Schreiben ist Freiheit

Najem Wali präsentiert zum 25. Jahrestag von Writers in Exile des PEN Deutschland eine Anthologie

  • Interview: Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Ist im Exil freieres, bunteres, vielfältigeres Schreiben möglich?
Ist im Exil freieres, bunteres, vielfältigeres Schreiben möglich?

Najem Wali, Sie sind Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland, seit Mai 2023 einer der Vizepräsidenten. Welche Aufgabe hat das Writers-in-Exile-Programm, welche Hilfen kann der PEN-Klub geben?

Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und das deutsche PEN-Zentrum helfen in Not geratenen Autorinnen und Autoren, um nach Deutschland zu kommen. Das geschieht in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und deutschen Konsulaten in der Welt. Schriftstellerinnen und Schriftsteller erhalten ein monatliches Stipendium sowie eine möblierte Wohnung in verschiedenen Städten, sie bekommen Hilfe im Alltag, Kontakte zur Kulturszene werden hergestellt. Gegenwärtig erhalten 15 Stipendiatinnen und Stipendiaten die Möglichkeit, ihrer schriftstellerischen Tätigkeit frei von Verfolgung und Bedrohung nachzugehen.

Im Vorwort zur Anthologie »25 Jahre Writers in Exile« schreiben Sie, viele große Werke der Weltliteratur seien im Exil geschrieben worden, aber sie handelten nicht vom geografischen Exil, sondern erzählen von der Idee der ewigen Verbannung des Menschen und seiner Heimatlosigkeit in der Gesellschaft. Jeder Künstler sei ein Verbannter. Betrachten Sie das Exil als Heimat des Schriftstellers?

Ja, Exil ist Heimat für mich … Adam und Eva sind die Ururgroßeltern von uns. Als sie ins Exil geschickt wurden, aus dem Paradies verbannt, konnten sie nicht mehr zurück. Und wir sind die Frucht dieser Verbannung.

Interview

Seit 1999 unterstützt der deutsche PEN mit seinem Writers-in-Exile-Programm Autorinnen und Autoren, die in ihren Herkunftsländern verfolgt werden und Zuflucht in Deutschland finden.
 Der irakische Schriftsteller Najem Wali, seit 1980 selbst im Exil in Deutschland, hat zum 25-jährigen Jubiläum des Writers-in-Exile-Programms eine Anthologie zusammengestellt: »25 Jahre Writers in Exile. Gefährdete Stimmen einer Welt in Gefahr.« Darin sind Texte aus vier Kontinenten versammelt: Asien, Lateinamerika, Afrika, Europa.

Es müsse für den Schriftsteller nicht wichtig sein, über »Heimat« und »Exil« im wörtlichen Sinn nachzudenken, meinen Sie. Wichtig sei vielmehr, sich Gedanken über die Bedingungen künstlerischen Schaffens zu machen. Sind die nicht aber in der Fremde besonders hart?

Ja, Exil ist eine harte Sache. Ich kenne viele Kollegen, die alkoholabhängig wurden, nicht mehr schreiben konnten, depressiv wurden. Exil ist gefährlich und lebensbedrohlich, man benötigt viel Kraft …

Sie haben mittlerweile acht Romane in Deutschland veröffentlicht, den jüngsten von 2024, »Stadt der Klingen«, schrieben Sie erstmals auf Deutsch. Ist ein Schriftsteller ohne seine Muttersprache in einem fremden Land nicht verloren?

Sprache ist nicht Grammatik, Rechtschreibung und Diktat. Sprache ist Denkweise, ja Philosophie, gerade was die deutsche Sprache betrifft. Der Ort bestimmt die Denkweise, wie man sich ausdrückt … Deutschland ist nach so langer Zeit für mich kein fremdes Land mehr. Sprache ist die Heimat eines Schriftstellers. Ich fühle mich gut beheimatet in beiden Sprachen: in der arabischen wie auch in der deutschen.

