- Wirtschaft und Umwelt
- Solarwärme
Ungewisse Zukunft für Wärmewende
Die Beheizung von Gebäuden bleibt Domäne der Fossilen, aber Heizen mit Solarstrom gilt als der neue Renner
Die Münchner Solar-Messe »The Smarter E Europe Restart 2021«, die aus der Intersolar Europe hervorging, wurde 2021 nach zwei Jahren wieder als Präsenzmesse durchgeführt. Passend dazu klangen die wirtschaftlichen Perspektiven aus dem Solarbereich überaus optimistisch: »Die Investitionsbereitschaft in Fotovoltaik und Speicher wächst seit Jahren kräftig und das Geschäftsklima ist auf einem konstant hohen Niveau«, urteilte der Branchenverband BSW. Für 2021 rechnet er mit zweistelligen Wachstumsraten. Einen neuen Trend stellt die Nutzung von Solarstrom bei der Wärmeversorgung von Gebäuden in Verbindung mit Elektromobilität dar.
Die Verknüpfung beider Bereiche, die sogenannte Sektorenkopplung, führt dazu, die Nutzung des auf dem eigenen Grundstück erzeugten Solarstroms zu erhöhen und den Zukauf von teurem Strom aus dem Netz zu minimieren. In klassischen Fotovoltaik-Anlagen, die nach dem EEG ins Netz einspeisten, war die Nutzung des Solarstroms im Haushalt begrenzt, lukrativ dagegen war die Einspeisung von Strom ins Netz. Seitdem die Einspeisevergütung immer unattraktiver wird, wird der Eigenverbrauch interessanter. Und damit zusätzliche Verbraucher wie die Gebäudeheizung und das Elektroauto. Das Ziel heutiger Fotovoltaik-Anlagenbetreiber liegt bei einem gesteigerten Eigenverbrauchsanteil, einer stärkeren Autarkie, wie das auch genannt wird. Dazu muss die Abgabeleistung der heimischen Fotovoltaik-Anlage mithilfe eines Batteriespeichers konstant gehalten werden. Elektrisches Heizen mit Solarstrom ist, so gesehen, ein probates Mittel, um die eigene Investition auf dem Dach wirtschaftlicher zu machen.
Wärmepumpen mit Solarstrom
Im Wärmebereich wird folglich eine Vielzahl neuer und ausgereifter Systeme angeboten, etwa um mit Solarstrom Wärmepumpen zu betreiben oder einen Warmwasserspeicher nachzuheizen. Ein weiteres Beispiel beim Einsatz moderner Stromheizungen stellen Infrarotheizungen dar. Ihre Strahlungswärme kann differenziert und bedarfsweise genutzt werden. In Verbindung mit einem Batteriespeicher ergibt sich ein wirtschaftlicher Vorteil einer solchen Kombination von Fotovoltaik, Wärmepumpe oder Infrarotstrahler und Batteriespeicher. Rein elektrisch zu heizen, erfordert gegenwärtig allerdings noch recht hohe Investitionen. Für den, der sie aufbringen kann, rechnet sich das aber.
Ein sofortiger und vollständiger Umstieg auf mit Solarstrom betriebene Heizungssysteme ist jedoch nicht erforderlich. Egal ob eine Individualheizung mit Gas, Öl oder Pellets vorhanden ist und noch eine Weile betrieben werden soll, mithilfe eines Batteriespeichers lässt sich ein größerer Teil des Solarstromertrages vom Dach gleichmäßig in Nutzwärme für das Gebäude umwandeln. Interessant ist das mit einer kleineren Speicherlösung für die Sommermonate, in denen eine konventionelle Gas- oder Ölheizung, wenn sie nur wegen der Warmwassererzeugung durchlaufen muss, extrem unwirtschaftlich wird.
