Minijobber gehen während des Lockdowns leer aus
Bundesarbeitsgericht: Pandemie ist kein Betriebsrisiko
Arbeitgeber tragen nicht das Betriebsrisiko, wenn ihre Geschäfte per allgemeiner Lockdown-Verordnung schließen mussten. Sie haben damit auch nicht die Pflicht zur Entgeltfortzahlung an Minijobber, die in den Phasen der Pandemie, in der große Teile des öffentlichen Lebens ruhen mussten, nicht arbeiten konnten. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (Az. 5 AZR 211/21) in Erfurt in seinem ersten Corona-Urteil am 13. Oktober 2021. Der Präzedenzfall aus Niedersachsen.
»Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage«, erklärten die höchsten deutschen Arbeitsrichter. Aus dem Fehlen eines finanziellen Nachteilsausgleichs für Minijobber durch den Staat bei Corona-Arbeitsausfall lasse sich »keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten«, heißt es weiter.
Die Richter schickten damit eine Botschaft in Richtung Politik: Während es für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einen Ausgleich für Arbeitsausfall durch den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld gebe, stünden geringfügig Beschäftigte wie in diesem Fall die Klägerin vor »Lücken in dem sozialversicherungspflichtigen Regelungssystem«.
Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Susanne Ferschl, sprach von einem Weckruf an die künftige Regierung, die Sicherungslücken bei Minijobs endlich zu schließen. Das Minijob-Versprechen brutto gleich netto sei im Krisenfall ein Bumerang für Beschäftigte.
Verhandelt wurde über die Klage einer Minijobberin aus einem Nähmaschinengeschäft in Bremen. Sie kann nach dem Urteil nicht auf Entgelt während einer Schließung im April 2020 pochen. Es ging dabei um 432 Euro. Im Gegensatz zu den Vorinstanzen in Niedersachsen folgten die Bundesrichter nicht der Argumention der Klägerin, die Geschäftsschließungen durch die Bremer Behörden gehörten zum Betriebsrisiko, das der beklagte Kleinunternehmer zu tragen habe.
Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hält die Entscheidung für nachvollziehbar. »Die Pandemie ist ein allgemeines Lebensrisiko. Sie trifft die ganze Gesellschaft«, sagte Thüsing. »Es ist kein Risiko, das allein dem Arbeitgeber zugeordnet werden kann, der damit auch nicht das Lohnrisiko trägt.« Die Fachanwältin Nina Hartmann sprach dagegen von einem überraschenden Urteil, das sich gegen Auffassung der Vorinstanzen und andere Arbeits- und Landesarbeitsgerichte stelle.
»Die ersten Corona-Verordnungen waren die am weitesten reichenden«, so der Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht, Rüdiger Linck. Ob alle Verordnungen in Deutschland diese Tragweite hatten, müsste im konkreten Fall geprüft werden, so Richter Link weiter. Wichtig war für ihn die Feststellung, dass es für die Klägerin in der kleinen Filiale keine Beschäftigungsalternative gab.
Welche Auswirkungen das Urteil hat, ist nicht genau zu sagen. Allein im deutschen Einzelhandel gibt es nach Angaben des Handelsverbandes HDE etwa 808 000 geringfügig Beschäftigte. Von den behördlich angeordneten Geschäftsschließungen war ein Teil des Handels betroffen, nicht aber der Bereich Lebensmittel und Drogerien. Weder der HDE noch die Gewerkschaft Verdi konnten beantworten, wie viele Minijobber während der Lockdown-Phasen so wie die Klägerin kein Entgelt erhielten. Immerhin richtete das Urteil den Blick auf eine große Zahl von Menschen, die auf Minijobs angewiesen sind. Es gebe aber derzeit keine Anzeichen für eine riesige Klagewelle, so der Sprecher des Verbandes.
In größeren Betrieben wie Warenhäusern seien Minijobber vielfach mit anderen Aufgaben beauftragt worden, sagte Petra Ringer von Verdi. Manche seien auch in den Lebensmittelhandel gewechselt. »Da wurden händeringend Menschen gebraucht.« Wie es in den vielen kleinen Fachgeschäften aussah, konnte niemand so recht sagen. »Aber es wird Probleme gegeben haben«, ist Petra Ringer überzeugt.
Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing rechnet nicht damit, dass Minijobber, die bei angeordneten Betriebsschließungen ihr Entgelt erhielten, es nun aufgrund des BAG-Urteils zurückzahlen müssen. »Es wird nicht zu Rückzahlungsforderungen kommen. In den meisten Verträge gibt es auch Ausschlussfristen.«
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts eine Reform der Minijobs. »Minijobs müssen endlich zu Beschäftigung mit sozialer Absicherung entwickelt werden«, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel .
Minijobber sind Arbeitnehmer mit höchstens 450 Euro monatlichem Arbeitsentgelt oder einem Arbeitseinsatz von maximal 70 Tagen im Jahr. Sie zahlen keine Beiträge für die Sozialversicherungen. dpa/nd
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