»Der Haufen hält zusammen«

Gratulation zur bestandenen Prüfung, dann der Rausschmiss. Um Azubis zu unterstützen, wurde Cheyenne Todaro Interessenvertreterin bei Benz

  • Interview: Clemens Melzer
  • Lesedauer: 8 Min.
Mercedes-Benz – »Der Haufen hält zusammen«

Sie arbeiten bei Mercedes Benz in Mannheim. Was wird da produziert? Wie kann man sich die Arbeit vorstellen?

Interview

Cheyenne Todaro (28) begann 2009 ihre Ausbildung als Kfz-Mechatronikerin im Mercedes-Benz- und EvoBus-Werk Mannheim. Um sich gegen die Kürzungspolitik des Unternehmens zu wehren, die auch die Azubis zu treffen drohte, engagierte sie sich in der Interessenvertretung und blieb dabei. Sie kennt die Sorgen und Nöte der Kolleg*innen und kämpft für mehr Zusammenhalt.

Das Interview ist ein Auszug aus einem Gespräch für den Youtube-Kanal »Systemrelevant«, auf dem Arbeiter*innen aus unterschiedlichen Berufen zu Wort kommen und einen kritischen Blick auf unsere Gesellschaft werfen: www.systemrelevant.tv

Wir haben die Besonderheit, dass wir zwei große Unternehmen auf dem Werksgelände haben, die von einem Betriebsrat vertreten werden. Wir haben die Daimler AG, da werden Motoren für Trucks gebaut. Angegliedert ist aber auch eine Gießerei, wo wir unser eigenes Metall schweißen. Und wir haben die EvoBus GmbH, also klassischer Stadtbusbau. Im Busbau wird viel händisch gemacht. Da steckt Muskelkraft drin und sehr viel Liebe fürs Detail. Der Produktionsablauf beim Motorenbau ist ein ganz anderer. Du hast da ganz andere Takte, bis der nächste Motor kommt, eine höhere Arbeitsdichte. Dadurch, dass die Produktionsabläufe stärker automatisiert sind, hast du auch ein anderes Entgeltniveau.

Also im Busbau werden auch in Zukunft die Menschen nicht überflüssig werden?

Wenn Schlagworte wie Digitalisierung und Transformation fallen, sieht man immer Bilder von Anlagen in menschenleeren Hallen und einem Mann, der drückt im Halbstundentakt die Knöpfe, und dann kommt am Ende ein fertiges Produkt raus. Das ist im Busbau so nicht möglich. Dafür ist hier die Verlagerung ins Ausland eine Gefahr. Anbieter in Ungarn beispielsweise sind günstiger, weil wir hier Tariflohn kriegen.

Digitalisierung würde eher dabei helfen, dass die Kollegen den Bus nicht mehr in die Halle reinschieben müssen, sondern dass wir mal eine ordentliche Anlage bekommen. Bei der Motorenproduktion ist die Gefahr größer, dass weniger Menschen gebraucht werden. Andere Automobilhersteller machen es ja vor.

Sie arbeiten in der Interessenvertretung. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich habe 2009 eine Ausbildung als Kfz-Mechatronikerin begonnen, weil es mein Traum war, handwerklich zu arbeiten. Ich habe aber in der Ausbildung gemerkt, dass auch bei einem so großen Konzern, wo man denkt, da ist die Welt heile, nicht alles Gold ist, was glänzt. Deshalb habe ich in der Ausbildung begonnen, mich als Interessenvertreterin zu engagieren, habe mich als Jugend- und Auszubildendenvertreterin aufstellen und wählen lassen.

Das war der Einstieg in meinen zweiten Werdegang. Das erste Leben als Kfz-Mechatronikerin, das zweite Leben als Interessenvertreterin. Inzwischen vertrete ich die Belange sämtlicher Altersgruppen eines großen Teils der Belegschaft.

Welche Erwartungen haben sich für Sie in der Realität anders dargestellt?