Vor diesem Hintergrund fiel sowohl auf der Messe wie auch im Statement des Solarverbandes auf, dass eine klimaneutrale Wärmeversorgung fast ausschließlich als neue Domäne für Sonnenstrom vorgestellt wurde und Solarthermie bestenfalls als Randthema erschien. Doch eine Messe ist eine Verkaufsschau und muss nicht unbedingt die reale Entwicklung spiegeln. Doch der Schweizer Solarthermiepionier Josef Jenni konstatierte im Vorfeld der Messe: »Unsere Aufträge verlagern sich seit einiger Zeit weg von der Solarthermie und der thermischen Versorgung von Wohngebäuden. Das ist eine Entwicklung, die ich energiewirtschaftlich und politisch sehr kritisiere.« Die aktuellen Präferenzen führten dazu, dass ständig mehr grüner Strom für Verkehr, private Haushalte und industrielle Prozesse bereitgestellt werden müsse. Jenni hält es für einen Irrweg, alle Energieprobleme mit (Solar-)Strom lösen zu wollen. Der stark voranschreitende Ausbau des strombasierten Heizens mit Wärmepumpen führe in ein Dilemma. Denn es sei klar, dass dadurch im Winter enorme Verbrauchsspitzen entstünden, die mit Strom aus erneuerbaren Quellen nicht befriedigt werden könnten. Denn in dieser Zeit steht regelmäßig zu wenig regenerativer Strom zur Verfügung. Dagegen helfe selbst ein massiver Zubau der Fotovoltaik, so er sich denn durchsetzen ließe, relativ wenig.
Wenn die Anwendung von Fotovoltaik zu einer permanent verstärkten Nachfrage nach Strom führe, könne dieser Mehrbedarf zu einem großen Teil nur wieder aus fossilen Brennstoffen oder Kernkraftwerken bereitgestellt werden. Das wäre kein Fortschritt für die Energiewende, eher das Gegenteil. Für Jenni ist deshalb die Solarthermie ein ganz wichtiger Baustein. Sie ist nach seiner Überzeugung die sanfteste, umweltschonendste und effizienteste Technologie. »Wärme wird als Wärme erzeugt, als Wärme gespeichert und als Wärme verbraucht«, so Jenni. Durch den Einsatz von Solarthermie könne indirekt sehr viel Strom eingespart werden.
Der Stoff, der E-Autos mobil macht
Kanadische Firma will in Raffinerie in der Lausitz Rohstoffe für Lithiumionenbatterien produzieren - ein potenzieller Abnehmer wäre Tesla
Die Einschätzungen des Schweizer Solarunternehmers sprechen damit aktuelle Diskussionen zum Thema Erdgas aber auch über mögliche Stromlücken an. Der Blick auf die aktuelle Entwicklung in Deutschland zeigt, wie richtig er liegt. Auf breiter Front wird daran gearbeitet, Stromerzeugung und Fernwärme aus Kohle durch solche aus Erdgas zu ersetzen. Wer gehofft hatte, nach der Kohle begänne nahtlos das Zeitalter der Erneuerbaren, sieht sich getäuscht. In kürzester Zeit dürfte dieser fossile Brennstoffwechsel so weit fortgeschritten sein, dass die Kohle in der Strom- und Wärmeerzeugung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen wird. Aber mit dem Brennstoff Erdgas bleibt die fossile Verbrennung dominant. Und auch für neue Kernkraftwerke wird seit einiger Zeit wieder getrommelt.
Erdgas-Blockheizkraftwerke wachsen
Eine direkte Auswirkung hat das schon heute in der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). In ganz Deutschland wird in Gasmotorenkraftwerke investiert, die eine Reihe wirtschaftlicher Vorteile gegenüber der Kohle-KWK, aber auch gegenüber Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerken mit Erdgas aufweisen. Gasmotoren bringen eine Abkehr von der Kombination von Gasturbine und Dampfkraftwerk, welches über die rotierende Masse den Strom erzeugt und Wärme auskoppelt. Gasmotoren bieten die Möglichkeit, bis zu zwei Dutzend Motorblöcke in Kaskade zu schalten, die dann als großes Blockheizkraftwerk funktionieren. Teilweise werden sie mit großen Warmwasserspeichern kombiniert.
