wird und in China Plattformunternehmen zur Kooperation mit Konkurrenten gezwungen werden, dann scheinen die USA und China ausgerechnet das einschränken zu wollen, wonach sich Europa so sehr sehnt: mächtige »digitale Champions«.
Die Digitalkonzerne sind nicht einfach eine Branche neben anderen wie Auto, Chemie oder Bau. Ihre Produkte durchziehen die ganze Wirtschaft. Ihr Geschäft ist die Vernetzung von Unternehmen und Unternehmensabläufen, das Sammeln und Aufbereiten von Daten aller Art sowie die Optimierung von personalisierter Kundenwerbung. Sie bieten mithin etwas an, was Unternehmen weltweit brauchen. Die digitale Technik stellt für das produktive Kapital ein Geschäftsmittel dar, das es einsetzt, um die Produktivität und Rentabilität zu erhöhen und neue Geschäftssphären zu erschließen.
Der Ausfall des Facebook-Netzes vergangene Woche hat abermals gezeigt, wie stark die Internet-Welt auf einzelne Konzerne angewiesen ist, die bereits riesig sind und immer größer werden. Sowohl in den USA wie auch in China geht die Politik daher gegen die heimischen Quasi-Monopolisten vor. Als nationale Machtressourcen sollen die Konzerne erhalten bleiben, gleichzeitig aber sollen sie dem technologischen Fortschritt nicht im Wege stehen.
Damit machen sie sich allerdings abhängig von Zulieferungen und Berechnungen der Digitalkonzerne - und das in steigendem Maße, je mehr Digitalisierung sie an sich vornehmen. Außerdem kommt im Falle der digitalen Produktionsmittel hinzu, dass diese stets Eigentum der Technologiekonzerne bleiben, die sie entwickelt und hergestellt haben. Grund dafür ist, dass die Algorithmen das geistige Eigentum der Konzerne sind, das sie nicht in Form eines fertigen Produktes verkaufen, sondern deren zeitweilige Nutzung sie lizenzieren. Durch Lizenzen, Wartungen und Updates bleiben die Kunden daher stets an die Lieferanten der Digitaltechnik gebunden.
Die Bundesregierung beklagt seit Langem die wachsende Abhängigkeit der Industrie von den Giganten insbesondere aus den USA, deren Dienste zur unverzichtbaren Größe im Geschäft des Industriekapitals geworden sind und die an diesem Geschäft stets mitverdienen. Deshalb seien »Strukturreformen erforderlich, die Europas Stellung und Wettbewerbsfähigkeit gerade im Bereich digitaler Märkte auf internationaler Ebene sichern und damit zugleich unseren ökonomischen und gesellschaftlichen Wohlstand bewahren«, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in einer Presseerklärung. So bläst die Politik zum Angriff, um die amerikanische und chinesische Dominanz zu brechen. Dafür setzt sie auf europäische Standards, die europäische Unternehmen zu »Global Players« bei den digitalen Technologien machen sollen.
In Deutschland ist der neueste Schritt hier das Anfang 2021 verabschiedete Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung. Zum einen ermöglicht es dem Bundeskartellamt »erstmals ein frühzeitiges Eingreifen bei Wettbewerbsgefährdungen durch bestimmte große Digitalkonzerne«. Zum anderen werden die nationalen Umsatzschwellenwerte für die Fusionskontrollen angehoben, damit die Fusion mittelständischer Unternehmen zu »Europäischen Champions« einfacher wird. Anders formuliert: Gegen Übernahmen durch bereits etablierte große - US-amerikanische - Konzerne schafft man sich rechtliche Grundlagen zum Widerstand, während man den Zusammenschluss bisher kleinerer europäischer Unternehmen erleichtert.
Während in Europa ein mächtiges Digitalkapital erst noch aufgebaut werden soll, liegt es in den USA und China bereits vor. Gleichzeitig aber haben Washington und Peking ihre ganz eigenen Sorgen mit ihren Techgiganten: Zwar sind sie ein entscheidender Beitrag zur ökonomischen Macht des Landes und stiften im Ausland Abhängigkeiten. Andererseits ziehen die großen IT-Konzerne mit ihrem enormen Wachstum auch die Kritik von Politik und Behörden auf sich. In den USA klagt die Federal Trade Commission (FTC) gegen Facebook wegen des Vorwurfs, der Konzern kaufe Konkurrenten und andere Unternehmen auf und verhindere so den Wettbewerb. »Facebooks Monopolisten-Mission scheint es zu sein, jede andere Plattform zu übernehmen, zu kopieren oder zu zerstören«, wetterte vergangene Woche die demokratische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez.
