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Zermürbtes Pflegepersonal
Viele Krankenhaus-Beschäftigte haben aufgrund der extremen Belastungen in der Pandemie ihren Job an den Nagel gehängt
Derzeit verhandelt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit den Bundesländern über einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienstag. Am Montag und Dienstag trafen sie sich dafür in Potsdam, die Länder lehnten alle Forderungen der Gewerkschaft ab, Verdi kündigte deswegen am Dienstagnachmittag überraschend Streiks an. Ganz oben auf der Forderungsliste war ein Sonderzuschlag für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Sie sollen mindestens 300 Euro mehr Gehalt bekommen - statt 150 Euro, wie es Verdi für die übrigen Länderbeschäftigten fordert. Denn nach knapp zwei Jahren Pandemie ist die Stimmung in den Krankenhäusern besonders tief gesunken.
»Da dampft und brodelt es«, sagte Verdi-Chef Frank Werneke zu Beginn der Verhandlungen über die Lage im Gesundheitswesen. »An den Krankenhäusern in Länderhoheit, den Universitätskliniken, stehen die knappen Personalkapazitäten in keinem Verhältnis zu den enormen Aufgaben und Belastungen«, so der Gewerkschaftschef. Die Beschäftigten litten unter Dauerbelastung, an den Kliniken herrsche eine große Fluktuation.
Natürlich ist nicht nur die Lage an den Unikliniken der Länder prekär. Und schon vor Corona kritisierten Gewerkschaft und Beschäftigte die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern. Doch wie sehr die Pandemie diese noch mal verschlechtert hat, wird durch die Vehemenz deutlich, mit der die Berliner Krankenhausbewegung bei Charité und Vivantes die letzten Wochen und Monate für bessere Arbeitsbedingungen durch einen Entlastungstarifvertrag gekämpft haben.
Ein weiterer Beleg für die miserable Lage in den Krankenhäusern ist eine Studie, welche die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin angesichts der sich aufbauenden vierten Corona-Welle Ende Oktober veröffentlichten. Das Ergebnis der Untersuchung, für die 643 Intensivmediziner*innen befragt wurden: Weil die Pflegekräfte aufgrund der miserablen Arbeitsbedingungen reihenweise kündigen, kann derzeit jedes dritte Intensivbett hierzulande nicht belegt werden.
»Dahinter steckt keine böse Absicht - es fehlt schlicht das geschulte Pflegepersonal«, erklärte der DIVI-Präsident Uwe Janssens. Die schon vor der Pandemie nachweisbaren Probleme in der Intensivmedizin hätten sich verstärkt. »Die zurückliegenden, zermürbenden Monate haben zu einer Verschlechterung der Stimmung und zu weiteren Kündigungen von Stammpflegekräften geführt.« In der kommenden Zeit sei mit einer spürbaren Einschränkung in der Versorgung der Bevölkerung zu rechnen. Schließlich wurden der DIVI zum Stichtag 20. Oktober 22 207 betreibbare Intensivbetten gemeldet. Am 1. Januar waren es hingegen noch 26 475 Betten, also 4268 mehr - und das war im Hochpunkt der zweiten Corona-Welle, in der zahlreiche Pflegekräfte selbst erkrankt und ausgefallen waren.
Die Gewerkschaft Verdi fordert von der kommenden Bundesregierung deshalb, das Thema zügig und konsequent anzugehen. »Es müssen endlich verbindliche und wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um die Beschäftigten zu entlasten und dauerhaft mehr Personal in das Gesundheitswesen zu bekommen«, erklärte ein Verdi-Sprecher gegenüber »nd.derTag«. Gerade vor der beginnenden vierten Welle werde für jede und jeden offensichtlich, wie wichtig eine gute Gesundheitsversorgung für die Gesellschaft sei. »Entscheidend dafür ist, dass es genug und gut ausgebildetes Personal gibt.«
Verdi wie die DIVI schlagen dieselbe Maßnahme vor, mit der die mangelnde personelle Ausstattung in den Krankenhäusern angegangen werden soll. Sie fordern ein verbindliches Instrument zur Personalbemessung, das die alte Bundesregierung bisher abgelehnt hat.
Laut Verdi gewährleisten die derzeitigen Pflegepersonaluntergrenzen nämlich keine gute Versorgung. »Sie haben nichts mit bedarfsgerechter, guter Pflege zu tun, sondern sollen lediglich sicherstellen, dass niemand gefährdet wird«, so der Verdi-Sprecher. Seine Gewerkschaft machte deswegen schon Anfang 2020 einen Vorschlag - zusammen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat. Auf Grundlage der alten Pflegepersonalregelung (PPR) von 1992 entwickelten sie eine neue Regelung PPR 2.0, anhand derer der Pflegepersonalbedarf künftig berechnet werden sollte, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Patient*innen unter Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für Beschäftigte sicherzustellen.
Doch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) war gegen die Einführung von PPR 2.0 und spielte die bergangenen beiden Jahre auf Zeit. »Das ist verhängnisvoll«, so der Verdi-Sprecher. »Von der nächsten Bundesregierung erwarten die Pflegepersonen, dass die PPR 2.0 schnell kommt.«
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