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Mehr Menschen in finanzieller Not
Nachfrage nach Schuldnerberatung steigt 2021 rasant an
Private Überschuldung ist kein Randphänomen, sondern weitverbreitet. Trotzdem gibt es keine offiziellen Zahlen zu deren Ausmaß. Einen Anhaltspunkt bieten jedoch die jährlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten, wie viele Menschen sich von einer Schuldner- oder Insolvenzberatungsstelle beraten lassen. Im Jahr 2020 waren dies demnach 588.000. 13,8 Prozent von ihnen waren alleinerziehende Frauen, obwohl ihr Anteil in der Gesamtbevölkerung 2020 nur 5,2 Prozent betrug. Auch allein lebende Männer waren überproportional häufig von Überschuldung betroffen.
Die Daten verdeutlichen zudem, dass vor allem diejenigen, die kaum Einnahmen haben, ins finanzielle Minus geraten. Denn besonders häufig trifft Überschuldung Erwerbslose. Arbeitslosigkeit war im letzten Jahr mit rund 20 Prozent der Hauptauslöser für private Überschuldung. Aber auch eine Erkrankung, Sucht, oder ein Unfall sowie die Trennung vom Partner und ein längerfristiges Niedrigeinkommen sind unter den Hauptursachen. Zusammen gehen 57,8 Prozent der privaten Überschuldungen auf diese zurück, während eine »unwirtschaftliche Haushaltsführung« lediglich 14,5 Prozent der Überschuldungen ausmache.
Die Corona-Pandemie hat das Problem noch verschärft. Wer sein Konto überziehen muss und zusätzlich etwa in Kurzarbeit ist, gerät natürlich schneller in Not. Während 2020 aber noch kein hoher Anstieg der privaten Überschuldungen aus den Zahlen hervorgeht, sieht die Sache 2021 schon anders aus. So verzeichneten die gemeinnützigen Schuldnerberatungsstellen in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zu vor der Pandemie einen deutlichen Anstieg der Anfragen nach Beratung. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AGSBV) hervor. Demnach erhöhte sich bei über zwei Dritteln die Anzahl der Beratungsanfragen im Vergleich zu vor der Pandemie. Bei fast der Hälfte betrug der Anstieg zwischen zehn und 30 Prozent; knapp ein Fünftel der Beratungsstellen beobachtete eine Zunahme um mehr als 30 Prozent. »Die steigende Nachfrage nach sozialer Schuldnerberatung ist alarmierend«, kommentierte Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie, die Zahlen.
Auch eine im Juli veröffentlichte Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hat zum Ergebnis, dass infolge der Pandemie die Zahl überschuldeter Privathaushalte zugenommen hat. Vor allem die rund elf Prozent der Menschen ohne finanzielle Rücklagen geraten stärker unter Druck. Aber auch für bisher wenig gefährdete Personengruppen steige die Gefahr der Überschuldung. Insgesamt mussten 2020 31 Prozent auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. 40 Prozent von ihnen hatten diese bereits im Oktober 2020 weitestgehend aufgebraucht. »Zu Beginn der Pandemie konnten sich viele Menschen noch durch Rücklagen oder privat geliehenes Geld finanziell über Wasser halten. Inzwischen können viele ihre Überschuldungssituation jedoch nicht mehr kompensieren«, so Loheide. Laut AGSBV-Umfrage geht über ein Viertel der erhöhten Nachfrage nach Beratung auf Miet- und Energieschulden zurück.
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