Aber nicht nur Facebook ist im Visier. Eine Untersuchung der FTC zeigte im September, dass US-Technologiekonzerne in den vergangenen Jahren Hunderte von Firmen übernommen haben, ohne dass die FTC dies geprüft hatte. »Die Daten über Käufe durch Apple, Amazon, Alphabet und Microsoft zeigen, dass die Wettbewerbshüter aggressiver vorgehen müssen«, sagte ein Regierungssprecher. »Zu oft haben Bundesbehörden derartige Firmenkäufe weder blockiert noch mit Auflagen versehen oder überhaupt untersucht.«
Ein Dorn sind die digitalen Riesen im Auge der Politik, da die Zentralisation von Daten, Technologien, Wissen und ökonomischer Macht bei wenigen Konzernen verhindert, dass dieses Wissen anderen - natürlich amerikanischen - Konzernen zur Verfügung steht, zumindest wenn denen die nötigen Mittel für Investitionen und Entwicklung fehlen. So sieht der amerikanische Staat mit seiner Perspektive auf das Wachstum der gesamten US-Wirtschaft ausgerechnet bei seinen erfolgreichsten Unternehmen eine Schranke für seine nationale Wirtschaft, welche die von Google und Co. erfundene und als geistiges Eigentum besessene Technik insgesamt zum Mittel ihrer Geschäfte machen könnte. Dass Facebook »lieber aufkauft als kooperiert« (Zuckerberg), so die Befürchtung, könnte zum Hemmnis für die gesamtnationale Akkumulation werden.
Die US-Regierung und ihre Behörden möchten also sicherstellen, dass die Anhäufung privaten Reichtums nicht nur bei wenigen Konzernen zentralisiert, sondern möglichst breit gestreut bei vielen Unternehmen stattfindet. Ein Aufbrechen der Digitalkonzerne in Einzelteile, wie es immer wieder gefordert wird, findet allerdings vorerst nicht statt, da dies den amerikanischen Standort in der internationalen Konkurrenz gerade mit China zurückwerfen könnte. »Man könnte uns zerschlagen«, sagte Facebook-Managerin Sheryl Sandberg schon vor Jahren. Gleichzeitig aber wisse man in den USA, dass es in China ebenfalls riesige und mächtige Unternehmen gebe, »und die werden nicht zerschlagen«. Und aus dem Hauptquartier von Google heißt es selbstbewusst: »Unsere Ingenieure helfen Amerika dabei, die globale Führungsrolle in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos oder Hochleistungscomputer zu halten.«
So kündigen die USA die Weltführerschaft bei der Ausarbeitung von Verhaltensregeln für die digitale Wirtschaft an, gegen Facebook und Google werden Kartellklagen geführt; mehrere Bundesstaaten und der Senat versuchen sich an Kartellgesetzen bei »App-Stores« von Google und Apple, unter anderem in Bezug auf die »Interoperabilität« zwischen Plattformen, also der Unterbindung des technischen Ausschlusses kleiner Kapitale vom Wettbewerb. Ebenfalls in diese Kerbe schlägt das Verbot, eine Plattform zu betreiben, auf der das Unternehmen selbst konkurriert. So wollen die USA einerseits ihr nationales Wachstum weiter vorantreiben, ohne andererseits ihre »Global Player« so weit zu beschränken, dass diese ihre Marktdominanz in Europa einbüßen.
Nicht nur die USA, auch China hat mit dem Janusgesicht der Techkonzerne für die eigene Wirtschaft umzugehen. Nachdem die KP China in den vergangenen Jahren den Aufbau der Internetökonomie und die Herausbildung der großen Tech-Unternehmen vor allem durch massive Investitionen in die digitale Infrastruktur unterstützt hatte und zentralen US-amerikanischen Konzernen wie Facebook, Twitter und Google den Zugang zum Markt verwehrte, greift das chinesische Antimonopolgesetz von 2008 nun auch für den Internetsektor. Ziel ist es, »den Wettbewerb in der Digitalwirtschaft zu fördern, den Marktzugang für kleine und mittelgroße Unternehmen zu erleichtern und einen rechtlichen Rahmen für ein stabiles Wachstum zu setzen«, erklärt die Vermögensverwaltung Pyfore Management.
Das widersprüchliche Verhältnis der Staatsführungen in den USA und China zu den eigenen Techkonzernen besteht also darin, dass sie einerseits wollen, dass jene Konzerne groß sind und von amerikanischem beziehungsweise chinesischem Boden aus den Weltmarkt dominieren. Andererseits erachten sie genau diese Größe und Macht als problematisch, da sie in der Zentralisation des Digitalkapitals ein mögliches Hindernis für die gesamtnationale Kapitalakkumulation ausmachen. Um mit diesem Widerspruch umzugehen, das heißt die Macht der Techkonzerne einzuhegen, deren Größe und Erfolge sie haben wollen, verfolgen die Regierungen in Washington und Peking umfangreiche Programme. Unterdessen bemühen sich Deutschland und Europa mit nicht weniger umfangreichen und ambitionierten Programmen darum, die entsprechenden Technologie-Giganten überhaupt erst zu schaffen.
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