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- Stadtentwicklung und Mieten
Über 150 Jahre Verdrängung
Andrej Holm und Florian Schmidt legen Bücher zur Wohnungsfrage vor
»Eigentlich wissen wir alle: Wenn dich heute ein Luxemburger Fonds kauft, dann weißt du, dass er nicht ewig bleiben wird«, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm. Denn das Ziel sei der Handel mit den Wohnungen, nicht die klassische Bewirtschaftung. Die Finanzierung sei bis in die 1990er Jahre das Mittel zum Zweck gewesen, um die wohnungswirtschaftlichen Gewinne zu erzielen. »Wir erleben jetzt eine Umkehrung, weil unglaublich viel anlagesuchendes Kapital im Raum herumschwirrt. Jetzt kommt Anlagekapital in die Städte und sagt: Ich suche eine Wohnung«, beschreibt Holm die aktuelle Lage. Rund 20 Prozent des Berliner Wohnungsbestands sind in der Hand solcher Eigentümer: große Wohnungskonzerne, Immobilienfonds und ähnliche.
Das musste diesen Montag gerade wieder ein Mieter am Kreuzberger Mehringdamm 67 erfahren, der zwangsgeräumt worden ist. Rund 80 Menschen sollen laut dem »Bündnis Zwangsräumung verhindern« mit einer Sitzblockade versucht haben, die Räumung abzuwenden, jedoch habe die Polizei diese durchgesetzt. »Daniel ist nun obdachlos und der Vermieter kann die Wohnung teuer sanieren und mehr Geld machen«, heißt es vom Bündnis. Der Eigentümer habe das Haus für viele Millionen Euro erworben und dann gezielt verfallen lassen, um die bisherigen Mieter loszuwerden. »Um Profit zu machen, nimmt der Vermieter das Leid eines Menschen billigend in Kauf und der Staat hilft ihm noch dabei«, kritisiert Aktivist David Schuster. »Der Staat räumt arme Menschen in die Obdachlosigkeit, gibt dann 3000 Euro im Monat aus, um einen obdachlosen Menschen in billigen Herbergen unterzubringen. Das ist totaler Wahnsinn«, so Schuster weiter.
Ein Vorgehen, das dem entspricht, was Andrej Holm in seinem Ende November im Dietz-Verlag erscheinenden Buch »Objekt der Rendite - Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte« als »Wohnungspolitik als Revanche« beschreibt. In seiner ab 1871 erschienen Artikelreihe »Zur Wohnungsfrage« ist für Friedrich Engels »die Methode Haussmann der Kern bürgerlicher Wohnungspolitiken. Der Abriss der Wohngebiete der arbeitenden Klasse und die Errichtung der Prachtboulevards in Paris dienen ihm dabei als Metapher für eine kaum verhüllte Klassenpolitik, bei der die Interessen der Besitzenden gegen die Besitzlosen durchgesetzt werden«, so Holm bei der Lesung im Rahmen der »nd«-Literaturwoche am Dienstag vergangener Woche. Georges-Eugène Haussmann gestaltete Paris in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts radikal um, die großen Boulevards sollten auch den Bau von Barrikaden durch aufständische Arbeiter erschweren. »Auch wenn der Umbau der Städte nach den Wünschen des Kapitals vielerorts nicht mehr mit der Abrissbirne durchgesetzt wird - die umfassende Verdrängung der Bürgerinnen und Bürger wird immer noch regelmäßig in Kauf genommen«, so Holm weiter.
Der übermächtige Gegner. Mietende von Gewerberäumen leben prekär - nun starten sie eine Kampagne
»Die Logik der Verdrängung, eine rücksichtslose Vorgehensweise und die Überzeugung, damit alles richtig zu machen, begleitet die Stadtpolitik der herrschenden Klasse seit über 150 Jahren«, sagt Andrej Holm. Letztlich habe die sogenannte Finanzialisierung des Wohnungsmarktes die Verdrängungsdynamik aber noch beschleunigt. Der Soziologe verweist auch auf die Dimension der Umverteilung von Kapital von unten nach oben allein durch die Mieten. Die bundesweit rund 17 Millionen Mietwohnungen in privatem Eigentum erzielen laut Holm jährlich einen Gewinn von an die 50 Milliarden Euro. »Dieses ökonomische Potenzial, was die Bewirtschaftung von Wohnungen mit sich bringt, erklärt uns letztendlich auch, warum so erbittert mit großteils polemischen Argumentationen wohnungspolitische Fragen diskutiert werden«, sagt Holm.
Zumindest ein bisschen Abhilfe könnte nach Ansicht Andrej Holms die Umsetzung des Sozialisierungs-Volksentscheids schaffen, der die Vergesellschaftung von über 200 000 Berliner Wohnungen renditeorientierter Großvermieter wie Vonovia oder Heimstaden zur Folge hätte.
Unter anderem das verbindet Holm und den Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne). »Ich halte Deutsche Wohnen & Co enteignen für eine der großartigsten Initiativen, die diese Stadt je gesehen hat, mit die wichtigste überhaupt«, sagte er kürzlich im »nd«-Interview. »Die Idee der Gemeinwirtschaft ist wieder als Keil in die Debatten getrieben worden, das kann man gar nicht hoch genug anerkennen«, so Schmidt weiter. Unter anderem davon handelt sein soeben neu erschienenes Buch »Wir holen uns die Stadt zurück«. Der Grünen-Politiker will darin eine Anleitung geben, »wie wir uns gegen Mietenwahnsinn und Spekulation wehren können«.
Schmidt möchte nach dem Vorbild Wien mindestens 50 Prozent des Wohnungsbestandes in gemeinwohlorientierte Hände bringen - das können landeseigene Unternehmen sein, Genossenschaften oder auch Stiftungen, die sich entsprechenden Zielen verpflichtet haben. Das von ihm propagierte Schlagwort lautet »Communalisierung«. Damit könne man »eine nicht primär auf staatliche Eigentumsformen basierende Transformation der Wirtschaft beziehungsweise von Teilbereichen der Wirtschaft in Richtung Gemeinwohlorientierung bezeichnen«, heißt es in dem Buch. Durch die Schreibung mit C statt K werde »der Aspekt des ›Commons‹, also des nichtstaatlichen Gemeinguts, angedeutet«. Es geht Schmidt um eine »hybride Transformation der Wirtschaft hin zu einer privaten und staatlichen Gemeinwesenökonomie«. Im Unterschied zur Vergesellschaftung versteht Schmidt das als »eine dynamische Kraft, die aus der Gesellschaft heraus entsteht, und zwar zu wichtigen Anteilen auch auf Basis eines gemeinwohlorientierten Unternehmertums«. Dem Staat kommt dabei »die Rolle des Geburtshelfers« zu - durch Förderprogramme und unterstützende Bildungs- und Beratungsangebote.
Florian Schmidt, Wir holen uns die Stadt zurück, Ullstein, 17,99 Euro, ISBN 978-3-864-93126-0 Andrej Holm, Objekt der Rendite, Dietz Berlin, 16 Euro, ISBN 978-3-320-02388-1, erscheint Ende November
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