Überfordert vom Individualismus

Plattenbau. Die CD der Woche: Isolation Berlin auf dem Highway to Hell

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 4 Min.

Kunst ist etwas Gutes. Gerade auch für die, die sie machen. Denn manchmal ersetzt die Kunst sogar den Therapeuten. Beispielsweise kann man millionenfach einen Song verkaufen, in dem man nach seiner Mami schreit, wie John Lennon. Oder man kann sich nackt und weinend mit ganz kurzen Haaren auf eine Abrissbirne setzen wie Miley Cyrus. Bestimmt hat das den beiden total gutgetan.

Manchmal ist Kunst aber auch der Highway to Hell. Etwa wenn man Bücher schreibt, in denen man alles und jeden scheiße findet. Außer sich selbst. Und am Ende ist man mit Udo Lindenberg befreundet. Das hat Benjamin von Stuckrad-Barre dann davon, und das wünscht man wirklich niemandem.

Wie die Kunst für Tobias Bamborschke ausgehen wird, das weiß man noch nicht so recht. Fest steht, dass er »Private Probleme« hat. Die rühren vielleicht daher, dass das »Enfant Terrible« Bamborschke sich wünscht: »(Ich will so sein wie) Nina Hagen«. Ja, der Tobias, der leidet an der Welt. Und das sagt er auch. Und obwohl das Album »Geheimnis« heißt, macht er keines daraus. So, und jetzt ist Schluss mit Songtitelkalauern.
Bamborschke muss viel schreien auf der Platte, ähnlich wie John Lennon. Und bestimmt hat er geweint. Kurze Haare und eine Abrissbirne kommen aber nicht vor. Doch Bamborschke tischt den Hörern ein Psycho-Knacks-Klischee nach dem anderen auf.

Vielleicht inszeniert er ja die Seele des spätmodernen, hochindividualisierten Subjekts, wie sie von den Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey beschrieben werden? Ein Subjekt, das »freigesetzt aus traditionalen Institutionen, sein Leben vermeintlich selbstbestimmt gestaltet, sich aber seiner sozialen und politischen Umwelt häufig ohnmächtig gegenübersieht.«

Genau das findet in den Texten Bamborschkes statt: überforderter Individualismus. »Geheimnis« ist nach »Keine Termine« von Fritzi Ernst das zweite Album in diesem Jahr, das sich dem Komplex des Unbehagens am Individualismus widmet. Aber während Fritzi Ernst die Quelle des Unbehagens eher bei sich sucht, schlägt Bamborschke wütend um sich. Und auch wenn einer der neuen Songs »Ich zieh mich zurück« heißt, schreit Bamborschke lieber alle Welt an und sucht Schuldige. Den Papa, der sagt, Jungs sollten nicht weinen. Oder die Mama, die sagt, er solle stark sein. In »Ich hasse Fußballspielen« geht es um die Hölle der Kleinfamilie und die Hölle in der Schule. Ganz besonders im Sportunterricht. Das einzig Himmlische an der ganzen Patsche ist das Pausenbrot.

In »Enfant Terrible« schwankt er zwischen Paul Kuhn (»Alles, was ich will, ist noch ein Bier / Ja, soll ich denn vertrocknen hier?«) und Spargel-Chuck-Norris (»Und bleibt mir vom Leibe mit eurer Kritik / Weil ihr sonst was auf die Schnauze kriegt«). Bei »Am Ende zählst nur du« klingt Bamborschke nach Sven Regener: »Der Frühling kommt bestimmt / Und ich zurück zu dir / Siehst du die alte Uhr dort an der Wand? / Die sagt mir, wann ich wieder zu dir kann«.

Oft hat man ein bisschen das Gefühl, dass es um lyrische Stilübungen geht. In »Ich zieh mich zurück« reimt Bamborschke: »Ich zieh mich zurück / Schließe mich ein / Schließ euch aus / Ich komme hier nie wieder raus«. Oder »Von einem der hier sitzt und Bleistifte spitzt«.

Dass »Geheimnis« trotz überfordertem Individualismus und Reimübungen ein gelungenes Album ist, liegt an der Vertonung von Bamborschkes Poemen. »Geheimnis« oder »(Ich will so sein wie) Nina Hagen« sind mitreißende Indiesongs. »Ich hasse Fußballspielen« erinnert an die Orgel-Walzer-Songs aus Blurs besten Zeiten. Das Stück »Private Probleme« swingt vor sich hin wie einst »Boys and Girls«. Und zu dieser Musik gesungen, klingen Textzeilen wie »Du hast gesagt, dass das mit uns nichts mehr wird / Und im Fernsehen läuft Krieg« absolut stimmig und richtig. Und plötzlich fühlt man den Schmerz. Auch den eigenen, individuellen. Dann wird der Hörer in Paderborn oder Bielefeld zur Isolation Paderborn oder Isolation Bielefeld. Und so soll es ja sein bei guter, therapeutischer Popmusik.

Isolation Berlin: »Geheimnis« (Staatsakt/H’Art)

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