Werbung

Lasso zieht die Zügel an

Ecuadors Präsident verhängt den Notstand und setzt die Armee im Inneren ein

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Fernando Carrión sind die Statistiken eindeutig. Zwischen 2016 und Oktober 2021 habe sich die Zahl der Morde im Lande nahezu verdoppelt, so der Professor der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso) in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito gegenüber »nd«. Die Entscheidung der Regierung, zum 18. Oktober den Ausnahmenzustand zu verhängen, sei für ihn nachvollziehbar. »Es ist der Versuch, sowohl den Konflikt zwischen den Drogenbanden, als auch die Zahl der Auftragsmorde einzudämmen, aber das wird kaum reichen«, meint der Sozialwissenschaftler. Alarmierend sei nicht nur der Krieg in den Knästen, der Ende September mit dem Tod von 119 Häftlingen in Ecuadors größter Strafanstalt für Schlagzeilen sorgte, sondern auch die Zunahme der gewöhnlichen Kriminalität. Diese sei eng mit der wirtschaftlichen Talfahrt während der Corona-Pandemie verknüpft.

Hauptursache für die Welle der Gewalt sei der offene Krieg zwischen den Banden, die mit rivalisierenden mexikanischen Drogenkartellen kooperieren. »Es geht um die Vorherrschaft über die Transitrouten und Ecuador liegt nun einmal zwischen Peru und Kolumbien, den beiden wichtigsten Kokainproduzenten der Welt«, führt Carrión aus. Folgerichtig sei Ecuador, und vor allem der Hafen der Industriemetropole Guayaquil, zur Drehscheibe des Drogenschmuggels in die USA geworden. Die Route nach Europa laufe hingegen über die Amazonasregion und Brasilien. Die Kontrolle der Routen, über die schätzungsweise 500 Tonnen Kokain pro Jahr geschmuggelt werden, sei lukrativ, so der Experte. Um ihre Beherrschung kämpften die Drogenbanden auch in den Haftanstalten. »El Litoral« heißt die größte von ihnen, ist mit 10 000 Insassen komplett überfüllt und außer Kontrolle, wie die 119 Toten von Ende September belegen.

Um den Krieg hinter Gittern nun einzudämmen, herrscht in ecuadorianischen Strafanstalten seit Anfang Oktober der Ausnahmezustand. Die damit verbundenen Befugnisse der Sicherheitskräfte weitete Präsident Guillermo Lasso am 18. Oktober allerdings auf das ganze Land aus. Die Folge: Die Behörden können nun die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einschränken. Dies sei problematisch, sagt Jose Miguel Vivanco, Direktor der Lateinamerika-Abteilung bei Human Rights Watch (HRW). Auch den Einsatz der Armee, die nicht für die Kontrolle der öffentlichen Ordnung ausgebildet ist, moniert er. Zu Recht, findet Mario Melo, Menschenrechtsanwalt und Professor der Päpstlichen Katholischen Universität von Ecuador. »Die Zunahme der Gewalt ist ein Symptom struktureller Probleme. Die Pandemie hat zu einer gravierenden Wirtschaftskrise beigetragen, zum Verlust vieler Arbeitsplätze und da ist die Drogenökonomie eine Alternative«, meint Melo. Neue Arbeitsplätze, die Wiederbelebung der Ökonomie sowie grundsätzliche Reformen seien nötig – nicht nur in den Strafanstalten und deren Verwaltung. Zudem sei die Verhängung des Ausnahmezustands zwar nachvollziehbar, unterbinde aber auch Proteste gegen die Regierung. Diese seien programmiert, denn Indigene, Reisbauern und Transportorganisationen machten gegen den Subventionsabbau der Regierung mobil. Armut und soziale Ungleichheit seien der Nährboden der Gewalt.

Soziale Programme gegen die Armut sind rar. Immerhin hat Präsident Lasso es aber geschafft, die Impfkampagne seines Vorgängers Lenín Moreno in Schwung zu bringen. Die Impfquote liegt bei den über 18-Jährigen bei über 70 Prozent und damit deutlich höher als in Ecuadors Nachbarländern. Ein Erfolg, der dem ehemaligen Bankier zwischenzeitlich eine hohe Zustimmungsrate von über 70 Prozent bescherte. Diese ist nun aber auf rund 30 Prozent eingebrochen. Das Ausbleiben von Reformen ist dafür ein wesentlicher Grund. Dies liegt unter anderem an der neoliberalen Fraktion des konservativen Kabinetts, die Sozialprogramme kritisch sieht, zumal Haushaltsdefizit und Auslandsschulden deren Finanzierung erschweren. Hinzu kommt der Bruch mit der rechten Sozialchristlichen Partei, der den Präsidenten die Mehrheit im Parlament kostete. Lasso steht nun wenige Monate nach seiner Vereidigung bereits mit dem Rücken zur Wand. Der Ausnahmezustand kommt da gerade recht und verschafft ihm eine dringend benötigte Atempause.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!