Die türkische Schriftstellerin Aslı Erdoğan gibt in vielen Texten ihrer Verlorenheit in der Welt eine Stimme. Die 57-Jährige ist in ihrer Heimat verfolgt worden, wurde inhaftiert und gefoltert und lebt nunmehr seit Jahren in Deutschland. Der türkische Präsident Erdoğan wirkt wie ein Symbol für das Unglück von Vertriebenen, in einem Text von ihr kann man davon lesen. Dagegen setzen Sie hoffnungsvolle Zeichen, wenn Sie über »Freiheit und Exil« nachdenken.

Ich glaube, ein Autor muss Weltenbummler sein. Er ist immer ein Reisender, im Kopf oder durch die Welt. Und das Schreiben, Literatur ist Freiheit.

Klingt das nicht allzu optimistisch?

Exil ist eine Übung. In den 45 Jahren seit meiner Flucht habe ich vieles erlebt – und ich fürchte weniger. Daher kommt dieser Geist des Widerstands. Dank des Exils gibt es diese Freiheit. Für mich sind Literatur und das Schreiben Freiheit. Wenn ich das Exil betrachte, dann ist es für mich ein positiver Ort, nicht negativ.

Sie haben nach Ihrer Ankunft in Hamburg deutsche Literatur studiert und sich auf das Thema »Exilliteratur« spezialisiert. Dadurch konnten Sie Ihre eigene Situation mit Namen und Vorbildern der Vertreibung vergleichen. Ein weites Feld, oder?

Ja, schon Dante, der Autor der »Göttlichen Komödie« war verbannt. Schauen wir auf die deutsche Literatur: Der ersehnte Preis hier ist der Büchner-Preis. Aber Georg Büchner hat kein Werk in Deutschland veröffentlicht. Alles im Exil.

Ist das tröstlich?

Es gibt Kraft in der Verzweiflung, sagen wir es so. Nehmen wir die lateinamerikanische Literatur. Gabriel García Márquez: Er hat sämtliche Werke in Paris und Barcelona geschrieben. Der Peruaner Mario Vargas Llosa: ein Weltbürger. Der Ire James Joyce schrieb in Triest, Paris und Zürich. Oder die Lost Generation: Ernest Hemingway, Truman Capote – sie haben ihre besten Werke in Paris geschrieben.

Die Anthologie ist in drei Kapitel unterteilt: »Ein Blick in die Heimat«, »Weg ins Exil« und das längste Kapitel, mehr als 100 Seiten lang: »Beheimatet im Exil«. Wie bedrohlich ist die Lebenssituation heutzutage auch im Exil, wenn Europa immer weiter nach rechts rückt?

Die Situation ist sehr kompliziert geworden. Wenn sich Europa, der Kontinent der Aufklärung und der Menschenrechte, von seinen Grundsätzen verabschiedet, was ist dann über den Rest der Welt zu sagen? Als Literaten und Verfechter des freien Wortes können wir nur unsere Besorgnis, unser Entsetzen, unsere Abscheu vor den Symptomen einer Infektion ausdrücken, die zu den Gespenstern der Vergangenheit führt, zu den Diktaturen des 20. Jahrhunderts und ihren Methoden.

In Ihrer Anthologie ist viel vom Leid und der Verlorenheit von Vertriebenen zu erfahren. Sie betrachten das Exil aber für sich tatsächlich als Gewinn?

Ich verdanke dem Exil, mehrere Sprachen gelernt zu haben. Ich kann jetzt Deutsch, ich kann Spanisch, weil ich spanische Literatur studiert habe. Das alles habe ich im Exil gewonnen. Der Diktator, Saddam Hussein, hat gedacht, wenn er uns, mich oder meine Kollegen, verbannt, dann gewinnt er. Am Ende hat er verloren. Er ist in einem Loch aufgefunden worden. Und ich lebe hier und atme die freie Luft und schreibe weiter.

Najem Wali (Hg.): 25 Jahre Writers in Exile. Gefährdete Stimmen einer Welt in Gefahr. Anthologie. Secession-Verlag, 240 S., geb., 25 €.

»Adam und Eva sind die Ururgroßeltern von uns. Wir sind die Frucht ihrer Verbannung aus dem Paradies.«

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