Es fing damit an, dass wir in der Ausbildung keine richtigen Werkzeuge hatten. Wir waren damals acht Kollegen und ich - als einzige Frau -, und wir mussten uns einen halb vollständigen Werkzeugkasten teilen. So stellst du dir die Ausbildung nicht vor.

Hinzu kam in meinem ersten Ausbildungsjahr die Weltwirtschaftskrise. Das heißt, die Bombe ist geplatzt: Überall werden Leute rausgeschmissen, prekäre Beschäftigung fasst richtig Fuß. Gewerkschaftskollegen aus anderen Betrieben wurde zur bestandenen Abschlussprüfung gratuliert, und im selben Atemzug wurde gesagt: Aber wir können dich ab nächstem Monat nicht mehr weiterbeschäftigen. Auch bei uns wurde diskutiert: Können wir die Auszubildenden übernehmen? Das waren damals meine Beweggründe, Interessenvertreterin zu werden.

Und seitdem sind Sie in dem Werk geblieben. Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?

Wenn ich nicht gewählt worden wäre, ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich noch in diesem Werk wäre. Mit 16 oder 17 Jahren geht’s ja erst mal darum, Fuß zu fassen. Gerade, wenn du aus einem Elternhaus kommst, das finanziell nicht so gut ausgestattet ist, wo es vielleicht nicht jeden Monat Taschengeld gab, guckst du als erstes: Wie komm ich an Geld? Die Industrie ist erst mal sexy, du verdienst da deine Kohle als junger Mensch und kannst dir ganz viel leisten. Aber es ist eben keine sinnstiftende Arbeit.

Dafür gibt es mir extrem viel, jetzt Interessenvertreterin zu sein. Die Leute kommen wirklich mit allem Möglichen zu mir, von: »Ich habe Selbstmordgedanken, ich bin in einer Depression und meine Frau hat mich verlassen« bis zu: »Ich bin zu alt, ich kann diese Arbeit nicht mehr machen, ich brauche einen neuen Arbeitsplatz« oder: »Ich werde nicht richtig bezahlt, ich mache eigentlich eine höherwertige Arbeit und kriege das nicht richtig vergütet.« Es kommt jeden Tag was Neues, und das spornt mich an.

Was sind die größten Schwierigkeiten, mit denen die Kolleginnen und Kollegen zu kämpfen haben?

Die Arbeit so lange überhaupt durchstehen zu können. Es ist wirklich hart, den Renteneintritt sowohl mental wie auch physisch gesund zu erreichen. Und leider ist es auch so, dass es einige nicht schaffen. Da hatten wir gerade letzte Woche wieder einen Fall. Einige Kollegen hatten noch zwei oder drei Jahre vor sich und sterben dann.

Das Thema Gesundheit ist die größte Herausforderung, aber natürlich auch Auswüchse des Kapitalismus: Kostendruck, Einsparungsmaßnahmen, Abfindungsprogramme. Das ist eine Kultur, die sich mittlerweile etabliert hat, dass Beschäftigte das Gefühl haben: Wir werden eigentlich nicht mehr gebraucht, denn es kommt ein Kostensenkungsprogramm nach dem nächsten.

Was ist gefährlich bei der Arbeit?

Wir hatten hier auch schon tödliche Arbeitsunfälle. Das kommt nicht jedes Jahr vor, aber du hast hier enormen Staplerverkehr. Du kannst hier nicht im Tagtraum versunken durchs Werk laufen, das ist saugefährlich. In Produktionsbereichen wie dem Busbau ist es wirklich extrem laut, die Leute kriegen auch Belastungszuschläge, weil es so laut und dreckig ist. Da kann es sein, dass ein Stapler kommt mit fünf Paletten Metallkisten, und der muss dich erst mal anhupen, damit du das überhaupt mitbekommst.

