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Weder Heros noch Dämon

Christian Blasge diskutiert die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz

Nicht als ein Aufruf zur »Umwertung aller Werte« à la Nietzsche will Christian Blasge sein Buch verstanden wissen. Aber: »In einer postfaktischen Welt müssen wir uns vielmehr als Einzelne und in der Gesellschaft immer wieder neu fragen, wie wir eigentlich leben wollen, welche Werte für uns als zentral gelten und was wir für gut und erstrebenswert erachten«, mahnt der Ethiklehrer an der Pädagogischen Hochschule Steiermark und der Karl-Franzens-Universität Graz. Denn unbestreitbar ist: »Technik schafft neue Welten, sie erzeugt neue und transzendiert alte Werte.«

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Christian Blasge: Der Mensch als Rohstoff. Zwischen Künstlicher Intelligenz und persönlicher Optimierung. Promedia, 264 S., br., 22 €.

Künstliche Intelligenz (KI) ist heute in aller Munde. Doch was bedeutet dies? Inwieweit verändert sie unser Leben, unsere Identität, unser Menschsein? Wird ihr vielleicht mehr Macht zugeschrieben, als sie tatsächlich hat? Oder ist sie doch übermächtig und gefährlich, kann außer Kontrolle geraten, zum Leidwesen der Spezies Homo sapiens?

Blasge diskutiert diese Frage in opulenter Ausführlichkeit, auf hohem intellektuellen Niveau, reichlich aus akademischer, schöngeistiger und Science-Fiction-Literatur zitierend. Zunächst befragt er die alten Griechen, zuvörderst den philosophierenden Steinmetz Sokrates, um dann über Thomas Hobbes bis zu Karl Jaspers zu gelangen. »Zu fruchtbaren Debatten kommt es, wenn sich innerhalb eines Bereiches oder einer Fragestellung der Philosophie unterschiedliche und womöglich divergierende Ansätze gegenübertreten.« These - Antithese - Synthese ist auch das Gerüst für Blasges Essay. In Anknüpfung an Jaspers und Immanuel Kant möchte der österreichische Autor ermuntern, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, das Staunen über die Welt zu kultivieren. Löblich.

Aber was bringt es uns, das Phänomen KI zu verstehen? Der Autor diskutiert unter anderem Günther Anders’ verfasste Kultur- und Technikkritik »Die Antiquiertheit des Menschen« (1956) und den dystopischen Roman »The Circle« des US-amerikanischen Schriftstellers Dave Eggers (2013), in dessen Mittelpunkt ein mächtiger Internetkonzern steht, der die kühnsten Visionen aus Silicon Valley sprengt. Von Nietzsches »Übermensch« spannt er den Bogen zum »Transhumanismus« des US-amerikanischen IT-Experten und Futuristen Raymond »Ray« Kurzweil.

Blasge stellt aktuelle Fortschritte in Gen-, Nano- und Biotechnik, Pharmakologie und Robotik, bei Prothesen und Cochlea-Implantaten vor, die »uns langfristig erlauben, länger zu leben, schneller zu denken und leistungsfähiger zu sein«. Dies alles eigentlich begrüßenswert. Dennoch: Wie weit soll die Verschmelzung von Mensch und Maschine gehen, die mit der scheinbaren oder wirklichen Unentbehrlichkeit von Smartphones und anderen technischen Intelligenzen in unserem Alltag bereits unfassbare Dimensionen erlangte? Wie weit wollen wir gehen, fragt Blasge. »Soll alles technisch Machbare tatsächlich umgesetzt werden?«

Der Autor hält den Ball flach. Wider alle Unkenrufe. »Alle bisher genannten Formen von Künstlicher Intelligenz müssen korrekt als partielle Intelligenz bezeichnet werden. Sie können in einem spezifischen Bereich bestimmte Aufgaben hervorragend meistern - nicht mehr und nicht weniger.« Dass es auch bei der KI die sprichwörtlichen zwei Seiten einer Medaille gibt, demonstriert er ausführlich am Beispiel der Drohnen, die zivilen Alltag erleichtern, aber auch den Überwachungsstaat befördern sowie eine hinterhältige, tödliche Waffe sein können.

Relaxed widmet er sich auch der Frage, ob KI ein Bewusstsein entwickeln kann. Das Schreckgespenst Out of Control ist nicht sein Ding. Dennoch steigt er ein in die Debatte, ob der Input menschlicher Werte in Software möglich, nützlich, notwendig ist. Und warnt sodann KI-Entwickler allein angesichts zweier Weltkriege und zweier Atombombenabwürfe im vergangenen Jahrhundert davor, »einer Superintelligenz unsere menschlichen Werte beizubringen, da diese nicht als Prävention oder Intervention gegenüber Leid ausgereicht haben«.

Obgleich zutiefst skeptisch, dass Maschinen Bewusstsein entwickeln können und ihnen Moral gelehrt werden kann, verweist Blasge auf die bereits 1950 (als sich Computer noch im embryonalen Stadium befanden) von Isaac Asimov in »I Robot« aufgestellten drei Robotergesetze - gern noch heute zitiert als wünschenswerte moralische Grundlagen der KI, auch militärischer: »Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen - es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.« Dem wiederum stellt Blasge die Warnung des 2018 verstorbenen Astrophysikers Stephen Hawking gegenüber, dass wir die Absichten einer Superintelligenz niemals abschätzen werden können: »Es sollte uns stets gewahr sein, dass eine starke KI einer kleinen Elite die absolute Herrschaft über eine überwältigende Mehrheit ermöglichen kann.«

Dem stimmt Blasge zu, der sich dennoch oder darob eine weitere Debatte über Transhumanismus, Posthumanismus und Superintelligenz wünscht. Ebenso über die Mängel und Makel von uns als natürliche Menschen. Die Zukunft werde nicht frei von Konflikten sowie technologischen und kulturellen Revolutionen sein, lautet seine Botschaft.

Ein beeindruckendes, spannendes, intelligentes, faktenreiches, erkenntnisbringendes und unterhaltsames Buch, das kein Roboter hätte besser verfassen können.

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