Damit verfügen sie über eine größere Flexibilität und können mit einer an die Jahreszeit und den Bedarf angepassten Leistung gefahren werden. Zudem lassen sich so Materialkosten und -verschleiß einsparen. Diese sogenannten innovativen Fernwärmesysteme sind vor allem in Großstadt- und Metropolregionen auf dem Vormarsch. Das gilt für die KWK auf Erdgasbasis aber auch abseits der Zentren. Die erweiterten Importkapazitäten beim Erdgas durch die zweite Ostseepipeline wie auch die Schwarzmeerpipeline im Süden, werden vom Ausbau des innerdeutschen Erdgasnetzes begleitet. Als Folge werden bis in ländliche Räume hinein bisher mit Heizöl, Kohle oder Holz betriebene Individualheizungen verdrängt.
Energiesektor des Grauens
Die absehbar hohen Heizrechnungen haben auch strukturelle Gründe
Das gilt vom Einfamilienhaus bis zum großen Wohngebäude, zum einen über Gasbrennwertkessel als Einzelheizungen, aber auch durch neue, kleine Netzlösungen mit Erdgas-Blockheizkraftwerken. Parallel dazu gibt es als neuen Trend aber auch die Solarisierung vorhandener Nahwärmenetze. Wurden seit zwei Jahrzehnten konventionelle Einzelheizungen mit solarthermischen Anlagen kombiniert, so ist seit knapp zwei Jahren ein vergleichbarer Trend bei kleineren Fernwärme- und Nahwärmenetzen festzustellen. Bei ihnen wird mit solarthermischen Großanlagen eine Dekarbonisierung betrieben.
Dekarbonisierung mit solarer Nahwärme
Das Unternehmen Ritter XL ist in dieser Zeit zum Marktführer bei solarthermischen Großanlagen für Nah- und Fernwärmesysteme aufgestiegen. Der zuständige Bereichsleiter Christoph Bühler sieht nach Jahren der Stagnation klare Wachstumstendenzen bis in den Megawattbereich. Er spricht vom wachsenden Interesse der Stadtwerke, von der Bürgerenergie spricht er allerdings noch nicht. Ein Problem bestehe in fehlenden Flächen. Die Gemeinden täten sich schwer, große Areale für solarthermische Felder bereitzustellen. Wenn, dann dauere es in der Regel bis zu drei Jahren.
Neben der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), die vielfach zum Austausch alter Ölheizungen genutzt wird, gehört die Förderung der verbesserten Kraft-Wärme-Kopplung, kurz Innovative KWK (I-KWK) genannt, zu den verbesserten Rahmenbedingungen. Bei der sogenannten I-KWK erhöht sich die Vergütung auf der Stromseite auf bis zu zwölf Cent pro Kilowattstunde - gegenüber maximal sieben Cent pro Kilowattstunde für konventionelle KWK-Anlagen. Zusätzlich muss das Stadtwerk 35 Prozent der Netzkapazität durch regenerative Wärme bereitstellen. Bis Ende 2020 lag dieser Anteil noch bei 30 Prozent.
Eine klimapolitische Initialzündung
Entscheidend für die Klimawende ist der Ausbau der erneuerbaren Energien
Die größte derzeit im Bau befindliche Anlage in Greifswald, die mit 18 700 Quadratmetern Kollektorfläche eine solare Leistung von 13 Megawatt bereitstellt, ist die erste, die von der I-KWK-Förderung profitiert. Sie soll ab 2022 jährlich fast 8000 Megawattstunden Solarwärme in das Fernwärmenetz der Stadt einspeisen. Zusammen mit einer geplanten Bundesförderung für Wärmenetze geht man davon aus, dass bei Solarthermie 40 Prozent der Investitionen sowie zwei Cent pro Kilowattstunde in den ersten zehn Betriebsjahren vergütet werden. Das werde das Wachstum des Marktes weiter vorantreiben.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!