Aber Gefahr ist das eine, das andere ist die Belastung. Als Corona ganz frisch war, hatten wir überall Maskenpflicht. Du trägst aber auch noch eine komplette Schweißermontur mit Helm. Einmal war ich draußen wegen einer Befragung der Gewerkschaft, und ein Kollege kriecht auf allen vieren aus dem Bus hervor, macht den Helm hoch, hat die medizinische Maske an und ist komplett nass, als hätte er sich einen Eimer über den Kopf geschüttet. Ich kriege Gänsehaut, wenn ich daran denke. Und ich frage ihn: »Alles okay bei dir?« Und er: »Ja, alles gut - warum?« Das zeigt, wie widerstandsfähig so eine Arbeit einen macht. Das ist extrem anstrengend.

Wenn die Arbeit hart ist, verändert das auch den Umgangston miteinander?

Je rauer der Umgangston, desto herzlicher die Menschen. Wirklich. Und wenn es drauf ankommt, dann hält der Haufen zusammen. Wenn irgendwo eine Ungerechtigkeit geschieht gegen irgendeinen von ihnen, und die kriegen das mit, dann stehen die wie eine Mauer. Deswegen bin ich auch so gern Betriebsrätin im Rohbau im Busbereich. Da haben die Leute noch den Arsch in der Hose. Wenn es mal Ärger gibt mit einem Vorgesetzten, komme ich nur in Ausnahmesituationen.

Geben Sie mal ein Beispiel für Kollegialität.

Wir haben immer wieder eine Anzahl x an Leiharbeitern, die teilweise 24 Monate hier arbeiten und Teil der Gruppe werden. Und dann gab es Fälle, wo das Unternehmen Leiharbeiter innerhalb kurzer Zeit entlässt. Vorhin habe ich meinen Rundgang gemacht, und da hat mich ein Stammkollege auch gefragt: »Wie soll ich das dem Leiharbeitskollegen denn erklären? Der baut gerade ein Haus! Gibt es keine Chance?« Der hat sich voll den Kopf gemacht und war total fertig. Da werden so zwei mal zwei Meter große Typen sentimental. Mich lässt das auch nicht kalt.

Aber warum lässt sich das System Leiharbeit nicht verbieten? Auch die IG Metall spricht immer nur vom Missbrauch von Leiharbeit.

Das Problem heißt Kapitalismus. Leiharbeit abzuschaffen, ist in einer globalisierten Welt nicht mehr so einfach umsetzbar, alles ist viel schnelllebiger, es gibt keine Stabilität mehr. Und selbst wenn wir Leiharbeit abschaffen, kommt das nächste Unding.

Wenn wir bei Visionen bleiben: Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft der Automobilindustrie, wenn es um die Klimakatastrophe geht?

Man kann nicht sagen: »Macht die Automobilindustrie platt, und das Problem ist gelöst« - da hängen Leute dran! Wir brauchen eine Wende, wir brauchen neue Mobilitätsangebote, das kann nicht mehr der Verbrennungsmotor sein. Investiert einfach in Entwicklung und Forschung, und lasst uns herausfinden, welche Antriebsmöglichkeiten Verbrennungsmotoren ersetzen können, dass wir saubere Mobilität anbieten! Stattdessen wird versucht, auf Parteien Einfluss zu nehmen, damit die Gesetze rückgängig machen. Wir können privat gucken, dass wir nicht so einen großen Fußabdruck hinterlassen, aber das wird nicht die Welt retten. Die großen Industriebetriebe sind gefragt, und die haben das Geld und die Handlungsmöglichkeiten.

Haben Sie noch ein Schlusswort?

Ich finde es nicht gut, wenn der Werker von Benz den Kampf der Krankenpflegerin vom Uniklinikum Mannheim nicht mitbekommt und nicht unterstützt. Wenn du die Entgelttabellen von Benz kennst, und dann hörst du mal die Probleme der Krankenpflegerinnen, dass die nicht mal Zeit haben, sich ordentlich die Hände zu desinfizieren - das sind Themen, die uns alle angehen. Ich find es gut, wenn alle Beschäftigten sich wieder näherrücken und nicht spalten lassen, wenn wir uns über die Branchen hinweg solidarisieren und uns in den jeweiligen Kämpfen unterstützen.

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